Sie hörte mit einer Miene zu, als glaubte sie mir kein Wort. Ich nahm an, es war zwecklos, weiterzureden — ihr zu sagen, daß ich kein Meisterschütze war, kein Flugzeug fliegen und nicht schneller als jedes Abfahrts-As zu Tal jagen konnte, weder Russisch sprach noch ahnte, wie man ein Funkgerät baut oder Bomben entschärft, und daß ich bei der ersten Folterdrohung alles verraten würde. Sie wußte es besser; sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Ihr Gesichtsausdruck sagte mir das.
«Also gut«, kapitulierte ich.»Ich weiß schon, was in einem Rennstall laufen sollte und was nicht. Jedenfalls in England.«
«Und«, sagte sie zufrieden,»du kannst auch nicht behaupten, daß du es nicht warst, der all diese Reitkunststücke hingelegt hat, als du beim Film anfingst.«
Das konnte ich nicht. Es war aber nichts Besonderes gewesen.
«Ich werde nach deinen Pferden sehen und mir anhören, was dein Trainer meint«, sagte ich — und dachte bei mir, wenn er keine Gründe angeben konnte, würde ich höchstwahrscheinlich auch keine finden.
«Lieber Edward, das ist sehr nett…«Sie wirkte plötzlich geschwächt, als sei die Anstrengung, mich zu überreden, schon zuviel für sie gewesen. Als sie jedoch die Bestürzung in Charlies Gesicht und in meinem sah, setzte sie ein beruhigendes Lächeln auf.
«Noch nicht, meine Lieben. Noch zwei Monate, vielleicht… Mindestens zwei Monate, denke ich.«
Charlie schüttelte abwehrend den Kopf, doch Nerissa tätschelte ihr die Hand.»Ist schon gut, Liebes, Ich habe mich damit abgefunden. Aber ich will meine Angelegenheiten ordnen… deshalb hätte ich auch gern, daß Edward nach den Pferden sieht, und ich sollte vielleicht erklären…«
«Ermüde dich nicht«, sagte ich.
«Ich bin nicht… müde«, antwortete sie, obwohl das offensichtlich den Tatsachen widersprach.»Und ich möchte es euch erzählen. Die Pferde haben meiner Schwester Portia gehört, die vor dreißig Jahren nach Südafrika heiratete. Nach dem Tod ihres Mannes blieb sie dort, weil all ihre Freunde da lebten, und ich habe sie im Lauf der Jahre mehrmals besucht. Ich weiß, daß ich euch von ihr erzählt habe.«
Wir nickten.
«Sie ist im vorigen Winter gestorben«, sagte ich.
«Ja… ein schwerer Schlag. «Nerissa schien den Tod ihrer Schwester viel tragischer zu nehmen als ihren eigenen.»Sie hatte keine nahen Verwandten außer mir, und sie hinterließ mir fast alles, was sie von ihrem Mann geerbt hatte. Und ihre ganzen Pferde auch. «Sie hielt inne, um ihre Kräfte und ihre Gedanken zu sammeln.»Es waren damals Jährlinge. Teure Jährlinge. Ihr Trainer schrieb mir, ob ich sie verkaufen wollte, da man südafrikanische Pferde wegen der Quarantänebestimmungen nicht nach England holen kann. Aber ich dachte, es wäre vielleicht ganz schön, ganz interessant, sie in Südafrika laufen zu lassen und nachher an ein Gestüt zu verkaufen. Aber jetzt — tja, jetzt werde ich nicht mehr da sein, wenn sie alt genug für die Zucht sind, und sie haben bereits enorm an Wert verloren.«
«Liebste Nerissa«, sagte Charlie.»Spielt das eine Rolle?«
«O ja. Ja, meine Liebe, das tut es«, sagte sie nachdrücklich.»Ich vermache sie nämlich meinem Neffen Danilo, und mir mißfällt der Gedanke, ihm etwas Wertloses zu hinterlassen.«
Sie blickte von einem zum anderen.»Ich weiß gar nicht habt ihr Danilo mal kennengelernt?«
Charlie sagte:»Nein«, und ich sagte:»Ich habe ihn ein paarmal gesehen, als er ein kleiner Junge war. Du hast ihn immer mit in den Stall gebracht.«
«Richtig, das stimmt. Und dann hat mein Schwager sich von dieser gräßlichen Frau, Danilos Mutter, endlich scheiden lassen und ist mit ihm nach Kalifornien gezogen. Nun, Danilo war kürzlich in England, und er ist ein richtig netter junger Mann geworden. Ist das nicht ein Glück, ihr Lieben? Wo ich doch so wenig Verwandte habe. Genaugenommen ist Danilo sogar der einzige, und selbst er ist kein Blutsverwandter, da sein Vater der Bruder meines lieben John war, versteht ihr?«
Wir verstanden. John Cavesey, seit mehr als sechzehn Jahren unter der Erde, war ein Landedelmann mit vier Jagdpferden und viel Humor gewesen. Außerdem hatte er Nerissa, keine Kinder, einen Bruder, einen Neffen und fünf Quadratmeilen vom» schönen grünen England «gehabt.
Nach einer Pause sagte Nerissa:»Ich werde Mr. Arknold das ist mein Trainer — telegrafieren, daß du kommst, um die Angelegenheit zu prüfen, und daß er dir ein Zimmer bestellen soll.«
«Nein, tu das nicht. Er könnte dir übelnehmen, daß du jemand schickst, und sich gegen mich sperren. Ich bestelle schon das Zimmer und so weiter. Wenn du ihm telegrafierst, sag nur, daß ich vielleicht interessehalber vorbeischaue, weil ich gerade zu einem kurzen Besuch in Südafrika bin.«
Sie lächelte verschmitzt und sagte:»Siehst du, mein Lieber, du weißt eben doch, wie man Nachforschungen anstellt.«
Kapitel 3
Fünf Tage darauf flog ich nach Johannesburg, ausgerüstet mit einer Menge Fakten und keinerlei Vertrauen in meine Fähigkeit, sie zu entwirren.
Charlie und ich waren doppelt deprimiert von Nerissa nach Hause gefahren. Arme Nerissa, sagten wir, wie schlimm für sie. Und wie schlimm für uns, sie zu verlieren.
«Und dabei bist du gerade erst heimgekommen«, setzte Charlie hinzu.
«Ja. «Ich seufzte.»Trotzdem — ich hätte nicht nein sagen können.«
«Nein.«
«Nicht, daß ich viel ausrichten werde.«
«Man kann nie wissen, vielleicht entdeckst du ja doch etwas.«
«Sehr zweifelhaft.«
«Aber«, sagte sie ein wenig besorgt,»du wirst doch dein Bestes tun?«
«Natürlich, Liebes.«
Sie schüttelte den Kopf.»Du bist schlauer, als du denkst.«
«Aber klar«, sagte ich.»Sicher.«
Sie verzog das Gesicht, und wir fuhren eine Weile schweigend. Dann sagte sie:»Als du draußen warst, um dir die beiden jungen Steepler auf ihrer Koppel anzusehen, hat Nerissa mir gesagt, was mit ihr ist.«
«So?«
Charlie nickte.»Sie hat irgend etwas Schauerliches, das sich Hodgkinsche Krankheit nennt, davon schwellen wohl die Drüsen an und bilden abnorme Zellen, was immer das nun eigentlich bedeutet. Sie weiß selbst nicht genau Bescheid, glaube ich. Außer, daß es absolut tödlich ist.«
Arme Nerissa.
«Sie sagte mir auch«, fuhr Charlie fort,»daß sie jedem von uns ein Andenken in ihrem Testament vermacht hat.«
«Tatsächlich?«Ich wandte den Kopf, um Charlie anzusehen.»Wie nett von ihr. Hat sie gesagt, was?«
«Paß um Himmels willen auf die Straße auf. Nein, was hat sie nicht gesagt. Aber es soll dazu dienen, daß wir sie in Erinnerung behalten. Sie sagte, es hat ihr richtig Spaß gemacht, das Testament aufzusetzen und die Leute darin zu bedenken. Ist sie nicht erstaunlich?«
«Ja.«
«Sie hat das wirklich ernst gemeint. Und wie es sie freut, daß ihr Neffe sich so gut entwickelt hat. Ich hab so jemand noch nie erlebt — da stirbt sie und trägt es ganz gefaßt und bleibt sogar bei Laune, auch wenn sie ihr Testament schreibt — und genau weiß — und genau weiß — «