Ich sah sie von der Seite an. Tränen auf Charlies Wangen. Sie weinte selten und mochte dabei nicht beobachtet werden.
Ich paßte auf die Straße auf.
Ich rief meinen Agenten an und verblüffte ihn maßlos.
«A-aber«, stammelte er,»Sie fahren doch sonst nie wohin, das lehnen Sie grundsätzlich ab. Sie haben hier deshalb schon auf den Tisch gehauen und mich angebrüllt.«
«Stimmt«, gab ich zu.»Aber jetzt brauche ich einen triftigen Grund, um nach Südafrika zu fahren — laufen da also demnächst Filme von mir an oder nicht?«
«Tja. «Er war ganz durcheinander.»Also, das muß ich nachsehen. Sind Sie denn auch sicher«, fügte er ungläubig hinzu,»daß ich denen wirklich und wahrhaftig versprechen soll, daß Sie persönlich erscheinen?«
«Das habe ich doch gesagt.«
«Ja. Ich kann es nur einfach nicht glauben.«
Eine Stunde später rief er zurück.
«Es laufen zwei an. In Kapstadt zeigen sie ab Montag in acht Tagen Moskau einfach. Das ist der Auftakt einer Reihe von sechs Wiederaufführungen, so daß Sie, auch wenn Moskau selbst schon ziemlich alt ist, durch Ihr Erscheinen Reklame für die ganze Staffel machen könnten. Das andere ist die Premiere von Felsen in Johannesburg. Die wäre aber erst am 14. September. In drei Wochen. Ist das früh genug?«
«Eigentlich nicht. «Ich überlegte.»Trotzdem wird es der Film in Johannesburg sein müssen.«
«In Ordnung. Ich organisiere das. Und, ehm — erstreckt sich Ihr plötzlicher Sinneswandel auch auf Talkshows und Interviews in Zeitungen?«
«Nein.«
«Das habe ich befürchtet.«
Ich hatte mir von Nerissa alle Briefe ihres Trainers mit nach Hause genommen, alle südafrikanischen Rennkalender, Zeitungsausschnitte und Zeitschriften, die sie geschickt bekommen hatte, und die genauen Abstammungs- und Leistungsnachweise ihrer elf jungen Absteiger. Ein gewaltiger Berg Papier, wie sich herausstellte, und man mußte ihn schon aufmerksam lesen.
Das Bild, das zutage trat, hätte allerdings jedem zu denken gegeben, nicht nur dem Besitzer der fraglichen Pferde. Neun von den elf waren zu Beginn ihrer Rennkarriere gut gelaufen und hatten es zwischen Dezember und Mai auf insgesamt vierzehn Siege gebracht. Seit Mitte Mai hatte keines von ihnen mehr als einen vierten Platz errungen.
Soweit ich es nach einem ersten Blick auf die Tabelle der erfolgreichsten Deckhengste und die Zuchtnachrichten des südafrikanischen Horse and Hound beurteilen konnte, waren sie alle von tadelloser Abstammung, und den angelegten Beträgen nach hatte Nerissas Schwester Portia sie auch nicht im Dutzend billiger erstanden. Bisher hatte keines von ihnen seinen Kaufpreis durch Sieggelder wieder hereingeholt, und mit jeder bekanntwerdenden Niederlage sank ihr zukünftiger Zuchtwert ein Stück in Richtung Null.
Als Vermächtnis waren die südafrikanischen Pferde ein Klotz am Bein.
Charlie begleitete mich nach Heathrow, da ich nur gerade neun Tage zu Hause gewesen war, was uns beiden nicht genügte. Während wir am Check-in-Schalter warteten, baten ein halbes Dutzend Damen mich um ein Autogramm für ihre Töchter, Neffen, Enkelkinder, und wir fingen etliche Blicke ein, bis schließlich ein Flughafenangestellter in dunkler Uniform herüberkam und uns anbot, in einem separaten kleinen Raum zu warten. Sie hatten Erfahrung damit, da ich ziemlich oft über den Flughafen kam, und wir nahmen dankend an.
«Es ist, als wäre man mit zwei Menschen verheiratet«, meinte Charlie seufzend und setzte sich.»Mit dir als Mann der Öffentlichkeit und mit dir privat. Ihr seid zweierlei. Weißt du, ich sehe einen deiner Filme oder auch nur einen Ausschnitt im Fernsehen — ich sehe die Aufnahmen von dir, und ich denke, mit dem Mann habe ich heute nacht geschlafen. Und das ist für mich seltsam, weil das öffentliche Du eigentlich gar nicht mir gehört, sondern all den Leuten, die dafür bezahlen, dich zu sehen. Und dann kommst du wieder nach Hause und bist einfach du, mein Mann, wie ich ihn kenne, und das öffentliche Du ist irgend jemand anders.«
Ich sah sie zärtlich an.»Das private Ich hat vergessen, die Telefonrechnung zu bezahlen.«
«Ach verdammt, ich hab’s dir zwanzig Mal gesagt.«
«Bezahlst du sie?«
«Na, werd’ ich wohl. Aber die Telefonrechnung ist deine Sache. Die ganzen Telegramme und die Anrufe nach Amerika, das muß man doch kontrollieren — ich blicke da nicht durch. Sie berechnen uns wahrscheinlich zuviel, wenn du es nicht nachprüfst.«
«Das müssen wir in Kauf nehmen.«
«Also ehrlich!«
«Es wird doch sowieso von der Steuer abgesetzt.«
«Stimmt auch wieder.«
Ich setzte mich neben sie. Die unbezahlte Telefonrechnung war als Gesprächsthema so gut wie alles andere; wir brauchten nicht mehr laut zu sagen, was wir füreinander empfanden. In unserer Beziehung hatten wir von Trennung und Abschied nie viel Aufhebens gemacht, und auch vom Wiedersehen nicht. Eine Menge Leute hielten das für Gleichgültigkeit. Vielleicht war es zu sehr das Gegenteil. Wir brauchten einander wie Bienen und Honig.
Als ich sechzehn Stunden später auf dem Jan Smuts International Airport landete, holte mich ein nervöser Mann mit feuchten Händen ab, der sich als Vertriebsdirektor von Worldic Cinemas in Südafrika vorstellte.
«Wenkins«, sagte er.»Clifford Wenkins. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«
Er hatte unruhige Augen und einen silbenverschluckenden südafrikanischen Akzent. Um die Vierzig. Kein Erfolgsmensch. Redete ein bißchen zu laut, zu vertraulich, mit der Art von gezwungener Leutseligkeit, die ich am wenigsten ausstehen konnte.
So höflich wie möglich entwand ich meinen Jackenärmel seinem Griff.
«Nett, daß Sie gekommen sind«, sagte ich und wünschte, er hätte es mir erspart.
«Konnten doch Edward Lincoln nicht anreisen lassen, ohne ihn gebührend zu empfangen. «Er lachte laut vor Nervosität. Ich fragte mich flüchtig, weshalb er nur so schrecklich befangen war; als Filmverleiher traf er doch sicher dauernd mit Schauspielern zusammen.
«Der Wagen steht da drüben. «Er lief im Krebsgang vor mir her, die Arme nach vorn und hinten ausgestreckt, als wollte er mir mit dem einen Arm den Weg bahnen und mich mit dem anderen führen. Es waren nicht genug Leute da, als daß auch nur die geringste Notwendigkeit dazu bestanden hätte.
Ich folgte ihm mit meinem Koffer und bemühte mich, seine Aufmerksamkeiten frohen Mutes zu ertragen.
«Gar nicht weit«, versicherte er und sah mir begütigend ins Gesicht.
«Prima«, sagte ich.
Eine Gruppe von etwa zehn Leuten stand unmittelbar vor dem Hauptausgang. Ich betrachtete sie ernüchtert; ihre
Kleidung und ihre Art herumzustehen wies sie von weitem schon als Medienschaffende aus, und es überraschte mich nicht, die gezückten Kameras und Tonbandgeräte zu sehen, als wir näher kamen.
«Mr. Lincoln, was halten Sie von Südafrika?«
«Hey, Link, wie wär’s mit einem breiten Lächeln?«
«Ist etwas Wahres an dem Gerücht.«
«Unsere Leser wüßten gern, welche Ansichten Sie.«
«Bitte recht freundlich.«
Ich versuchte weiterzugehen, aber sie zwangen uns ein Schneckentempo auf. Ich lächelte in den Pulk und sagte beschwichtigende Dinge wie:»Ich bin froh, hier zu sein. Es ist mein erster Besuch. Ich freue mich sehr darauf«, und schließlich gelangten wir ins Freie.
Clifford Wenkins bekam jetzt auch noch eine feuchte Stirn, obwohl die Sonne hier, fast 2000 Meter über dem Meeresspiegel, recht kühl war.
«Tut mir leid«, sagte er,»aber mit denen war zu rechnen.«
«Erstaunlich, daß sie genau den Tag und die Zeit wußten, wo mein Flug doch erst gestern morgen gebucht worden ist.«
«Äh… ja«, meinte er schwach.
«Die Presse macht hier sicher auch gern schon mal Reklame für Leute, wenn Sie das möchten.«
«Oh, allerdings«, gab er unumwunden zu.