Der Nachwuchsreiter schaute ruhig hinter seinem entschwindenden Rücken her, dann noch einmal prüfend auf die Leute, die in der Nähe waren. Als er nichts Beunruhigendes sah, machte er sich auf den Weg zu dem Teil der Tribüne, von dem aus die Jockeys den Rennen zuschauten, und stieß zu einem jungen Mann, mit dem er ein Stück ging und redete. Sie trennten sich nahe der Haupttribüne, und ich, auf ihren Fersen, zog meine Aufmerksamkeit von dem Lehrling ab und folgte statt dessen dem anderen Mann. Er ging geradewegs zum Buchmacherplatz vor der Tribüne und an den Reihen der Buchmacher entlang zum Herrschaftsbereich von Collie Goodboy, der seine Offerten von einer kleinen Plattform im Bierkastenformat herunterschrie.
Der Kontaktmann des Nachwuchsreiters wettete nicht. Er ergriff ein Rechnungsbuch und begann die Wetten anderer einzutragen. Er sagte etwas zu Collie Goodboy (Les Morris von Haus aus), der bald darauf die gebotenen Quoten von seiner Tafel wischte und neue hinschrieb. Die neuen waren großzügig. Collie Goodboy wurde mit einem Ansturm von eifrigen Wettkunden belohnt, die die Einladung unbedingt annehmen wollten. Collie Goodboy strich methodisch ihr Geld ein.
Mit einem Seufzer wandte ich mich ab und schlenderte zur Tribüne hinauf, um mir das nächste Rennen anzusehen, beobachtete wie üblich die Menge, schaute, was los war. Zum Schluß stand ich nicht weit oberhalb des Geländers, das den Buchmacherring (genannt Tattersalls Enclosure) von den teuren Mitgliederplätzen trennte. Dort ging ich oft hin, denn von da aus konnte man die Leute vor und auf der Tribüne gut sehen. Man konnte auch sehen, wer an das Geländer — die» Rails«- kam, um bei den Buchmachern, die in dieser bevorzugten Stellung agierten, Wetten anzulegen. Die» Rails«-Buchmacher waren die Könige ihrer Branche, freundlich, entgegenkommend, fair; knallharte, glänzende Rechner.
Ich beobachtete wie immer, wer bei wem Wetten abschloß, und als ich bei dem Buchmacher anlangte, der am nächsten zur Tribüne, am nächsten zu mir stand, sah ich, daß sein derzeitiger Kunde Filmer war.
Ich schaute ihm beim Setzen zu, dachte an die bevorstehende Zugreise, da legte er den Kopf zurück und sah mir direkt in die Augen.
Kapitel 3
Ich wandte sofort, aber ruhig den Blick ab und sah etwas später wieder hm.
Filmer unterhielt sich noch mit dem Buchmacher. Ich schob mich durch das Gedränge hinter mir nach oben, bis ich etwa fünf Reihen höher war und umgeben von anderen Rennbahnbesuchern.
Filmer blickte nicht zu der Stelle zurück, an der ich gestanden hatte. Er blickte nicht suchend umher, um zu sehen, wo ich geblieben war.
Mein klopfendes Herz beruhigte sich ein wenig. Der Blickkontakt war zufällig — mußte ein Zufall gewesen sein. Dennoch furchtbar unangenehm, gerade jetzt.
Ich hatte nicht erwartet, daß er in Nottingham sein würde, und nicht nach ihm Ausschau gehalten. Zwei seiner Pferde sollten zwar laufen, aber Filmer selbst kam nie zu den Midlandbahnen von Nottingham, Leicester oder Wolverhampton. Wie in so vielem anderen, hatte er auch bei Rennbahnen bestimmte Vorlieben: immer ein Gewohnheitstier.
Ich verzichtete darauf, seine Schritte genau zu überwachen, denn das war nicht nötig. Vor dem nächsten Rennen würde er unten am Führring sein, um zu sehen, wie sein Pferd herumgeführt wurde, und dort konnte ich ihn wieder einholen. Ich sah nur zu, wie er die Wette klarmachte und davonging, um wegen des anstehenden Rennens die Tribüne hinaufzusteigen; allem Anschein nach war er allein, und auch das war ungewöhnlich, meistens stand die Freundin oder der männliche Begleiter unterwürfig in Bereitschaft.
Das Rennen begann, und ich verfolgte es interessiert. Der geschwätzige Lehrling selbst ritt zwar nicht mit, doch der Stall,der ihn beschäftigte, hatte einen Starter. Der Starter trat als dritter Favorit an und wurde Drittletzter. Ich warf einen Blick auf Collie Goodboy und sah ihn lächeln. Ein häufiger, trauriger, betrügerischer Vorgang, der dem Rennsport nicht guttat.
Filmer lief die Tribüne hinunter und strebte den Sattelboxen zu, um, wie er es immer tat, die letzten Vorbereitungen für den Lauf seines Pferdes zu überwachen. Ich zockelte vorsichtshalber hinter ihm her, aber er ging tatsächlich dorthin. Von da zum Führring, von da zu demselben Buchmacher wie vorher, um eine Wette anzulegen, von da zur Tribüne, um sein Pferd laufen zu sehen. Von da zum Absattelplatz für den Zweiten.
Filmer nahm die Niederlage gelassen hm und beglückwünschte wie immer demonstrativ den siegreichen Besitzer, in diesem Fall eine beleibte Dame mittleren Alters, die errötete und sich offenbar geschmeichelt fühlte.
Filmer verließ den Absattelplatz mit einem selbstzufriedenen Grinsen und sah sich gleich darauf einem jungen Mann gegenüber, der ihm einen Aktenkoffer in die Hand zu drücken versuchte.
Julius Apollos Miene schlug schneller von Selbstgefälligkeit in Wut um als Shergar das Derby gewann, hätte Paul Shacklebury sagen können. Filmer wies die Tasche zurück und fauchte den Überbringer regelrecht an, wobei sein schwarzes Haupt vorstieß wie eine zubeißende Kobra. Der junge Mann mit dem Aktenkoffer wich übernervös zurück und lief erschreckt davon, und Filmer, der sich wieder in die Gewalt bekam, schaute erst einmal vage in Richtung der Stewards und der Presseleute, um festzustellen, ob sie etwas bemerkt hatten. Da keiner von ihnen diesen Eindruck erweckte, atmete er sichtlich erleichtert auf — und zu mir hatte er gar nicht hergesehen.
Ich folgte dem abgeschmetterten jungen Mann, der den Aktenkoffer noch im Arm hielt. Er ging schnurstracks zur Herrentoilette, verbrachte dort längere Zeit und kam blaß wieder zum Vorschein. Filmers Wirkung auf die Eingeweide von Leuten, sinnierte ich, hätte jedes Abführmittel beschämt.
Der verstörte Jüngling mit dem Aktenkoffer begab sich sodann nervös zum Ausgang, vor dem ein dünner, älterer Mann ihn ungeduldig erwartete. Als der dünne Mann sah, daß der Aktenkoffer noch im Besitz des nervösen jungen Mannes war, schaute er fast so wütend drein wie Filmer, und es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, die sich anhand der lebhaften Hackgesten als Donnerwetter deuten ließ, auch wenn man die Worte nicht verstand.
Der Dünne stieß den Nervösen mehrere Male vor die Brust. Der Nervöse ließ die Schultern hängen. Der Dünne wandte sich ab und marschierte hinaus auf den Parkplatz.
Der Nervöse ging mit dem Aktenkoffer wieder durch das Tor zurück und in die nächste Bar, und ich mußte lange bei den paar Gästen dort herumhängen, bevor wieder etwas geschah. Die dünn gesäte Kundschaft sah auf den Monitor; der nervöse Mann trat von einem Fuß auf den anderen, schwitzte und hatte ein wachsames Auge auf die Leute, die draußen im Freien vorübergingen. Dann, einige Zeit nachdem Filmers zweiter Starter es probiert und (dem Fernsehkommentar zufolge) verloren hatte, kam Filmer selbst vorbei, zerriß die Wettscheine und sah nicht eben erfreut aus.
Der nervöse Mann schoß von seiner Wartestellung gleich beim Eingang der schützenden Bar nach draußen und bot den Aktenkoffer erneut an — und diesmal nahm ihn Filmer, obschon er dabei äußerst gereizt wirkte und wieder scharfe Blicke um sich warf. Er sah nichts, was ihn beunruhigt hätte. Er ging ja nach dem fünften der sechs Rennen, und alle Vertreter der Obrigkeit hatten noch zu tun. Er packte den Griff der Tasche und schritt zielbewußt hinaus zu seinem Wagen.
Der nervöse Mann scharrte noch ein wenig mit den Füßen, dann folgte er Filmer zum Tor hinaus, auf den Parkplatz. Ich hängte mich wieder dran und sah sie beide noch zu ihren Fahrzeugen streben, wenngleich in verschiedenen Richtungen. Ich folgte dem Nervösen, nicht Filmer, und sah ihn auf der Beifahrerseite eines Autos einsteigen, in dem bereits der anscheinend immer noch verstimmte Dünne saß. Sie fuhren nicht gleich los, und ich hatte Zeit, in Ruhe hinter ihrem Wagen vorbei zu meinem zu gehen, der wie immer in der Nähe der Ausfahrt stand, um eine rasche Verfolgung zu gewährleisten. Ich merkte mir ihr Kennzeichen, falls ich sie später verlieren sollte; und als ich mich auf der Straße bequem hinter ihnen einordnete, rief ich Millington an.