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»Sie sind nicht zufällig mit einem gewissen Brian Sinclair bekannt, Salvo?« fragte er anklagend. »Überlegen Sie bitte scharf. Sinclair? Brian? Ja oder nein?«

Ich versicherte ihm, daß meine einzige Bekanntschaft mit dem Namen ein paar Minuten alt war, als er ihn nämlich am Telefon erwähnt hatte.

»Sehr gut. Ab sofort, und für die nächsten zwei Tage und Nächte, sind Sie Brian Sinclair. Ich bitte die glückliche Übereinstimmung der Initialen zu beachten – B.S. Immer so nah bei der Realität zu bleiben, wie es die operativen Erfordernisse gestatten – das ist die goldene Regel bei falschen Identitäten. Sie sind nicht mehr Bruno Salvador, Sie sind Brian Sinclair, freiberuflicher Dolmetscher, aufgewachsen in Zentralafrika als Sohn eines Bergbauingenieurs und derzeit für ein internationales Syndikat tätig, das seinen Sitz auf den Kanalinseln hat und die Dritte und Vierte Welt auf den neuesten Stand der Agrartechnik bringen möchte. Wenn Sie damit irgendwelche wie auch immer gearteten Probleme haben, lassen Sie es mich bitte wissen.«

Nicht daß ich kalte Füße bekam – aber besonders warm wurden sie auch nicht. Mr. Andersons Besorgnis begann auf mich abzufärben. Langsam, aber sicher fragte ich mich, ob ich mich nicht auch sorgen sollte.

»Kenne ich es, Mr. Anderson?«

»Wen sollen Sie kennen, mein Junge?«

»Dieses Agrarsyndikat. Wenn ich Sinclair bin, wer ist dann mein Auftraggeber? Vielleicht habe ich schon einmal für die Leute gearbeitet.«

Ich konnte Mr. Andersons Gesichtsausdruck nicht richtig sehen, weil er das Licht im Rücken hatte.

»Wir sprechen von einem anonymen Syndikat, Salvo. Es wäre nicht sehr logisch, wenn ein solches Syndikat einen Namen hätte.«

»Aber die Vorstände müssen doch Namen haben.«

»Ihr vorübergehender Arbeitgeber als solcher hat keinen Namen, genauso wenig wie das Syndikat«, beschied Mr. Anderson mich brüsk. Dann aber schien etwas ihn weicher zu stimmen. »Sie werden jedoch – und ich überschreite vermutlich schon meine Befugnisse, indem ich Ihnen das sage – einem gewissen Maxie unterstehen. Bitte erwähnen Sie unter gar keinen Umständen, weder jetzt noch zukünftig, daß Sie diesen Namen von mir gehört haben.«

»Mr. Maxie?« hakte ich nach. »Maxie Soundso? Wenn ich schon den Kopf in die Schlinge stecke …«

»Maxie allein reicht vollkommen, danke, Salvo. Solange Sie keine anderslautenden Anweisungen erhalten, unterstehen Sie in sämtlichen Belangen dieser außerordentlichen Operation seiner Befehlsgewalt.«

»Kann ich ihm vertrauen, Mr. Anderson?«

Sein Kinn ruckte scharf in die Höhe, und ihm lag sichtlich auf der Zunge zu sagen, daß eine Person, die er selbst benannt hatte, per definitionem vertrauenswürdig war. Dann sah er meinen Blick und wurde milder.

»Laut den Informationen, die mir vorliegen, können Sie Ihr Vertrauen besten Gewissens in Maxie setzen. Er ist, wie ich höre, ein Genie auf seinem Gebiet. Wie Sie, Salvo. Genau wie Sie.«

»Danke, Mr. Anderson.« Aber dem Tondieb in mir war der leise Vorbehalt in seiner Stimme nicht entgangen, weshalb ich nicht lockerließ. »Und wem ist Maxie unterstellt? Für die Zwecke dieser außerordentlichen Operation? Solange er keine anderslautenden Anweisungen erhält?« Eingeschüchtert von dem Grimm in seinem Blick, beeilte ich mich, meine Frage etwas umzuformulieren. »Ich meine, schließlich sind wir alle jemandem unterstellt, Mr. Anderson. Sogar Sie.«

Wenn seine Geduld strapaziert ist, atmet Mr. Anderson tief durch und senkt leicht den Kopf, wie ein großes Tier, bevor es zum Angriff übergeht.

»Es gibt da offenbar einen Philip«, räumte er widerstrebend ein, »oder, so höre ich, wenn es ihm in den Kram paßt« – ein Schnauben –, »auch Philippe, auf die französische Weise betont.« Trotz seiner polyglotten Profession ist und bleibt Mr. Anderson der Meinung, daß Englisch noch für jeden ausgereicht hat. »So wie Sie Maxie unterstehen, untersteht Maxie Philip. Zufrieden?«

»Hat Philip einen Dienstgrad, Mr. Anderson?«

Nach dem Zögern von eben kam die Antwort nun rasch und hart.

»Nein, Philip hat keinen Dienstgrad. Philip ist ein unabhängiger Berater. Er hat keinen Dienstgrad, er gehört keinem offiziellen Dienst an. Bridget! Mr. Sinclairs Visitenkarten, wenn ich bitten darf, druckfrisch.«

Mit einem ironischen kleinen Knicks überreichte Bridget mir ein Plastiketui. Ich nestelte es auf und brachte ein windiges Kärtchen zum Vorschein: Brian S. Sinclair, beeidigter Dolmetscher, wohnhaft in einem Postfach in Brixton. Telefon- und Faxnummer sowie E-Mail-Adresse waren mir fremd. Keines meiner Diplome war erwähnt, keiner meiner Abschlüsse.

»Wofür steht das S?«

»Wofür Sie wollen«, erwiderte Mr. Anderson großmütig. »Sie müssen sich nur einen Namen aussuchen und dabei bleiben.«

»Was passiert, wenn mich jemand anruft?« Meine Gedanken eilten zurück zu Hannah.

»Eine höfliche Bandansage wird dem Anrufer mitteilen, daß Sie in ein paar Tagen wieder am Platz sind. Sollte Sie jemand per E-Mail kontaktieren, was wir für unwahrscheinlich halten, wird die betreffende Nachricht abgerufen und in angemessener Weise beantwortet.«

»Aber ansonsten bin ich derselbe Mensch?«

Meine Beharrlichkeit stellte noch den letzten Rest seiner Langmut auf die Probe.

»Sie sind derselbe Mensch, Salvo, in Lebensumstände versetzt, die parallel zu Ihren eigenen sind«, sagte er barsch. »Wenn Sie verheiratet sind, bleiben Sie verheiratet. Wenn Sie eine liebe Großmutter in Bournemouth haben, behalten Sie sie mit unserem Segen. Mr. Sinclair selbst wird unaufspürbar sein, und wenn diese Operation beendet ist, wird er nie existiert haben. Muß ich noch deutlicher werden?« Und in nachsichtigerem Ton: »Das ist eine völlig normale Situation in der Welt, in die Sie sich begeben, mein Junge. Das Problem ist nur, daß für Sie all dies neu ist.«

»Was ist mit meinem Geld? Warum müssen Sie mein Geld hierbehalten?«

»Meine Anweisungen lauten, daß Sie …«

Er brach ab. Und als ich seinem Blick begegnete, begriff ich plötzlich, daß er nicht Salvo den Mann von Welt vor sich sah, der frisch von einem exklusiven Empfang kam, sondern einen kaffeebraunen Missionsschulknaben in ausgebeulten Flanellhosen, einem Sportsakko aus der Kleidersammlung und Schuhen, die mit jeder Minute mehr drückten. Der Anblick rührte offenbar etwas in ihm an.

»Salvo.«

»Ja, Mr. Anderson.«

»Sie müssen sich ein dickeres Fell zulegen, mein Junge. Sie müssen da draußen eine Lügenexistenz führen.«

»Ja, das haben Sie gesagt. Es macht mir nichts aus.

Ich bin vorbereitet. Sie haben mich gewarnt. Ich müßte nur noch kurz meine Frau anrufen.« Meine Frau, sprich Hannah, aber das sagte ich natürlich nicht.