auf halber Höhe der Treppe, bevor sie sich teilte, was man von unten niemals hätte erraten können.
Es gab zwei Sessel hier oben, ein Ledersofa ohne Armlehnen, dazu Hochglanzmagazine mit Angeboten für Privatinseln in der Karibik und Charteryachten inklusive Crew und Hubschrauber, Preis auf Anfrage. Bridget nahm sich eine Zeitschrift, blätterte darin und bot mir ebenfalls eine an. Doch während ich darüber phantasierte, mit was für einer Fram Hannah und ich davonsegeln würden, stellte sich mein inneres Ohr automatisch auf die dröhnenden Stimmen ein, die aus dem Konferenzsaal drangen, denn Zuhören ist das, wofür ich geschaffen und worin ich geübt bin, nicht nur dank des Trainings im Chatroom. Egal, wie es in mir aussieht, ich höre zu und ich passe auf, das ist mein Beruf. Nicht zu vergessen die Tatsache, daß ein Kind, das es nicht gibt, in einem abgelegenen Missionshaus beizeiten lernt, die Ohren zu spitzen, wenn es wissen will, was ihm als nächstes blüht.
Und während ich lauschte, nahm ich in den Räumen über uns nach und nach das an- und abschwellende Jaulen von Faxgeräten wahr, die auf Hochtouren liefen, das Schrillen allzu schnell abgewürgter Telefone und dazwischen immer wieder die gespannte Stille, wenn nichts geschah und das ganze Haus den Atem anhielt. Alle paar Minuten huschte eine junge Assistentin an uns vorbei die Treppe hinunter und drückte dem Gorilla einen Zettel in die Hand, worauf dieser die Tür einen Spalt öffnete, die Nachricht nach innen weitergab, die Tür schloß und die Hände wieder vor dem Gemächt verschränkte.
Die Stimmen aus dem Konferenzraum dröhnten unvermindert weiter. Sie gehörten Männern, wichtigen Männern, denn dies war offenbar eine Versammlung, in der jeder einzelne etwas zu sagen hatte, nicht eine Gruppe von Handlangern, die einem Wortführer lauschten. Und was sie sagten, klang zwar englisch, aber aus den Stimmen waren die unterschiedlichsten nationalen Färbungen und Sprachmelodien herauszuhören, bald indischer Subkontinent, bald Euroamerikanisch oder weißes Afrokolonialisch, so wie ich es auch von meinen hochkarätigeren Konferenzen her kannte, wo die Vortragssprache Englisch ist, die Gespräche hinter den Kulissen jedoch in den Muttersprachen der jeweiligen Delegierten geführt werden, mit den Dolmetschern als der Brücke zwischen den ringend sich bemühenden Geschöpfen Gottes.
Bei einer Stimme freilich hatte ich das Gefühl, daß sie zu mir persönlich sprach. Lupenreines Englisch, Oberschicht, mit einer Satzmelodie, der ich mich nur schwer entziehen konnte. Die einzelnen Worte verstand ich nicht, aber so fein waren meine Antennen eingestellt, so präzise arbeitete mein »drittes Ohr«, wie ich es nenne, daß ich schon nach wenigen Minuten überzeugt war, daß es sich bei dem Sprecher um einen Gentleman handelte, den ich kannte und schätzte. Während ich mir noch den Kopf zerbrach, wer der Mann war, riß mich ein Donnerschlag aus meinen Gedanken. Die Eingangstür flog auf, und herein kam kein anderer als der ausgemergelte, atemlose Mr. Julius Bogarde alias Bogey, mein ehemaliger Mathematiklehrer und Galionsfigur der unseligen Herz-Jesu-Wandertage.
Meine Verblüffung über seine Reinkarnation fiel um so größer aus, als Bogey vor zehn Jahren, während er in den Cairngorms einen Trupp verängstigter Schulkinder auf der falschen Seite einen Berg hinaufgeführt hatte, ums Leben gekommen war.
»Maxie«, hauchte Bridget vorwurfsvoll und bewundernd zugleich und sprang auf. »Sie verrückter Hund. Wer ist die Glückliche diesmal?«
Na gut, er war nicht Bogey.
Und ich möchte bezweifeln, daß Bogeys Frauenbekanntschaften, so er denn welche hatte, sich für glücklich erachtet hätten, eher im Gegenteil. Aber er hatte Bogeys schlenkernde Handgelenke, er hatte Bogeys permanenten Sturmschritt und wild entschlossenen Blick, er hatte Bogeys rotblondes Zottelhaar, das aussah wie von einem immerwährenden Wind zur Seite geblasen, und Bogeys rote Flecken oben auf den Backenknochen. Und er hatte Bogeys von der Sonne ausgebleichte khakifarbene Leinentasche, die ihm wie ein Gasmaskenbehälter aus einem alten Kriegsfilm von der Schulter schwang. Wie bei Bogey verdoppelte auch bei ihm die Brille den Umfang seiner abwesend blickenden blauen Augen, die an und aus blinkten, während er unter dem Kronleuchter hindurch auf uns zueilte. Wäre Bogey jemals nach London gefahren, was für ihn aus Prinzip nicht in Frage kam, hätte er sich für diese Expedition mit Sicherheit genau die gleiche Montur ausgesucht: einen zerknautschten, strapazierfähigen, waschbaren hellbraunen Tropenanzug, einen Fair-Isle-Pullunder und abgewetzte Wüstenstiefel.
Und hätte Bogey jemals die Prunktreppe zu unserem Freisitz erstürmen müssen, dann so und nicht anders: mit drei schwerelosen Sprüngen, daß der Gasmaskenbehälter nur so baumelte.
»Dieses Drecks-Fahrrad«, schimpfte er und gab Bridget einen flüchtigen Kuß, der ihr mehr zu bedeuten schien als ihm. »Fliegt mir doch glatt mitten im Hyde Park der Scheiß-Hinterreifen um die Ohren! Da waren ein paar Nutten, die haben sich krankgelacht. Sind Sie der Sprachguru?«
Unvermittelt hatte er einen Schwenk zu mir vollführt. Kraftausdrücke dieses Kalibers bin ich von meinen Auftraggebern sonst nicht gewohnt, zumal in Anwesenheit von Damen, aber soviel stand für mich ohnehin fest, noch ehe er mich mit Bogeys wäßrigen Augen ins Visier nahm: der Mann, der mir von Mr. Anderson als Genie auf seinem Gebiet beschrieben worden war, hatte nichts gemein mit meinen übrigen Kunden.
»Das ist Brian, Darling«, antwortete Bridget rasch an meiner Stelle, vielleicht, damit ich nicht aus Versehen etwas anderes sagte. »Brian Sinclair. Jack weiß über ihn Bescheid.«
Von unten hallte eine Männerstimme zu uns herauf, dieselbe, mit der ich mich schon angefreundet hatte.
»Maxie! Wo bleiben Sie denn, Mann? Wir brauchen Sie!«
Aber Maxie reagierte nicht, und als ich hinuntersah, war der Sprecher verschwunden.
»Sie wissen, worum es bei unserem kleinen Spaß geht, Sinclair?«
»Noch nicht, Sir.«
»Hat Anderson Ihnen das nicht gesagt, dieser Sack?«
»Darling«, protestierte Bridget.
»Er meinte, er wüßte es auch nicht, Sir.«
»Und Sie sprechen Französisch, Lingala, Swahili et cetera? Richtig?«
»Korrekt, Sir.«
»Bembe?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Shi?«
»Kein Problem, Sir.«
»Kinyarwanda?«
»Fragen Sie ihn lieber, was er nicht spricht«, riet Bridget. »Das geht schneller.«
»Kinyarwanda habe ich gestern abend erst gedolmetscht, Sir«, antwortete ich und schickte in Gedanken Liebesgrüße an Hannah.
»Wow«, murmelte er, wobei er mich immer noch musterte, als ob ich ein Exemplar einer interessanten neuen Spezies wäre. »Wo haben Sie das alles her?«
»Mein Vater war Missionar in Afrika«, erklärte ich. Zu spät fiel mir ein, daß ich nach Mr. Andersons Willen der Sohn eines Bergbauingenieurs zu sein hatte. Um ein Haar hätte ich noch katholisch hinzugefügt, um den Rest der Geschichte nur auch gleich loszuwerden, aber Bridget durchbohrte mich mit Blicken, deshalb sparte ich es mir lieber für eine spätere Gelegenheit auf.
»Und Ihr Französisch ist hundert Pro, richtig?«
Sosehr mir der wohlwollende Ton der Befragung auch schmeichelte, mußte ich doch Einspruch erheben. »Hundert Prozent würde ich mir nie anmaßen, Sir. Ich bemühe mich um Perfektion, aber man kann sich immer noch verbessern« – was ich all meinen Auftraggebern sage, von den Mächtigsten bis zu den Unbedeutendsten, aber als ich es nun Maxie sagte, schwang für mich ein heldischer Ton darin mit.