Charlie kuschelte sich unter der Steppdecke an mich und legte ihren Kopf an meine Brust. Ich strich mit den Händen über ihre nackte Haut, spürte das Wellenkräuseln tief in ihrem Bauch und das leise Zittern in ihren Beinen.
«Okay?«fragte ich und küßte ihr Haar.
«Sehr.«
Wir liebten uns auf die einfache, normale Art, wie wir es immer machten, aber da ich einen Monat weggewesen war, war es atemberaubend schön, ein Erlebnis höchsten Glücks, eine jener elementaren Erfahrungen, die von bleibender Wirkung sind. Hier begann die Gewißheit, dachte ich. Hatte man dies, was brauchte man noch?
«Fantastisch«, seufzte Charlie.»Das war fantastisch.«
«Erinnere uns daran, daß wir es nicht so oft machen.«
Sie lachte.»Es wird besser, wenn man sich zurückhält.«
«Mhm. «Ich gähnte.
«Hör mal«, sagte sie,»ich hab’ heute morgen beim Zahnarzt eine Illustrierte gelesen, als Chris die Zähne nachgesehen bekam. Da war auf der Kummerkastenseite ein Brief von einer Frau, die ihrem kahlen, dicken, mittelalterlichen Mann nichts mehr abgewinnen kann, und sie wollte einen Rat für ihr Sexualleben. Weißt du, was sie ihr geraten haben?«Ein Lächeln lag in ihrer Stimme.»»Stellen Sie sich vor, Sie schlafen mit Edward Lincoln.««
«Das ist doch albern. «Ich gähnte wieder.
«Klar. Ich wollte sogar hinschreiben und fragen, was sie mir raten würden.«
«Wahrscheinlich, daß du dir vorstellen sollst, du schläfst mit einem dicken, kahlen mittelalterlichen Mann, der dich nicht anmacht.«
Sie lachte leise.»Vielleicht hab ich den in zwanzig Jahren.«
«Du bist zu liebenswürdig.«
«Gern geschehen.«
Zufrieden schliefen wir ein.
Ich hatte ein Rennpferd, einen Steepler, der bei einem erfolgreichen Stall im Training war, und wenn ich nicht drehte, fuhr ich meistens hin — es waren nur fünf Meilen — und ging mit dem Lot zur Morgenarbeit raus. Bill Tracker, der energische Trainer, sah es im allgemeinen nicht gern, wenn Besitzer ihre Pferde selbst reiten wollten, doch er fand sich mit meiner zeitweiligen Anwesenheit aus den gleichen beiden Gründen ab wie seine Pferdepfleger, nämlich weil mein Vater einst Futtermeister drüben in Lam-bourn gewesen war und weil ich mir meinen Lebensunterhalt auch selbst einmal mit Reiten, wenn schon nicht beim Pferderennen, verdient hatte.
Im August war nicht viel los, aber ein paar Tage nach meiner Rückkehr fuhr ich doch rüber und arbeitete auf den Downs mit. Die neue Hindernissaison hatte eben erst begonnen, und die meisten Pferde, meines eingeschlossen, klapperten noch die Straßen entlang, um ihre Beine zu kräftigen. Bill ließ mich großzügig einen der schon weiter fortgeschrittenen Hürdler reiten, der in rund zwei Wochen sein erstes Rennen laufen sollte, und wie immer war ich sehr dankbar, daß er mir die Gelegenheit gab, mich nützlich zu machen und das einzige Talent, das mir in die Wiege gelegt worden war, wieder aufzufrischen.
Ich hatte reiten gelernt, bevor ich laufen konnte, und war aufgewachsen mit dem Vorsatz, Jockey zu werden. Das Schicksal wollte es anders: Mit siebzehn war ich einen Meter achtzig groß, und das gewisse Etwas, das man zum Rennreiter braucht, besaß ich nicht. Die Erkenntnis war schmerzlich gewesen; der Wechsel zur Leinwandakrobatik ein dürftiger Ersatz.
Sich daran zu erinnern entbehrte nicht der Ironie.
Die Downs waren weit und windig und erfüllt von frischer Luft: schön und urtümlich noch bis auf das Kraftwerk am Horizont und den fernen Einschnitt einer Autobahn. Wir ritten im Schritt und leichten Trab hinauf zum Trainingsgelände, kanterten und galoppierten auf Geheiß und gingen im Schritt wieder zurück, um die Pferde abzukühlen; es war einfach großartig.
Ich blieb zum Frühstück bei den Trackers und ritt anschließend mein eigenes Pferd im zweiten Lot über die Landstraßen, wobei ich wie die Pfleger auch über die Autos schimpfte, die vorbeifuhren, ohne das Tempo zu drosseln. Ich entspannte mich mühelos im Sattel und lächelte, als mir einfiel, wie mein Vater sich an mir heiser gebrüllt hatte —»Setz dich gerade, du Pfeife! Und leg die Ellbogen an!«
Evan Pentelow und Madroledo waren eine andere Welt.
Als ich nach Hause kam, zankten die Jungen sich lautstark darüber, wer mit den noch nicht kaputten Rollschuhen fahren durfte, und Charlie backte einen Kuchen.
«Hallo«, sagte sie.»War es schön?«
«Großartig.«
«Prima… Also, es sind keine Anrufe gekommen, nur Nerissa hat sich gemeldet. Wollt ihr wohl still sein, ihr zwei, man versteht ja sein eigenes Wort nicht.«
«Ich bin dran«, brüllte Peter.
«Wenn ihr nicht gleich den Mund haltet, zieh ich euch die Ohren lang«, sagte ich.
Sie hielten den Mund. Ich hatte die oft wiederholte Drohung noch nie wahrgemacht, aber der Gedanke gefiel ihnen nicht. Chris schnappte sich augenblicklich die umstrittenen Rollschuhe und verschwand aus der Küche, und Peter nahm mit unterdrücktem Geschrei die Verfolgung auf.
«Kinder!«sagte Charlie empört. Ich nahm mir einen Fingervoll rohen Kuchenteig und bekam einen Klaps aufs Handgelenk.
«Was wollte Nerissa?«
«Sie möchte, daß wir mit ihr zu Mittag essen. «Charlie hielt inne, und von ihrem Holzlöffel tropfte dickflüssiger Schokoladenguß in die Schüssel.»Sie war ein bißchen — na ja — komisch irgendwie. Nicht so munter wie sonst. Jedenfalls wollte sie, daß wir heute kommen.«
«Heute!«sagte ich mit einem Blick auf die Uhr.
«Oh, ich habe ihr gesagt, wir könnten nicht, du wärst um zwölf erst wieder zurück. Da hat sie gefragt, ob es morgen ginge.«
«Weshalb die Eile?«
«Tja, ich weiß nicht, Schatz. Sie sagte nur, wir möchten sobald wie möglich kommen. Bevor du wieder drehen müßtest.«
«Ich fange mit dem nächsten Film doch erst im November an.«
«Ja, das habe ich ihr auch gesagt. Sie hat trotzdem ziemlich gedrängt. Also sagte ich, wir würden gern morgen kommen, es sei denn, du wärst verhindert — in dem Fall würde ich sie heute mittag zurückrufen.«
«Was mag sie bloß wollen?«sagte ich.»Wir haben sie eine Ewigkeit nicht gesehen. Am besten, wir fahren mal hin,ja?«
«Aber natürlich.«
Also fuhren wir.
Es ist schon gut, daß man die Zukunft nie voraussehen kann.
Nerissa war so eine Art Kreuzung zwischen Tante, Patin und Vormund, was ich eigentlich alles nie besessen hatte. Ich hatte eine Stiefmutter gehabt, die einzig ihre beiden eigenen Kinder liebte, und einen sehr beschäftigten Vater, den sie mit ihrem Gekeife zur Verzweiflung brachte. Nerissa, oft zu Besuch in dem von meinem Vater beaufsichtigten Stall, wo drei Pferde von ihr standen, hatte mir zuerst Süßigkeiten geschenkt, dann Pfundnoten, dann Ermutigung und schließlich mit den Jahren ihre Freundschaft. Es war nie eine enge Beziehung gewesen, aber eine bleibende Wärme im Hintergrund.
Sie erwartete uns im Sommerzimmer ihres Hauses in den Cotswolds, mit Kristallgläsern und einer Karaffe trockenen Sherrys auf einem Silbertablett, und sie kam uns entgegen, als sie hörte, wie ihr Butler uns durch die Diele führte.
«Kommt rein, ihr Lieben, kommt rein«, sagte sie.»Es ist schön, euch zu sehen. Charlotte, ich mag dich sehr in Gelb… und Edward, du bist ja so dünn geworden.«
Sie stand mit dem Rücken zum Licht, das hell durchs Fenster flutete, das Fenster mit der besten Aussicht in Gloucestershire, und erst, als wir sie auf die dargebotene Wange küßten, bemerkten wir beide die erschreckende Veränderung an ihr.