«Als der Trainer ab sprang, stellten wir mit seiner Hilfe also ein paar Fallen auf und überraschten Horfitz sozusagen mit heruntergelassenen Hosen. Er wurde lebenslang gesperrt und schwor, seinen Trainer dafür umzubringen, was er bis jetzt noch nicht getan hat. Der Trainer wurde für drei Jahre gesperrt und ernstlich verwarnt, hat seine Lizenz aber vor zwei Jahren zurückbekommen. Gehörte zur Abmachung. Er ist also in kleinem Umfang wieder im Geschäft, aber wir nehmen seine
Starter einzeln unter die Lupe und prüfen ihre Pässe vor jedem Lauf. Wir haben die Paßkontrollen per Stichprobe überall verschärft, wie Sie wissen.«
Ich nickte.
Dann fiel Millington buchstäblich die Kinnlade herunter.
Ich betrachtete das klassische Anzeichen von Verblüffung und fragte:»Was ist los?«
«Gott«, sagte er.»Hält man das für möglich? Das ist ja ein Ding. Paul Shacklebury, der ermordete Stallbursche, hat bei Horfitz’ altem Trainer gearbeitet.«
Ich seilte mich ab, während er bei einem weiteren Halben mit gedankenvoll gefurchter Stirn darüber grübelte, was es bedeuten mochte, daß Horfitz’ alter Trainer einen Stallburschen beschäftigt hatte, der ermordet wurde, weil er zuviel über Filmer wußte. Was hatte Paul Shacklebury gewußt, fragte Millington rhetorisch zum hundertsten Mal. Und mehr auf die Gegenwart bezogen, was war in der Aktentasche, und warum hatte Horfitz sie Filmer gegeben?
«Halten Sie sich an den schwitzenden Boten«, empfahl ich im Aufstehen.»Vielleicht packt er genauso aus wie der Trainer. Man kann nie wissen.«
«Mag sein«, sagte Millington.»Und, Tor… passen Sie in dem Zug auf sich auf.«
Er konnte zuzeiten ganz menschlich sein, fand ich.
Ich flog am nächsten Tag nach Ottawa und unterlag in Heathrow der Versuchung, meinen Hoch-die-Knie-Touristenflugschein gegen ein Streck-dich-lang-Ticket erster Klasse umzutauschen. Außerdem bat ich den Taxifahrer, der mich von Ottawas Flughafen in die Stadt brachte, mir ein anständiges Hotel zu suchen. Er warf rasch einen Blick auf meine Kleidung und den neuen Koffer und meinte, das Four Seasons wäre sicher geeignet.
Es war. Sie gaben mir eine freundliche kleine Suite, und ich rief sofort die Nummer an, die man mir für Bill Baudelaire genannt hatte. Zu meiner gelinden Überraschung meldete er sich beim ersten Klingeln selbst und sagte, ja, er habe ein Telex erhalten mit der Bestätigung, daß ich unterwegs sei. Er hatte eine Baßstimme mit viel Timbre, selbst über die Leitung, und sprach mit weichem kanadischem Akzent.
Er erkundigte sich, wo ich in einer Stunde sein würde, und sagte, er komme dann vorbei, um mich über die vorliegende Sache zu informieren, und ich schloß aus seinen vorsichtigen Sätzen, daß er nicht allein war und keinen Mithörer wollte. Ganz wie daheim, dachte ich behaglich, packte ein paar Sachen aus, duschte die Reise weg und wartete auf das, was kam.
Draußen verwandelte das intensiver werdende Orange der Herbstsonne die grünen Kupferdächer der betürmten steinernen Regierungsgebäude vorübergehend in schimmerndes Gold, und ich überlegte, während ich aus dem Fenster sah, daß mir diese anmutige Stadt auch früher schon sehr gefallen hatte. Ich war erfüllt von einer heiteren Gelassenheit und Ruhe, an die ich in den Tagen, die vor mir lagen, einige Male zurückdenken würde.
Bill Baudelaire kam, als der Himmel dunkel geworden war und ich das Licht angemacht hatte, und er schaute sich mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen in der Suite um.
«Freut mich, daß der alte Val Sie einquartiert hat, wie es einem reichen jungen Besitzer zukommt.«
Ich lächelte und klärte ihn nicht auf. Er hatte mir die Hand gegeben, als ich ihn einließ, und mich schnell und scharf von oben bis unten gemustert, wie Leute es tun, die gewohnt sind, Fremde auf einen Blick abzuschätzen, und keine Hemmungen haben, das auch zu zeigen.
Ich sah einen Mann von unvorteilhaftem Äußeren, aber spürbarem Charme, einen stämmigen Mann, viel jünger als der Brigadier, so um die Vierzig vielleicht, mit rötlichen Haaren, hellblauen Augen und blasser, von Aknenarben bedeckter Haut. Einmal gesehen, dachte ich, schwer zu vergessen.
Er trug einen dunkelgrauen Straßenanzug, ein cremefarbenes Hemd und einen roten Schlips, der sich mit seinen Haaren nicht vertrug, und ich fragte mich, ob er farbenblind war oder einfach den Effekt gut fand.
Er ging geradewegs durch den Salon, setzte sich in den Sessel, der am nächsten beim Telefon stand, und griff zum Hörer.
«Zimmerservice?«sagte er.»Schicken Sie bitte so bald wie möglich eine Flasche Wodka rauf und, ehm…«Einladend hob er die Brauen in meine Richtung.
«Wein«, sagte ich.»Roten. Am liebsten Bordeaux.«
Bill Baudelaire wiederholte meinen Wunsch, fügte ein Preislimit hinzu und legte auf.
«Sie können die Getränke auf Ihre Spesenrechnung setzen, ich zeichne sie dann ab«, sagte er.»Sie machen doch eine Spesenabrechnung?«
«In England schon.«
«Dann legen Sie hier auch eine an. Wie zahlen Sie die Hotelrechnungen?«
«Mit Kreditkarte. Meiner eigenen.«
«Ist das üblich? Na, egal. Geben Sie mir die Rechnungen, wenn Sie sie bezahlt haben, zusammen mit Ihrer Spesenabrechnung, und Val und ich kümmern uns darum.«
«Danke«, sagte ich. Val würde einen Anfall bekommen — aber nein, wenn ich es mir recht überlegte, wohl doch nicht. Er würde mir den vereinbarten Etat zahlen; Gerechtigkeit mußte sein.
«Nehmen Sie Platz«, sagte Bill Baudelaire, und ich setzte mich ihm gegenüber, ebenfalls in einen Sessel, und schlug die Beine übereinander. Da es mir in dem zentral geheizten Zimmer warm war, trug ich keine Jacke. Er betrachtete mich eine Weile und legte scheinbar unschlüssig die Stirn in Falten.
«Wie alt sind Sie?«fragte er unvermittelt.
«Neunundzwanzig.«
«Val sagte, Sie hätten Erfahrung. «Es war nicht direkt eine Frage, auch kein Infragestellen.
«Ich arbeite seit drei Jahren für ihn.«
«Er sagte, Sie würden in der Rolle überzeugen… und das stimmt. «Er klang jedoch eher verwundert als erfreut.»Sie wirken so elegant… das habe ich wohl nicht erwartet.«
Ich sagte:»Wenn Sie mich auf den billigeren Plätzen einer Rennbahn sähen, würden Sie meinen, ich sei dort geboren.«
Sein Gesicht erhellte sich zu einem Lächeln.»Na gut. Das soll mir recht sein. Also, ich habe Ihnen einen ganzen Stoß Unterlagen mitgebracht. «Er blickte auf den dicken Umschlag, den er neben das Telefon auf den Tisch gelegt hatte.»Einzelheiten über den Zug und einige der Leute, die damit reisen, und Einzelheiten über die Pferde und wie für sie alles geregelt ist. Es handelt sich ja um ein gewaltiges Unternehmen. Alle haben hart daran gearbeitet. Es ist unbedingt notwendig, daß sein gutes, gediegenes, makelloses Image von Anfang bis Ende gewahrt bleibt. Wir hoffen auf verstärkte weltweite Beachtung des kanadischen Rennsports. Natürlich sind wir mit dem Queen’s Plate im Juni oder Juli weltweit in den Schlagzeilen, aber wir möchten mehr ausländische Pferde anziehen. Unser Programm bekannter machen. Kanada ist ein großes Land. Wir möchten unser Ansehen im Bereich des internationalen Rennsports maximieren.«
«Ja«, sagte ich.»Verstehe ich schon. «Ich zögerte.»Haben Sie eine PR-Agentur hinzugezogen?«
«Was? Wieso fragen Sie? Ja, wir haben eine Agentur beauftragt. Spielt das eine Rolle?«
«Eigentlich nicht. Haben die einen Vertreter in dem Zug?«
«Um negative Zwischenfälle herunterzuspielen? Nein, es sei
denn…«Er brach ab und lauschte auf das, was er gesagt hatte.
«Verdammt, ich benutze schon deren Jargon. Da muß ich aufpassen. Man plappert so leicht nach, was sie sagen.«
Ein Klopfen an der Tür kündigte die Getränke an, serviert von einem überaus höflichen, langsamen Kellner, der wußte, wo in dem zimmereigenen Kühlschrank Eis und Mineralwasser zu finden waren. Der Kellner entkorkte den Wein in aller Gemächlichkeit, und Bill Baudelaire sagte mit unterdrückter Ungeduld, einschenken würden wir selbst. Als der schildkrötenhafte Kellner gegangen war, bedeutete er mir, mich zu bedienen, und goß für sich selber einen kräftigen Schuß Wodka in ein Glas voller Eiswürfel.