Filmer kaufte hin und wieder Pferde auf Auktionen, über einen Agenten oder Trainer, erstand sie meistens aber aus privater Hand, ein völlig korrektes Verfahren. Jeder Besitzer hatte jederzeit die Möglichkeit, seine Pferde an jemand anders zu verkaufen. Das Erstaunliche an einigen Erwerbungen Filmers war, daß niemand erwartet hätte, der frühere Besitzer würde das Pferd überhaupt verkaufen.
Millington hatte mich während meiner ersten Woche beim Sicherheitsdienst schon über ihn informiert, jedoch nur als jemand, auf den man allgemein achten sollte, nicht als vordringlichen Fall.
«Er setzt Leute unter Druck«, sagte Millington.»Da sind wir uns sicher, aber wir wissen nicht wie. Er ist viel zu gerissen, um was vor unserer Nase zu machen. Glauben Sie nur nicht, daß Sie ihn erwischen, wie er bündelweise Geld für Informationen verteilt oder irgend so etwas Plumpes. Halten Sie nach Leuten Ausschau, die nervös sind, wenn er in der Nähe ist, okay?«
«In Ordnung.«
Von denen hatte ich einige ausgemacht. Die beiden Trainer, die seine Pferde betreuten, nahmen sich vor ihm in acht, und die meisten Jockeys, die sie ritten, gaben ihm die Hand nur mit den Fingerspitzen. Die Presse, die wußte, daß er keine Fragen beantwortete, nahm sich kaum die Mühe, ihm welche zu stellen. Eine ehrerbietige, dekorative Freundin tanzte nach seiner Pfeife, und der männliche Begleiter, der häufig mit dabei war, parierte ebenfalls. Dennoch war an seinem allgemeinen Verhalten bei den Rennen nichts Rüdes. Er lächelte zur gegebenen Zeit, gratulierte anderen Besitzern nickend auf dem Absattelplatz für den Sieger und tätschelte seine Pferde, wenn sie ihn zufriedenstellten.
Er war achtundvierzig, massig, knapp ein Meter achtzig groß. Millington sagte, die Masse bestehe vorwiegend aus Muskeln, da Filmer dreimal die Woche in ein Fitneßcenter rackern gehe. Über den Muskeln befand sich ein wohlgeformter Kopf mit großen anliegenden Ohren und vollem schwarzem, graumeliertem Haar. Ich war nicht nah genug an ihn herangekommen, um die Farbe seiner Augen zu sehen, doch laut Millington waren sie grünlichbraun.
Es ärgerte Millington ziemlich, daß ich mich weigerte, Filmer groß zu beschatten. Zum einen aber hätte der mich irgendwann sicher bemerkt, und zum anderen erübrigte es sich. Filmer war ein Gewohnheitstier, sein Weg führte in vorhersehbaren Abständen vom Auto zum Lunch, zum Buchmacher, zur Tribüne, zu den Pferden. Auf jeder Bahn hatte er einen Lieblingsplatz, von wo er den Rennen zuschaute, einen Lieblingsaussichtspunkt mit Blick auf den Führring und eine Lieblingsbar, wo er meistens Lager trank und der Freundin Wodka aufdrängte. Er hatte auf zwei Rennbahnen eine Loge gemietet und stand auf mehreren anderen auf der Warteliste, wobei es ihm eher um Ungestörtheit zu gehen schien als um die großzügige Bewirtung von Freunden.
Geboren war er auf der Insel Man, dieser felsigen, den Blicken Englands entzogenen Steueroase in der stürmischen Irischen See, und aufgewachsen in einem Hort von Millionären, die hier Zuflucht vor den schwindelerregend hohen Steuern des Festlands suchten. Sein Vater war als schlauer Fuchs bewundert worden, der es verstand, den Geflohenen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der junge Julius Apollo Filmer (sein richtiger Name) hatte gut gelernt und den Vater mit seinen Fischzügen noch übertroffen, bis er zu ferneren Ufern aufgebrochen war; und an dem Punkt hatten sie, wie Millington düster sagte, seine Spur verloren. Etwa sechzehn Jahre später tauchte Filmer dann auf Rennbahnen auf, gab als Beruf» Direktor «an und schwieg sich über die Herkunft seines stattlichen Einkommens aus.
Im Vorfeld des Komplottprozesses hatte die Polizei sich nach Kräften bemüht, Näheres über seine Verhältnisse ans Licht zu fördern, doch Julius Apollo wußte, wozu Firmen mit Auslandssitz gut waren, und hatte sie im Nebel stehenlassen. Offiziell lebte er noch immer auf der Insel Man, obgleich er nie lange dort war. Während der Flachsaison teilte er seine Zeit zwischen Hotels in Newmarket und Paris auf, und im Winter verschwand er, soweit es den Sicherheitsdienst betraf, ganz aus dem Blickfeld. Hindernisrennen, der Wintersport, lockten ihn nicht.
Während meines ersten Sommers beim Sicherheitsdienst hatte er zu jedermanns Überraschung einen der vielversprechendsten Zweijährigen im Land gekauft. Überraschung deshalb, weil der vorherige Besitzer, Ezra Gideon, einer der geborenen Aristokraten des Rennsports war, ein hochgeachteter und ungemein reicher älterer Mann, der für seine Pferde lebte und sich an ihren Erfolgen freute. Niemand hatte ihn dazu bewegen können zu sagen, weshalb er sich von seinem besten Tier getrennt hatte oder zu welchem Preis: Er ertrug den Höhenflug des Pferdes im darauffolgenden Herbst, seine glänzende Dreijährigen-Saison und schließlich seine Multi-Millionen-Pfund-Syndikatisierung für die Zucht mit gleichbleibend steinerner Miene.
Nach Filmers Freispruch hatte Ezra Gideon ihm erneut einen sehr aussichtsreichen Zweijährigen verkauft. Die hohen Herren des Jockey Club flehten Gideon praktisch auf Knien an, ihnen den Grund zu nennen. Er sagte lediglich, es sei eine private Vereinbarung — und seitdem hatte man ihn auf keiner Rennbahn mehr gesehen.
An dem Tag, als Derry Welfram starb, fuhr ich heim nach London und fragte mich einmal mehr und wie so viele Leute schon so oft, welches Druckmittel Filmer gegen Gideon eingesetzt haben mochte. Erpresser waren weitgehend arbeitslos geworden, seit Ehebruch und Homosexualität durch alle Medien geisterten, und man konnte sich den altmodischen, aufrechten Ezra Gideon nicht als Missetäter einer neu in Mode gekommenen Spielart, etwa als Insider-Händler oder Kinderschänder vorstellen. Und doch hätte er Filmer ohne überaus zwingenden Grund niemals zwei solche Pferde verkauft und sich um das größte Vergnügen seines Lebens gebracht.
Armer alter Mann, dachte ich. Derry Welfram oder jemand ähnliches hatte ihm zugesetzt, so wie den Zeugen, wie dem toten Paul Shacklebury in seinem Graben. Armer alter Mann — zu viel Angst vor den Folgen, um sich helfen zu lassen.
Bevor ich zu Hause ankam, summte noch einmal das Telefon in meinem Wagen, und ich ergriff den Hörer und hörte Millingtons Stimme.
«Der Chef möchte Sie sehen«, sagte er.»Heute abend um acht, an gewohnter Stelle. Irgendwelche Einwände?«
«Nein«, sagte ich.»Ich werde dort sein. Wissen Sie… ehm… warum?«
«Ich nehme an«, sagte Millington,»weil Ezra Gideon sich erschossen hat.«
Kapitel 2
Der Chef, Brigadier Valentine Catto, Sicherheitsdirektor des Jockey Club, war klein, mager und ein Kommandeur vom gelichteten blonden Scheitel bis zu den polierten Schuhspitzen. Er verfügte über all das Organisationstalent, das man brauchte, um in der Armee aufzusteigen, er war intelligent, ruhig und hörte einem aufmerksam zu.
Ich lernte ihn kennen, als der alte Clement Cornborough mich irgendwann erneut zum Lunch einlud, um, wie er sagte, eingehend die Auflösung der Treuhandschaft zu besprechen, die er vor zwanzig Jahren für mich übernommen hatte. Eine kleine Feier, sagte er. In seinem Club.
Sein Club war, wie sich zeigte, der Hobbs Sandwich Club nahe dem als Kennington-Oval bekannten Kricketplatz, ein viktorianisches Schlößchen mit üppiger dunkler Bar und üppigen dunklen Clubräumen; die eichengetäfelten Wände schmückten zahllose Porträts von Herren mit kleinen Kricketmützen, weiten Flanellhosen und (ziemlich oft) Backenbärten.
Hobbs Sandwich, sagte er, als er durch die Buntglastür voranging, war nach zwei großen Kricketspielern aus Surrey, aus den Zwischenkriegsjahren benannt — Sir Jack Hobbs, einer der wenigen jemals geadelten Kricketspieler, und Andrew Sandham, der einhundertsiebenmal 100 Läufe im Spitzenkricket geschafft hatte. Lange bevor ich geboren war, sagte er.