»Und wie hat sich dieses Traumpaar gefunden? Können Sie mir das mal verraten?« sagte Bridget in dem melancholischen Ton eines Menschen, der allen Anweisungen auf der Packung gefolgt und trotzdem gescheitert ist.
»Bridget«, antwortete eine fremde Stimme in mir, »das kam so.«
* * *
In Salvos kleiner Junggesellenbude in Ealing ist es acht Uhr abends, erzähle ich ihr, während wir Arm in Arm an einer Fußgängerampel warten. Mr. Amadeus Osman von der WorldWide and Legal Translation Agency ruft mich aus seinem muffigen Kabuff in der Tottenham Court Road an: Ich möge mich unverzüglich zur Canary Wharf begeben, wo mich eine unserer großen Tageszeitungen für meine Dienste fürstlich entlohnen will. Ich bin ein Berufsanfänger, der zu kämpfen hat, und gehöre zu fünfzig Prozent Mr. Osman.
Eine Stunde später sitze ich in der feudalen Redaktion der Zeitung, zu meiner Rechten der Redakteur – und zu meiner Linken seine wohlgestalte Topreporterin. Uns gegenüber hockt ihr Informant, ein bärtiger afro-arabischer Handelsmatrose, der für eine Summe, wie ich sie in einem Jahr verdiene, einen Ring korrupter Zoll- und Polizeibeamter im Liverpooler Hafen ans Messer liefern will. Er spricht nur spärliche Brocken Englisch, denn seine Muttersprache ist ein klassisches, tansanisch gefärbtes Swahili. Unsere Topkriminalreporterin und ihr Redakteur stecken in der typischen Zwickmühle des Enthüllungsjournalisten: entweder die Quelle auf Herz und Nieren überprüfen und damit die Story aufs Spiel setzen oder sich dem Informanten auf Treu und Glauben ausliefern und eine saftige Verleumdungsklage riskieren.
Mit Penelopes Einverständnis übernehme ich die Gesprächsleitung. Während sich ein munteres Frage-und-Antwort-Spiel entspinnt, verändert und ergänzt unser Informant seine Geschichte, fügt neue Elemente hinzu, nimmt alte zurück. Ich zwinge den Schurken,
sich zu wiederholen. Ich weise ihn so lange auf die zahlreichen Diskrepanzen hin, bis er mürbe wird und alles zugibt. Er ist ein Betrüger, ein Märchenerzähler. Fünfzig Pfund, und wir sind ihn los. Der Redakteur fließt fast über vor Dankbarkeit. Ich habe sie nicht nur vor einer Blamage bewahrt, jubelt er, sondern auch vor empfindlichen Schadensersatzforderungen. Und nachdem Penelope die Schmach überwunden hat, meint sie, daß sie mir einen großen Drink schuldet.
»Die Leute stellen sich einen Dolmetscher gern als gelehrsames Männlein mit Brille vor«, erklärte ich Bridget bescheiden und ging mit einem Lachen über das starke und, rückblickend betrachtet, etwas zu offensichtliche Interesse an meiner Person hinweg, das Penelope vom ersten Moment an bekundete. »Diese Erwartung konnte ich anscheinend nicht erfüllen.«
»Oder sie war einfach bloß hin und weg«, vermutete Bridget und drückte meine Hand fester.
Ob ich Bridget den Rest auch erzählte? Sie in Ermangelung Hannahs zu meiner Ersatzbeichtmutter machte? Ihr anvertraute, daß ich, als ich Penelope kennenlernte, mit meinen dreiundzwanzig Jahren noch Jungfrau war, nach außen hin der schmucke Dandy, aber hinter der sorgsam konstruierten Fassade mit einem ganzen Komplex von Komplexen behaftet? Daß mich die Zuwendung von Pater Michael und zuvor schon von Père André in ein sexuelles Zwielicht gerückt hatte, aus dem ich mich nicht mehr hervorwagte? Daß sich die Schuldgefühle meines seligen Vaters hinsichtlich seiner späten Sinnenfreuden vollständig und ohne Abstriche auf den Sohn übertragen hatten?
Wie sehr mir, als wir im Taxi zu Penelopes Wohnung fuhren, in meiner Scheu vor dem Moment graute, da sie meine Unzulänglichkeit ans Licht bringen würde? Und wie dann dank ihres Könnens und Mikromanagements alles doch ein gutes Ende nahm, ein extrem gutes sogar, ein besseres, als sie es sich je hätte vorstellen können, wie sie mir hinterher versicherte: mir, Salvo, ihrem Traumhengst – ihrem besten Pferd im Stall, wie sie hätte hinzufügen können –, ihrem Alphamann plus? (Oder, wie sie es später ihrer Freundin Paula erzählte, als sie sich unbelauscht glaubten, ihrem Schokosoldaten, der immer so brav vor ihr strammstand?) Und wie ihr Salvo – so überwältigt von Dankbarkeit und seinen neuentdeckten Talenten als unersättlicher Matratzenakrobat, daß er sexuelle Höchstleistungen mit der großen Liebe verwechselte – in seiner üblichen Impulsivität und Naivität nur eine Kalenderwoche später einen Heiratsantrag machte, der auf der Stelle angenommen wurde? Nein. Gnädigerweise gelang es mir, mich wenigstens in diesem Punkt zurückzuhalten. Und ich behielt auch für mich, welchen Preis ich seitdem jahrein, jahraus für diese dringend benötigte Therapie bezahlte – aber nur deshalb, weil wir inzwischen das Connaught Hotel passiert hatten und in den oberen Teil des Berkeley Square einbogen.
* * *
Während ich, mitgerissen von meinen Gefühlen, noch davon überzeugt war, daß wir einfach immer weitergehen würden, bis Piccadilly und vielleicht darüber hinaus, zog Bridget mich plötzlich energisch nach links, eine Treppe hinauf zu einer imposanten Eingangstür. Ehe ich auch nur die Hausnummer erkennen konnte, fiel die Tür auch schon hinter uns ins Schloß, und da waren wir, in einem Vestibül mit Samtvorhängen und zwei identisch aussehenden blonden Jüngelchen. Da ich mich an kein Läuten oder Anklopfen von seiten Bridgets erinnere, nehme ich an, daß die beiden auf ihrem Videoüberwachungsschirm nach uns ausgespäht hatten. Ich weiß noch, daß sie graue Flanellhosen trugen, genau wie ich, und Blazer, die von oben bis unten durchgeknöpft waren. Und ich weiß, daß ich mich fragte, ob das wohl in der Welt, in der sie sich bewegten, Vorschrift war und ob ich die Knöpfe meines Tweedsakkos nicht besser auch schließen sollte.
»Skipper verspätet sich«, sagte der sitzende Knabe zu Bridget, ohne den Blick von dem Schwarzweißbild der Tür zu wenden, durch die wir gerade gekommen waren. »Aber er ist unterwegs, okay? Viertelstunde, höchstens. Wollen Sie ihn bloß abliefern oder warten?«
»Warten«, sagte Bridget.
Der Knabe streckte die Hand nach meiner Tasche aus. Auf Bridgets Nicken hin übergab ich sie ihm.
Die prächtige Halle, in die wir traten, wurde von einer Kuppel mit einem Deckengemälde überwölbt, weiße Nymphen und weiße Babys, die Trompete spielten. Eine majestätische Treppe teilte sich auf halber Höhe und schwang sich zu einer Galerie mit mehreren geschlossenen Türen empor. An ihrem Fuß wurde sie von zwei weiteren Türen eingerahmt, groß und imposant, darüber goldene Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Bei der rechten versperrte eine zwischen Messinghaken gespannte Seidenkordel den Zugang. Solange ich da war, ging niemand durch sie hindurch. An der linken prangte ein rotes Leuchtschild: Konferenz Ruhe Bitte, ohne Satzzeichen, wie ich gleich bemerkte, denn in Sachen Interpunktion entgeht mir so leicht nichts. Ein Pedant, dachte ich, hätte es auch als Imperativform deuten können: Konferenz, nun ruhe doch bitte! Was nur beweist, wie sehr meine Gemütsverfassung zwischen postkoital, übermütig, nervös und völlig abgedreht schwankte. Ich habe nie Drogen genommen, aber genau so stellte ich mir die Wirkung vor, und deshalb hielt ich mich mit aller Kraft an Einzelheiten fest, bevor sie sich womöglich in etwas anderes verwandelten.
Bewacht wurde die Tür von einem grauhaarigen Gorilla, den ich als Araber einstufte, mit Sicherheit älter als die beiden blonden Bürschchen zusammengenommen und mit seiner platten Nase, den hängenden Schultern und den schützend vors Gemächt gehaltenen Händen unschwer als Mitglied der Faustkämpferkaste zu erkennen. An unseren Weg die majestätische Treppe hinauf erinnere ich mich nicht. Wenn Bridget in ihrer hautengen Jeans vor mir hergegangen wäre, wüßte ich es noch, also blieb sie vermutlich neben mir. Und Bridget war nicht zum erstenmal hier. Sie kannte sich aus, sie kannte die Knaben, und den arabischen Rausschmeißer kannte sie offenbar auch, denn sie lächelte ihm zu, und er lächelte sanft und bewundernd zurück, bevor er wieder seinen stieren Boxerblick aufsetzte. Sie wußte von selbst, wo wir zu warten hatten: