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Locken beispielsweise kamen nicht in Frage, denn sie verschwanden im Regen. Klebebärte schieden aus, da sie vielleicht abgingen. Eine Brille schied aus, da man vergessen konnte, sie aufzusetzen. Ich würde im wesentlichen so aussehen müssen, wie die Natur mich geschaffen hatte, und ich mußte so nichtssagend, so unauffällig sein wie möglich.

Ich suchte meine teuersten und am wenigsten getragenen Sachen heraus und entschied, daß es besser wäre, mir noch neue Hemden, neue Schuhe und einen Kaschmirpullover zu kaufen, ehe ich fuhr.

Montag früh rief ich wie angewiesen Millington an und erlebte ihn wie gewohnt verdrießlich. Er hatte von dem Zug gehört. Er hielt nichts davon, daß ich da mitfuhr. Der Sicherheitsdienst (gemeint war der Brigadier) hätte einen ausgebildeten Fachmann schicken sollen, vorzugsweise einen Expolizisten. Wie ihn, zum Beispiel. Jemanden, der sich in Kriminaltechnik und — taktik auskannte und bei dem man sich darauf verlassen konnte, daß er wichtiges Beweismaterial nicht aus Unkenntnis und Ungeschick zerstörte. Ich ließ ihn so lange ohne Unterbrechung reden, daß er schließlich scharf fragte:»Sind Sie noch da?«

«Ja«, sagte ich.

«Ich möchte Sie sehen, möglichst heute morgen noch. Ich bringe Ihre Flugkarte mit. Einen gültigen Paß haben Sie doch wohl?«

Wir verabredeten uns wie schon öfter in einem recht guten Schnellimbiß an der Victoria Station, günstig gelegen für Millington, der ein paar Meilen südlich auf der anderen Seite der Battersea Bridge wohnte, und für mich nur wenige Stationen mit der Südlinie.

Ich traf zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit ein und sah Millington bereits an einem Tisch vor einem Becher mit brauner Flüssigkeit und mehreren Wurstbrötchen sitzen. Ich schnappte mir ein Tablett, schob es die Ablage vor der Vitrine entlang und nahm ein Stück Käsekuchen aus einem der aufklappbaren Türchen. Eigentlich fand ich das Glastürensystem ganz gut: Wenn man Glück hatte, dann hatte einem nicht die breite Öffentlichkeit auf den Käsekuchen geniest, sondern nur ein, zwei Köche und die Bedienung.

Millington betrachtete mein teilhygienisches Gebäck und sagte, er selber ziehe die Zitronensahne vor.

«Die schmeckt mir auch«, sagte ich.

Millington war ein dicker Mann mit einem Faible für Bier und jede Art Kuchen, der es dankbar aufgegeben haben mußte, auf sein Gewicht zu achten, seit er bei der Polizei weggegangen war. Jetzt sah er nach satten hundertzehn Kilo aus, und wenngleich nicht fett, so war er doch eine ausgesprochen kompakte Masse, dabei aber von einer Beweglichkeit, die er im Rahmen seiner Arbeit gut einsetzte. Viele kleine Rennbahngauner hatten schon irrtümlich angenommen, Millington könne im Gedränge nicht wie ein Wiesel hinter ihnen herjagen, bis sie die strafende Hand dann schwer auf ihren Kragen fallen spürten. Ich hatte Millington einmal einen ausgebüxten Taschendieb fangen sehen: ein packender Anblick.

Das große Imbißlokal, blitzblank und sauber, war immer schrecklich laut, da pausenlos Popmusik dröhnte, begleitet von über den Fußboden scharrenden Stühlen und dem Geklapper im Galopp eingenommener Mahlzeiten. Die Kunden waren zumeist Reisende, die mit Zügen ohne Büfettwagen angekommen waren oder weiterwollten, ausgehungert oder vorsorgend; sie sahen auf ihre Armbanduhr, schütteten den zu heißen Kaffee hinunter, scherten sich nicht um andere, brachen hastig auf. Keiner achtete je auf Millington oder mich, und keiner konnte je gehört haben, was wir sagten.

Wir trafen uns hier nie, wenn an Orten wie Plumpton, Brighton, Lingfield und Folkestone Rennen abgehalten wurden; dann nämlich konnte der ganze Rennzirkus durch Victoria Station rauschen. Auch trafen wir uns nie in der Nähe der Sicherheitsdienstzentrale des Jockey Club am Portman Square. Schon seltsam, dachte ich zuweilen, daß ich noch kein einziges Mal die Residenz meiner Arbeitgeber von innen gesehen hatte.

Millington sagte:»Ich bin nicht damit einverstanden, daß Sie mit Filmer reisen.«

«Das habe ich mitgekriegt«, erwiderte ich.»Sie sagten es schon.«

«Der Mann ist ein Mörder.«

Er war natürlich nicht um meine Sicherheit besorgt, sondern meinte, ich sei dem Gegner nicht gewachsen.

«Er muß in dem Zug ja nicht unbedingt jemand ermorden«, sagte ich ironisch.

«Das ist kein Scherz«, versetzte er streng.»Und danach wird er Sie kennen, und Sie werden uns, was ihn betrifft, auf der Rennbahn nicht mehr von Nutzen sein.«

«Der Brigadier sagte, rund fünfzig Personen nehmen an dieser Reise teil. Ich werde Filmers Augenmerk nicht groß auf mich lenken. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß er sich hinterher an mich erinnert.«

«Sie sind zu nah bei ihm«, beharrte Millington.

«Nun ja«, sagte ich nachdenklich,»es ist unsere erste und einzige Chance bisher, überhaupt mal richtig nah an ihn heranzukommen. Selbst wenn er nur einen harmlosen Urlaub macht, dürften wir dadurch eine Menge mehr über ihn erfahren.«

«Mir liegt nichts daran, Sie zu verheizen«, sagte Millington und schüttelte den Kopf.

Ich sah ihn echt überrascht an.»Das ist neu.«

«Ich wollte zuerst nicht, daß Sie für uns arbeiten«, meinte er achselzuckend.»Hab mir nichts davon versprochen, fand es blödsinnig. Jetzt sind Sie mein Augenlicht. Die Augen in meinem Hinterkopf, über die sich die Schurken beklagen, seit Sie angefangen haben. Und wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, ich möchte Sie nicht verlieren. Ich sagte dem Brigadier, wir würden unsere Trumpfkarte vergeuden, wenn wir Sie in den Zug setzen. Er meinte, wir würden den Trumpf vielleicht ausspielen, und wenn wir Filmer dadurch loswerden könnten, lohne sich das auch.«

Ich blickte in Millingtons besorgtes Gesicht. Ich sagte langsam:

«Wissen Sie, oder weiß der Brigadier irgend etwas über Filmers Reisepläne, was Sie mir verschwiegen haben?«

«Als er das sagte«, Millington sah auf seine Wurstbrötchen nieder,»stellte ich ihm die gleiche Frage. Er gab keine Antwort. Ich selber weiß nichts. Sonst würde ich es Ihnen sagen.«

Vielleicht würde er das, dachte ich. Vielleicht auch nicht.

Am nächsten Tag, Dienstag, fuhr ich in den Norden, nach Nottingham, um wie immer mein hartes Tagwerk zu verrichten, indem ich beim Pferderennen herumhing und weiter gar nichts tat.

Ich hatte die neuen Kleider und einen neuen Koffer gekauft und schon mehr oder minder fertig gepackt für meine Abreise am nächsten Morgen, und das alte Fernweh, das mich schon einmal sieben Jahre umgetrieben hatte, war aus seinem jüngsten Schlummer erwacht und hatte mir einen kräftigen Rippenstoß versetzt. Millington, dachte ich, hätte weniger Angst haben sollen, mich an Filmer zu verlieren als an den alten verführerischen Reiz des Wanderns, Weiterziehens — immer gespannt auf das, was hinter der nächsten Ecke kam.

Jetzt konnte ich wohl in Fünf-Sterne-Manier reisen statt mit einem Rucksack; in Limousinen statt Bussen; Haute Cuisine essen statt Bockwurst; in Palm Beach wohnen statt in staub schluckenden Nestern. Wahrscheinlich würde mir der Luxus eine Zeitlang gefallen, vielleicht auch längere Zeit, aber um im Lot zu bleiben, würde ich mich schließlich doch von dem Süßwarenladen losreißen müssen und irgend etwas arbeiten; das durfte ich nicht hinausschieben, bis mir der Sinn für die einfachen Dinge des Lebens verlorenging.

Ich trug, vielleicht als Huldigung an die einfachen Dinge, eine abgewetzte Lederjacke und eine flache Stoffmütze, die Fernglaskamera um den Hals, ein Rennprogramm in der Hand. Ich stand irgendwo vor dem Waageraum, beobachtete, wer kam und wer ging, wer mit wem sprach, wer bekümmert, wer glücklich, wer boshaft aussah.

Ein junger Nachwuchsreiter von wachsendem Ansehen kam in Straßenkleidung, nicht im Reitdreß aus dem Waageraum, blieb stehen und blickte sich um, als suche er jemanden. Seine Augen hörten auf zu wandern und konzentrierten sich, und ich war neugierig, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er sah auf den bezahlten Steward des Jockey Club, der bei dem Meeting als die Autorität in Menschengestalt fungierte. Der Steward unterhielt sich mit zwei Leuten, die an diesem Tag ein Pferd laufen ließen, und nach einer Weile zog er den Hut vor der Dame und ging zum Führring hinüber.