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»Ich soll auf dem Boden bleiben. Nicht zu …«, fast hätte ich »enthusiastisch« gesagt, aber ich bremste mich gerade noch rechtzeitig, »… nicht übereifrig werden.«

»Sie sollen dieses Glühen aus Ihrem Auge verbannen, mein Junge. Von nun an und allezeit. Denn wenn ich das noch einmal bei Ihnen sehe, muß ich mir Sorgen um Sie machen. Wir sind Gläubige, aber wir sind keine Fanatiker. Von Ihren ungewöhnlichen Gaben einmal abgesehen, ist das, was wir Ihnen hier anbieten,

ganz normale dröge Brotarbeit, ein Job, wie Sie ihn an einem x-beliebigen verregneten Nachmittag für einen x-beliebigen Auftraggeber ausführen würden, nur eben mit Königin und Nation im Blick, was Ihnen und mir viel wert ist.«

Ich versicherte ihm – sorgfältig darauf bedacht, nicht übereifrig zu wirken –, daß Vaterlandsliebe auf meiner persönlichen Hitliste ganz oben stand.

»Gut, ein paar andere Unterschiede gibt es natürlich auch noch«, fuhr er fort, wie um einen Einwand zu entkräften, den ich nicht gemacht hatte. »Zum Beispiel, daß Sie von uns so gut wie keine Hintergrundinformationen bekommen werden, bevor Sie Ihren Kopfhörer aufsetzen. Sie werden nicht wissen, wer mit wem spricht, oder wo, oder worüber, oder wie wir an das Gespräch gekommen sind. Jedenfalls nicht, wenn wir es verhindern können, weil das nämlich fahrlässig wäre. Und sollten Sie dennoch so Ihre kleinen Vermutungen haben, rate ich Ihnen dringend, sie für sich zu behalten. Dazu haben Sie sich verpflichtet, Salvo, das ist mit geheim gemeint, und in der Sekunde, in der wir Sie bei einem Verstoß gegen die Regeln erwischen, sind Sie nicht nur draußen, Sie haben auch ein schwarzes Kreuz hinter Ihrem Namen. Und unser Schwarz läßt sich nicht so leicht wegwaschen wie das anderer Leute«, schob er mit Genugtuung nach, und ich tat mich schwer, darin keine unbewußte Anspielung auf meine Hautfarbe zu sehen. »Falls Sie also dieses Blatt Papier zerreißen und vergessen möchten, daß Sie jemals hier waren – jetzt ist Ihre letzte Chance dazu.«

Worauf ich schluckte und so leichthin wie möglich sagte: »Nein, Sir. Ich bin dabei – wirklich«, und er mir die Hand schüttelte und mich willkommen hieß in der ehrenwerten Gemeinschaft der Tondiebe, wie er sie nannte.

* * *

Ich sollte gleich dazusagen, daß Mr. Andersons Dämpfer nicht lange vorhielt. Droge Brotarbeit? Der Chatroom?! Dieser unterirdische Hochsicherheitsbunker mit seinen vierzig schalldichten Kabinen, wo der fesche Barney, unser Boß mit den bunten Westen, von einer Galerie aus über uns wacht? Und wo uns Mädchen in Jeans unsere Tonbänder und Verschriftungen und, politisch höchst unkorrekt, auch unseren Tee holen und bringen, während ich einen hochrangigen Acholi-sprechenden Angehörigen der ugandischen Lord’s Resistance Army dabei belausche, wie er per Satellitentelefon über die Errichtung einer Basis im benachbarten Ostkongo verhandelt, um im nächsten Moment hinübergeschaltet zu werden in die Hafenanlagen von Daressalam, wo im Hintergrund Frachter beladen werden und Händler ihre Waren anpreisen und im Vordergrund ein wackeliger Tischventilator mal lauter und mal leiser summt, während er die Fliegen von einem Haufen blutrünstiger Islamismussympathisanten fernhält, die ein Arsenal von Flugabwehrraketen als Baumaschinen getarnt ins Land schmuggeln wollen? Oder um noch am selben Nachmittag zum einzigen Ohrenzeugen eines Trios von korrupten ruandischen Armeeoffizieren zu werden, die mit einer chinesischen Delegation über den Preis gestohlener kongolesischer Bodenschätze feilschen? Oder sich in der Limousine eines kenianischen Politbonzen durch das Hupengeplärr auf den Straßen Nairobis chauffieren zu lassen, während der hohe Herr eine fette Bestechungssumme dafür einstreicht, daß er einen indischen Bauunternehmer fünfhundert Meilen neugebauter Straßen mit einer einzelnen papierdünnen Asphaltschicht teeren läßt, die unter Garantie mindestens zwei Regenzeiten überdauern wird? Von wegen Brotarbeit, Mr. Anderson. Tempeldienst wäre noch untertrieben!

Aber ich ließ niemanden das Glühen in meinem Auge sehen, nicht einmal Penelope. Wenn du nur wüßtest! dachte ich bei mir, wenn sie mich wieder einmal vor ihrer Busenfreundin Paula herunterputzte oder zu einer ihrer Wochenendkonferenzen aufbrach, an denen außer ihr niemand teilzunehmen schien und von denen sie immer ganz in sich gekehrt zurückkam, still und zufrieden vom vielen Konferieren. Wenn du nur wüßtest, daß dein kleiner schwarzer Lustknabe auf der Gehaltsliste des britischen Geheimdiensts steht!

Aber ich wurde nie schwach. Schnelle Befriedigung war meine Sache nicht. Ich erfüllte meine Pflicht am Vaterland.

* * *

Unser Ford Mondeo hatte den Berkeley Square umfahren und bog in die Curzon Street ein. Kurz nach dem Kino hielt Fred am Bordstein an und beugte sich über die Rücklehne zu einem kleinen Tête-à-tête unter Spionen.

»Da drüben ist es, Kumpel«, sagte er gedämpft und neigte den Kopf in die Richtung, ohne mit dem Finger hinzuzeigen, falls wir beobachtet wurden. »Die Zweiundzwanzig b, grüne Tür auf der linken Seite, hundert Meter von hier. Oberste Klingel, Harlow, wie die Stadt. Sagen Sie, Sie hätten ein Paket für Harry.«

»Ist Barney auch dort?« fragte ich, von jäher Nervosität gepackt ob der Vorstellung, Mr. Anderson in ungewohnter Umgebung ganz allein gegenübertreten zu müssen.

»Barney? Wer ist Barney?«

Zerfallen mit mir, weil ich überflüssige Fragen stellte, trat ich auf den Gehsteig hinaus. Ein Hitzeschwall schlug mir entgegen. Ein kurvenfahrender Radler mähte mich um ein Haar um und fluchte. Fred brauste davon und ließ mich mit einem Gefühl des Verwaistseins zurück. Ich überquerte die Straße und bog in die South Audley Street ein. Die Zweiundzwanzig b gehörte zu einer Reihe von roten Backsteinhäusern mit sehr steilen Eingangstreppen. Ein trübes Lämpchen beleuchtete sechs Klingelschilder. Auf dem obersten stand mit verblaßter Tinte HARLOW, wie die Stadt. Als ich den Knopf drücken wollte, fand ich mich von zwei höchst kontroversen Bildern bedrängt. Das eine zeigte mir Penelopes Kopf keine zwanzig Zentimeter von Thorne the Horns Hosenstall entfernt, den Blick anhimmelnd zu ihm emporgehoben über den aus ihrem neuen Designertop hervorzwinkernden Brüsten. Und das andere zeigte mir Hannahs stumm sich bewegende Lippen, ihre geweiteten Augen, die ohne einen Lidschlag in meine blickten, während sie auf dem Schlafsofa ihrer klösterlichen Zelle noch die letzten Tropfen meiner Manneskraft aus mir herauspreßte.

»Paket für Harry«, rief ich, und die magische Tür öffnete sich.

* * *

Über Mr. Andersons Äußeres habe ich bisher nichts gesagt, außer daß er Pater Michael ähnelt. Wie Michael ruht er ganz und gar in sich: ein Bär von einem Mann, seine Gesichtszüge so solide wie Lavagestein, jede Regung ein Ereignis. Wie Michael ist er seinen Leuten ein Vater. Man möchte ihn auf Ende Fünfzig schätzen – und mag sein, daß er gestern noch ein schneidiger junger Bursche war, und mag sein, daß er morgen schon auf dem Abstellgleis landet, aber beides wirkt gleich weit entfernt. Er ist die personifizierte Rechtschaffenheit, der Eichbaum, den kein Sturm umblasen kann, das Mark Englands. Selbst wenn er nur durchs Zimmer geht, scheint jeder seiner Schritte moralische Rechtfertigung für seine sämtlichen Handlungen. Auf sein Lächeln wartet man eine halbe Ewigkeit, aber wenn es kommt, fühlt man sich Gott näher.

Mehr noch aber macht ihn für mich, wie immer, die Stimme aus: die wohlgezügelten Tempi des Sängers, die sorgfältig gesetzten Pausen, die ihren Zweck nie verfehlen, die kernige nordenglische Kaminfeuer-Gemütlichkeit. Im Chor von Sevenoaks, so hat er mir mehr als einmal erzählt, ist er die Stütze des ersten Basses. In jüngeren Jahren hat er Tenor und Altus gesungen und mit einer Profikarriere geliebäugelt, doch sein Dienst war das stärkere Band. Auch jetzt war seine Stimme der beherrschende Eindruck, als ich über die Schwelle trat. Vage war ich mir noch anderer Geräusche und Gestalten in der Nähe bewußt. Ich sah ein offenes Schiebefenster und sich blähende Stores; offenbar ging hier oben eine Brise, was auf Straßenniveau entschieden nicht der Fall gewesen war. Aber all dies trat zurück hinter der hochaufgerichteten Silhouette Mr. Andersons dort am Fenster und dem heimelig-rauhen Tonfall, mit dem er in sein Handy sprach.