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»Er muß jede Minute hier sein, Jack, danke«, sagte er gerade, als stünde ich nicht knapp zwei Meter vor ihm. »Wir schicken ihn postwendend los, Jack – aber schneller nicht.«

Pa u s e. »G a n z r i c h t i g. Sinclair.« Aber Sinclair war nicht der Mann am anderen Ende der Leitung. Nein, Sinclair war Der Mann. »Das ist ihm völlig klar, Jack. Und ich mache es ihm noch mal klarer, wenn er kommt« – jetzt sah er mich direkt an, immer noch ohne ein Wort zu mir –, »nein, er ist kein Neuer. Er hat schon einiges für uns gemacht, und ich gebe euch mein Wort, er ist der Mann für euch. Alle Sprachen von Babylon, in höchstem Maße fähig und durch und durch loyal.«

Konnte das allen Ernstes ich sein, von dem er da sprach – in höchstem Maße fähig, durch und durch loyal? Aber ich riß mich zusammen. Ich verbannte das Glühen aus meinem Auge.

»Und nicht vergessen, Jack, seine Versicherung wird von euch übernommen, nicht von uns. Sämtliche Risiken, wenn ich bitten darf, inklusive Krankheitsfall im Feld und Rückführung ins Vaterland auf schnellstmöglichem Wege. Keine Spur führt zu uns zurück. Wir sind da, wenn ihr uns braucht, Jack. Aber denken Sie dran, jeder Anruf hier heißt, daß die Sache sich länger hinzieht. Ah, ich glaube, da kommt er die Treppe herauf. Also dann, Salvo.« Er hatte aufgelegt. »Nun hören Sie mir gut zu, mein Junge. Uns bleibt sehr wenig Zeit für sehr viel Erwachsenwerden. Unsere reizende Bridget hier wird Sie einkleiden. Hübscher Smoking, den Sie da tragen, zu schade, daß Sie ihn ausziehen müssen. Auf dem Smokinggebiet hat sich doch einiges getan, muß man sagen, seit ich ein junger Mann war. Beim Jahresball des Gesangvereins hatten wir die Wahl zwischen Schwarz und Schwarz. Dunkelrot wie Sie trugen nur die Kapellmeister. Sie haben Ihrer Frau alles brühwarm erzählt, nehme ich an? Ein hochgeheimer Auftrag von nationaler Wichtigkeit, der sich über Nacht ergeben hat, stimmt’s?«

»Nicht ein Wort, Sir«, erwiderte ich fest. »Sie wollten, daß ich nichts sage, also habe ich nichts gesagt. Ich habe ihn mir extra für ihren großen Abend gekauft«, fügte ich hinzu, denn Hannah hin oder her war es mir doch ein Bedürfnis, mir seinen Glauben an meine eheliche Treue zu bewahren, bis die Zeit reif war, ihn von meinen veränderten Lebensumständen in Kenntnis zu setzen.

Die Frau, die er unsere reizende Bridget nannte, hatte sich vor mir aufgebaut und musterte mich, eine lackierte Fingerspitze an die Lippen gedrückt. Sie trug Perlohrringe und Designerjeans, die ein paar Preisklassen über ihrer Gehaltsstufe angesiedelt sein mußten, und ließ die Hüften im Rhythmus ihrer stummen Erwägungen kreisen.

»Welche Bundweite haben Sie, Salv? Wir haben Sie auf zweiunddreißig geschätzt.«

»Eher dreißig.« Hannah hatte mich zu dünn gefunden.

»Und Ihre Schrittlänge, falls Sie die auch wissen?«

»Zweiunddreißig, als ich das letzte Mal hingeguckt habe«, gab ich zurück, im gleichen frotzelnden Ton wie sie.

»Kragen?«

»Neununddreißig.«

Sie verschwand einen Gang hinunter, und ich stand da, verwirrt von einem jäh aufzüngelnden Verlangen nach ihr, bis mir klar wurde, daß es nur der Nachklang meines Verlangens nach Hannah war.

»Auf Sie wartet ein kleiner Fronteinsatz, mein Junge«, verkündete Mr. Anderson in gewichtigem Ton, wobei er das Handy zurück in die äußere Brusttasche steckte. »Kein gemütliches Rumsitzen mehr in einer bequemen Kabine, während Sie aus sicherer Entfernung in die Welt hinauslauschen. Jetzt sollen Sie ein paar von den Schurken in natura treffen und ganz nebenbei Ihrem Vaterland einen Gefallen tun. Sie haben doch nichts gegen einen kleinen Identitätswechsel, hoffe ich? Jeder Mensch möchte an irgendeinem Punkt seines Lebens einmal jemand anderes sein, habe ich mir sagen lassen.«

»Nicht das geringste, Mr. Anderson. Nicht, wenn Sie sagen, daß es notwendig ist. Jederzeit.« Ich war schon einmal in den letzten vierundzwanzig Stunden ein anderer geworden, da würde ein zweites Mal kaum groß ins Gewicht fallen. »Und vor wem retten wir die Welt diesmal?« erkundigte ich mich betont salopp, um meine Aufgeregtheit zu kaschieren. Aber zu meiner Überraschung nahm Mr. Anderson meine Frage ernst und brütete ein Weilchen darüber nach, bevor er mit einer Gegenfrage antwortete.

»Salvo.«

»Mr. Anderson?«

»Hätten Sie große Skrupel, sich für eine gute Sache die Finger schmutzig zu machen?«

»Ich dachte, das tue ich längst – gewissermaßen, meine ich natürlich nur«, verbesserte ich mich hastig.

Zu spät. Mr. Andersons Stirn hatte sich umwölkt. Er hielt sich viel zugute auf die moralische Integrität des Chatroom und sah sie höchst ungern in Zweifel gezogen, schon gar von mir.

»Bis jetzt, Salvo, haben Sie einen zwar wesentlichen, aber defensiven Beitrag zum Wohle unserer bedrängten Nation geleistet. Vom heutigen Abend an werden Sie den Kampf hinter die Linien des Feindes tragen. Sie werden aufhören, defensiv zu sein, und statt dessen« – er suchte nach dem treffenden Ausdruck – »proaktiv werden. Spüre ich da ein Zögern Ihrerseits, diesen Schritt zu tun?«

»Keineswegs, Mr. Anderson. Nicht, wenn es für einen guten Zweck ist, wie Sie es ja bereits gesagt haben. Solange es nur die zwei Tage sind«, fügte ich im Gedenken an meine Lebensentscheidung hinsichtlich Hannah hinzu, die ich ohne Zeitverlust umzusetzen gedachte. »Oder im Höchstfall drei.«

»Ich muß Sie allerdings warnen, daß Sie von dem Moment an, da Sie dieses Gebäude verlassen, für die Regierung Ihrer Majestät nicht mehr existieren. Wenn Sie aus irgendeinem Grund enttarnt werden sollten, werden wir Sie eiskalt Ihrem Schicksal überlassen. Ist das bei Ihnen angekommen, mein Junge? Sie schauen ein bißchen entrückt, wenn ich das so sagen darf.«

Bridget hatte begonnen, mich mit ihren schlanken, gepflegten Fingern aus der Smoking jäcke zu schälen, nicht ahnend, daß nur eine Schädelwand von ihr entfernt Hannah und ich fast vom Schlafsofa fielen, während wir einander die restlichen Kleider vom Leib rissen und uns zum zweiten Mal liebten.

»Angekommen und angenommen, Mr. Anderson«, reimte ich munter, wenn auch etwas verspätet. »Um welche Sprachen geht es? Reden wir über Fachvokabular? Soll ich vielleicht auf einen Sprung nach Battersea zurückfahren, solange ich noch freie Bahn habe, und mir ein paar Wörterbücher greifen?«

Mein Anerbieten war offensichtlich nicht nach seinem Geschmack, denn er spitzte die Lippen. »Darüber werden Ihre vorübergehenden Auftraggeber zu befinden haben, danke, Salvo. Wir haben weder nähere Einsicht in ihre Pläne, noch wünschen wir es.«

Bridget führte mich zu einem muffigen kleinen Schlafzimmer, kam aber nicht mit herein. Auf dem ungemachten Bett waren zwei Paar gebrauchte Flanellhosen ausgelegt, drei Secondhand-Hemden, eine Auswahl an Unterwäsche, die schwer nach Heilsarmee aussah, Socken und ein Ledergürtel, von dessen Schnalle das Chrom abblätterte. Und darunter auf dem Boden drei Paar Schuhe in verschiedenen Stadien der Abgenutztheit. Über einem Bügel an der Tür hing ein schäbiges Sportsakko. Als ich meinen Abendanzug auszog, wurde ich wieder mit einem Hauch von Hannahs Duft belohnt. In ihrem winzigen Kämmerchen hatte es kein Waschbecken gegeben. Die Badezimmer auf der anderen Seite des Ganges waren von Krankenschwestern belegt gewesen, die sich für ihre Schicht fertigmachten.

Von den Schuhen paßten die am wenigsten scheußlichen am schlechtesten. Ich entschied mich trotzdem für sie, ein verfehlter Sieg der Eitelkeit über die Vernunft. Das Sportsakko war aus brettsteifem HarrisTweed mit Achseln aus Eisen: Schultern nach vorn, und der Kragen sägte mir im Nacken; Schultern zurück, und er nahm mich in den Würgegriff. Eine Strickkrawatte aus olivgrünem Nylon vervollständigte das trostlose Ensemble.

Und an diesem Punkt, wenn auch nur minutenlang, sank meine Stimmung, denn ich bekenne offen meine Liebe zu modischer Eleganz, meine Freude an Wirkung, Farbe, Schick – zweifellos die Gene meiner kongolesischen Mutter. Ein Blick in meinen Aktenkoffer an einem x-beliebigen Arbeitstag, und was findet sich da, zwischen eidesstattliche Versicherungen, Hintergrundinformationen und Abschiebungsanordnungen gebettet? Hochglanzbroschüren der weltweit kostspieligsten Herrenausstatter, voll mit Kleidungsstücken, für die ich in einem Dutzend Leben nicht das Geld verdienen könnte. Und jetzt? Was für ein Anblick! Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, war Bridget damit beschäftigt, auf einem Schreibblock ein Inventar meiner Habseligkeiten anzulegen: ein ultramodernes Mobiltelefon – Slimline-Version, gebürsteter Stahl mit ausklappbarer Kamera –, ein Schlüsselbund, ein Führerschein, ein britischer Reisepaß, den ich, sei es aus Stolz oder Unsicherheit, immer bei mir trage, sowie eine schlanke Brieftasche aus echtem Kalbsleder, Inhalt fünfundvierzig Pfund in Scheinen nebst Kreditkarten. Pflichtschuldig händigte ich ihr auch die letzten Überreste meines einstigen Glanzes aus: meine nagelneue Smokinghose, die dazu passende Turnbull&Asser-Fliege, das gefältelte Frackhemd aus feinster Sea-Island-Baumwolle, den Kragenknopf und die Manschettenknöpfe aus Onyx, meine seidenen Socken und die Lacklederschuhe. Dieser leidvolle Vorgang war noch nicht abgeschlossen, als Mr. Anderson wieder auf den Plan trat.