«M-hm«, stimmte ich zu.
«Rufen Sie mich Montag morgen an«, sagte Millington, und ich sagte:»Gut«, und hängte ein. Heute war Samstag. Sonntags hatte ich üblicherweise frei und montags auch, außer in Notfällen. Ich sah meinen Montag rasch entschwinden.
Millington litt wie der ganze Sicherheitsdienst und die Stewards des Jockey Club noch immer darunter, daß die große Gelegenheit, den vielleicht übelsten Gesellen, der im Schatten des Rennsports sein Unwesen trieb, hinter Gitter zu bringen, vor Gericht geplatzt war. Julius Apollo Filmer war angeklagt worden, den Mord an einem Stallburschen angestiftet zu haben, der unvorsichtigerweise in einer Kneipe in Newmarket laut und betrunken verkündet hatte, er wisse Sachen über den dreckigen, verfluchten Mr. Filmer, da würde man besagtes Arschloch schneller aus dem Rennsport entfernen, als Shergar das Derby gewonnen habe.
Der bedauernswerte Stallbursche tauchte zwei Tage später mit gebrochenem Genick in einem Straßengraben auf, und die Polizei trug (unterstützt von Millington) scheinbar unanfechtbare Beweise für ein Mordkomplott zusammen, um Julius Apollo Filmer als den Planer und Initiator dieses Verbrechens belangen zu können. Am Tag seines Prozesses passierten dann seltsame Dinge mit den vier Zeugen der Anklage. Eine Zeugin brach zusammen, bekam einen hysterischen Anfall und wurde in eine Nervenklinik eingewiesen, ein Zeuge verschwand völlig und wurde später in Spanien gesehen, und zwei äußerten sich merkwürdig unklar über Sachverhalte, an die sie sich vorher messerscharf hatten erinnern können. Die Verteidigung rief einen netten jungen Mann in den Zeugenstand, der unter Eid aussagte, Mr. Filmer sei überhaupt nicht in dem Hotel in Newmarket gewesen, in dem die Tat angeblich verabredet worden war, sondern habe den ganzen Abend in einem dreihundert Meilen entfernten Motel (Rechnung lag vor) mit ihm geschäftliche Angelegenheiten besprochen. Den Geschworenen wurde dabei vorenthalten, daß der wohlerzogene, gutgekleidete Jüngling mit den gefönten Haaren und der leisen Stimme bereits wegen Betrugs einsaß und in einer grünen Minna eingetroffen war.
Fast jeder andere im Gerichtssaal — Anwälte, Polizei, der Richter selbst — wußte, daß der nette junge Mann in der fraglichen Nacht gegen Kaution auf freiem Fuß gewesen war und daß Filmer, auch wenn der eigentliche Täter noch unbekannt war, ohne Zweifel die Ermordung des Stallburschen veranlaßt hatte.
Julius Apollo Filmer lächelte süffisant-zufrieden über das» Nicht schuldig«-Urteil und schloß seinen Anwalt heftig in die Arme. Die Gerechtigkeit war verhöhnt worden. Die Eltern des
Stallburschen weinten bitterlich an seinem Grab, und der Jockey Club knirschte einhellig mit den Zähnen. Millington schwor, er werde Filmer auf jeden Fall noch irgendwie beim Wickel kriegen, und machte einen persönlichen Rachefeldzug daraus: Die Verfolgung dieses einen Schurken ließ ihn an fast nichts anderes mehr denken. Mit großem Zeitaufwand hatte er in den Kneipen von Newmarket noch einmal alles überprüft, was der regulären Polizei an Erkenntnissen vorlag, und herauszufinden versucht, was Paul Shacklebury, der tote Stallbursche, Nachteiliges über Filmer gewußt haben konnte. Niemand ahnte es — jedenfalls wollte es niemand zugeben. Und wem konnte man schon verübeln, daß er nicht riskieren wollte, in einem Straßengraben zu enden.
Mehr Glück hatte Millington bei der hysterischen Zeugin gehabt, die jetzt wieder daheim war, aber noch immer unter Angstzuständen litt. Sie, die Zeugin, war Zimmermädchen in dem Hotel, in dem Filmer das Komplott besiegelt hatte. Sie hatte gehört — und war ursprünglich auch bereit gewesen, dies zu beschwören —, wie Filmer zu einem nicht identifizierten Mann sagte:»Wenn er tot ist, gibt’s fünf Riesen für Sie und fünf für den Vollstrecker, also leiten Sie das in die Wege.«
Sie hatte gerade frische Handtücher ins Badezimmer gehängt, als die beiden Männer, die sich da unterhielten, aus dem Flur hereinkamen. Filmer war schroff geworden und hatte sie rausgeschmissen, und den anderen Mann hatte sie sich nicht angeschaut. Sie hatte die Worte genau behalten, ihre Bedeutung aber freilich erst später erkannt. Gerade wegen des Wortes» Vollstrecker «konnte sie sich so genau erinnern.
Einen Monat nach dem Prozeß gab sie Millington gegenüber halbwegs zu, daß sie bedroht worden war, damit sie nicht als Zeugin aussagte. Wer hatte sie bedroht? Ein Mann, den sie nicht kannte. Aber sie werde es leugnen. Sie werde alles abstreiten, werde noch einmal zusammenbrechen. Der Mann hatte gedroht, ihrer sechzehnjährigen Tochter etwas anzutun. Etwas anzutun… er hatte das ganze schauerliche Programm im einzelnen dargelegt.
Millington, der Süßholz raspeln konnte, wenn ihm danach war, hatte sie mit so manchem schönen Versprechen (das er nicht unbedingt halten würde) überredet, mehrere Tage lang zu den Rennen zu kommen und dort, im Schutz verschiedener strategisch plazierter Sicherheitsbüros, aus dem Fenster zu sehen. Sie könne bequem im Verborgenen sitzen, unsichtbar, und er werde ihr ein paar Leute zeigen. Sie war nervös und erschien mit Perücke und dunkler Brille. Millington bewog sie, die Brille abzunehmen. Sie saß in einem geraden Lehnstuhl und drehte den Kopf, um über ihre Schulter auf mich zu blicken, denn ich stand schweigend hinter ihr.
«Stören Sie sich nicht an ihm«, sagte Millington.»Er gehört zur Firma.«
An Renntagen kam alle Welt an diesen Fenstern vorbei, und eben deshalb befanden sie sich dort. In drei langen Sitzungen während einer einzigen Woche auf drei verschiedenen Rennbahnen zeigte Millington ihr nahezu jeden bekannten Freund und Weggefährten Filmers, doch sie schüttelte bei allen den Kopf. Beim vierten Anlauf in der folgenden Woche schlenderte Filmer selbst vorbei, und ich dachte schon, wir würden einen neuerlichen hysterischen Anfall erleben. Nichts da; unser Zimmermädchen weinte zwar, schlotterte und wollte wiederholt versichert sein, er werde nie erfahren, daß sie ihn gesehen hatte, blieb aber auf dem Posten. Und kurz darauf erstaunte sie uns, indem sie auf eine Gruppe von Vorübergehenden wies, die wir noch nie mit Filmer in Verbindung gebracht hatten.
«Das ist er«, sagte sie keuchend.»O mein Gott… das ist er… den würde ich überall rauskennen.«
«Welchen?«sagte Millington eindringlich.
«Den in Blau… mit den gräulichen Haaren. O mein Gott…
daß er bloß nichts erfährt…«Ihre Stimme hob sich vor Panik.
Ich hörte noch, wie Millington wieder anfing, sie zu beruhigen, als ich schnell aus dem Büro ins Freie rannte und mich dort augenblicklich dem viel langsameren Tempo der Leute anpaßte, die für das nächste Rennen vom Führring zur Tribüne strebten. Der blaue Anzug mit dem silbernen Haarschopf darüber hatte es nicht eilig, er ließ sich vom Strom der Menge tragen. Ich folgte ihm heimlich für den Rest des Nachmittags, und nur einmal nahm er mit Filmer Kontakt auf, scheinbar ganz zufällig, wie unter Fremden.
Die Begegnung sah aus, als frage der blaue Anzug Filmer, wie spät es sei. Filmer blickte auf seine Armbanduhr und sagte etwas. Blauer Anzug nickte und ging weiter. Blauer Anzug war zwar Filmers Mann, sollte aber in der Öffentlichkeit nicht als solcher zu erkennen sein: das gleiche wie bei mir und Millington.
Ich folgte dem marineblauen Anzug von der Rennbahn in den Heimreiseverkehr und rief vom Auto aus Millington an.
«Er fährt einen Jaguar«, sagte ich,»Kennzeichen A 576 FDD. Er hat mit Filmer gesprochen. Es ist unser Mann.«
«Gut.«
«Wie geht’s der Dame?«fragte ich.
«Wem? Ach so. Der mußte ich Harrison bis nach Newmarket mitgeben. Sie war wieder halb ausgerastet. Haben Sie Ihren Mann noch im Visier?«
«Ja.«
«Ich rufe Sie zurück.«
Harrison war einer von Millingtons regulärer Truppe, ein Expolizist, dick, onkelhaft, kurz vor der Rente. Ich hatte noch nie mit ihm gesprochen, kannte ihn vom Sehen aber gut, wie alle anderen auch. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, zu einer Mannschaft zu gehören, die nicht wußte, daß ich da war; fast so, als wäre ich ein Geist.