»Mein Französisch ist nicht mal Mittelstufe«, gab er zurück. Sein verschwommener Blick ruhte unverändert auf mir. »Und Sie sind mit im Boot, ja? Fertig und bereit, aufs Ganze zu gehen?«
»Solange es zum Besten unseres Landes ist, Sir«, antwortete ich, ein Echo meiner Antwort an Mr. Anderson.
»Gut für unser Land, gut für den Kongo, gut für Afrika«, versicherte er mir.
Damit war er verschwunden, jedoch nicht, bevor ich an meinem neuen Auftraggeber nicht noch weitere interessante Details festgestellt hatte. Am linken Handgelenk trug er eine Taucheruhr, am anderen ein goldenes Gliederarmband. Die rechte Hand sah aus, als ob an ihr Kugeln abprallen könnten. Die Lippen einer Frau streiften meine Schläfe, und im ersten Moment bildete ich mir ein, es sei Hannah. Aber es war Bridget, die sich mit einem Küßchen verabschiedete. Ich weiß nicht, wie lange ich danach noch wartete. Oder auf welche Gedanken ich mich länger als zwei Sekunden konzentrieren konnte. Natürlich beschäftigten mich mein neuer Anführer und der Inhalt unseres kurzen Gesprächs. Bembe, wiederholte ich ein paarmal im stillen. Wenn ich an Bembe denke, muß ich lächeln. Immer schon. Es war die Sprache, in der wir Missionsschüler uns anschrien, draußen im roten Matsch, wenn wir im strömenden Regen Spritzfußball spielten.
Ich kann mich auch noch erinnern, daß ich mir leid tat, weil Maxie und Bridget mich gleichzeitig im Stich gelassen hatten, und einen ganz trüben Moment gab es, in dem ich mich sogar auf Penelopes Empfang zurückwünschte, worauf ich aufsprang, um Hannah anzurufen, koste es, was es wolle. Ich ging auch wirklich die Treppe hinunter – sie hatte ein auf Hochglanz poliertes Messinggeländer, das ich mit meinen verschwitzten Händen kaum anfassen mochte – und nahm gerade allen Mut zusammen, um mich unter den Augen des grauhaarigen Türstehers bis zum Vestibül vorzuwagen, als sich wie in Zeitlupe die Flügeltür des Konferenzraums öffnete und die Teilnehmer in Zweier- und Dreiergrüppchen heraustraten, bis etwa sechzehn in der Halle versammelt waren.
* * *
Ab hier bewege ich mich auf dünnem Eis. Wer sich jäh von einer Vielzahl teils prominenter Gesichter umringt sieht, macht unwillkürlich seine geistigen Schnappschüsse, und er ordnet ihnen Namen zu. Aber sind es auch die richtigen Namen? Von den zehn bis elf Weißen kann ich hier und heute zwei als hochrangige Wirtschaftsbosse aus der Londoner City identifizieren, einen dritten als ehemaligen Spindoctor aus der Downing Street, der seitdem unter die unabhängigen Berater gegangen ist, einen vierten, einen Mittsiebziger, als Finanzhai, der für seine Verdienste in den Ritterstand erhoben wurde, sowie einen fünften als einen ewigjungen Popstar und Intimus der jüngeren Royals, über den Penelopes große Tageszeitung erst vor kurzem in Zusammenhang mit einem Drogen- und Sexskandal berichtet hatte. Die Gesichter dieser fünf Männer haben sich mir unauslöschlich eingeprägt. Ich erkannte sie sofort, als sie durch die Tür traten. Sie kamen miteinander heraus und blieben beieinander stehen, keine drei Schritte von mir entfernt, so daß ich Fetzen ihres Gesprächs mitbekam.
Von den zwei Indern kannte ich keinen, habe aber seitdem den lauteren der beiden als den Gründer eines milliardenschweren Textilimperiums mit Sitz in Manchester und Madras identifiziert. Der einzige der drei Schwarzafrikaner, dem ich einen Namen hätte geben können, war der ins Exil verbannte ehemalige Finanzminister einer westafrikanischen Republik, die ich in Anbetracht meiner derzeitigen Lebensumstände lieber nicht näher benennen möchte. Wie seine beiden Begleiter schien er entspannt und verwestlicht in Kleidung und Auftreten.
Delegierte, die aus einer Konferenz kommen, sind nach meiner Erfahrung in einer von zwei Gemütsverfassungen: verärgert oder aufgekratzt. Diese Männer waren aufgekratzt, aber auch kampflustig. Sie hatten große Hoffnungen, aber auch Feinde. Ein solcher Feind war Tabby, dessen Namen der betagte Finanzhai nur knurrend über die faltigen Lippen brachte. Tabby sei ein aalglattes Arschloch, sogar nach den Maßstäben seiner Branche, erklärte er seinen indischen Zuhörern; er würde ihn mit dem größten Vergnügen bei passender Gelegenheit in die Pfanne hauen. Mit diesen flüchtigen Einblicken allerdings war es schlagartig vorbei, als aus dem Konferenzraum zwei Nachzügler kamen, Maxie und neben ihm, ebenso groß wie er, aber eleganter in Garderobe und Haltung, der Besitzer der Stimme, die zu mir gesprochen hatte, während ich auf der Treppe wartete: Lord Brinkley of the Sands, Kunstliebhaber, Unternehmer, Gesellschaftslöwe, ehemaliger Minister unter New Labour und – für mich persönlich schon immer sein größtes Plus – langjähriger Verfechter und Vertreter afrikanischer Interessen.
Und ich kann nur sagen, daß die hohe Meinung, die ich mir durch das Fernsehen und mein liebstes Medium, das Radio, über Lord Brinkley gebildet hatte, durch den ersten persönlichen Eindruck mehr als bestätigt wurde. Die klaren Gesichtszüge, das energische Kinn und die fliegende Mähne spiegelten genau jene visionäre Entschlossenheit wider, die ich von jeher mit ihm assoziierte. Hatte ich ihn nicht oft genug bejubelt, wenn er den Westen für seine Gleichgültigkeit gegenüber Afrika ins Gebet nahm? Wenn Männer wie Maxie und Lord Brinkley sich für ein hochgeheimes prokongolesisches Unternehmen engagierten – Seite an Seite, so wie sie jetzt auch auf mich zukamen –, durfte ich mich wahrlich geehrt fühlen, meinen kleinen Beitrag dazu leisten zu dürfen!
Meine Wertschätzung für Lord Brinkley hatte auch einen persönlichen Grund, und dieser Grund hieß Penelope. Respektvoll am Rand des Geschehens postiert, dachte ich zurück an das rekordverdächtige Schmerzensgeld, das Sir Jack, wie er damals noch hieß, wegen haltloser Unterstellungen bezüglich seines Finanzgebarens gegen ihre große Tageszeitung erstritten hatte, und an den Schatten, den sein Triumph damals auf unser häusliches Glück warf, denn natürlich mußte Penelope halsstarrig die unverletzliche Freiheit der Presse verteidigen, jeden mit Dreck zu bewerfen, der sich gerade anbot, während Salvo ebenso halsstarrig für Sir Jack Partei ergriff, aus Anerkennung für dessen aufrichtige Sympathie für Afrika und die Afrikaner, und für seine Entschlossenheit, den Kontinent vom dreifachen Fluch der Ausbeutung, Korruption und Krankheit zu befreien, um ihm dadurch die wirtschaftliche Geltung zu verschaffen, die ihm gebührte.
So groß war meine Entrüstung gewesen, daß ich Lord Brinkley hinter Penelopes Rücken in einem privaten, vertraulichen Brief meine Unterstützung bekundete, auf den er mir freundlich zurückschrieb. Und dieses Gefühl der persönlichen Verbundenheit – gemischt wohl auch mit einer Prise Besitzerstolz des loyalen Anhängers – war es, was mir nun doch den Mut verlieh, hervorzutreten aus meinem Schatten und ihn direkt anzusprechen, von Mann zu Mann.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir« – immerhin hatte ich daran gedacht, daß dies eine anonyme Operation war, weshalb ich ihn bewußt nicht, wie ich es sonst sicher getan hätte, mit »Lord Brinkley«, »Mylord« oder »Eure Lordschaft« anredete.
Mit einem Ruck blieb er stehen, Maxie ebenso. Sie schienen sich nicht ganz schlüssig, welchen Sir ich meinte, darum baute ich mich gezielt vor Lord Brinkley auf. Anders als Maxie, der sich mit einem Urteil über meine Dreistigkeit sichtlich zurückhielt, lächelte er mich freundlich an. Bei meiner Hautfarbe wird man von einer bestimmten Sorte Mitmensch typischerweise mit einem Doppellächeln bedacht: zuerst dem automatischen, dann dem übertriebenen des weißen Liberalen. Aber Lord Brinkleys Lächeln war ein spontaner, unmittelbarer Ausdruck des Wohlwollens.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich sehr stolz bin, Sir«, sagte ich.
Um ein Haar hätte ich noch hinzugefügt, daß Hannah ebenso stolz gewesen wäre, wenn sie eine Ahnung gehabt hätte, aber ich beherrschte mich.
»Stolz? Worauf stolz, mein junger Freund?«
»Daß ich mit an Bord bin, Sir. Daß ich für Sie arbeiten darf, in welcher Form auch immer. Mein Name ist Sinclair, Sir. Der Dolmetscher, den Mr. Anderson geschickt hat. Französisch, Swahili, Lingala und kleinere afrikanische Sprachen.«