Das freundliche Lächeln blieb ungetrübt.
»Anderson?« Er schien sein Gedächtnis zu durchforsten. »Sagt mir nichts. Tut mir leid. Wahrscheinlich ein Freund von Maxie.«
Das überraschte mich, denn natürlich war ich davon ausgegangen, den Jack vor mir zu haben, mit dem Mr. Anderson telefoniert hatte – offensichtlich zu Unrecht. Lord Brinkley reckte sein edles Löwenhaupt; in einem der Zimmer mußte jemand nach ihm gerufen haben, auch wenn ich nichts gehört hatte.
»Bin gleich bei Ihnen, Marcel. Konferenzschaltung um Mitternacht, da will ich euch drei dabeihaben, für den letzten Feinschliff. Nicht daß dieser Mistkerl Tabby es in letzter Minute noch mal spannend macht.«
Er eilte davon. Maxie betrachtete mich mit leisem Spott. Aber ich hatte nur Augen für Brinkley, der die drei Afrikaner elegant in seine Arme zog: ein Meister der Überzeugungskraft, ganz gleich in welcher Sprache, das sah ich ihren strahlenden Mienen an.
»Alles in Ordnung, alter Junge?« fragte Maxie, und seine Bogey-Augen blickten leicht belustigt dabei.
»Schon, Sir. Ich frage mich nur, ob ich nicht etwas anmaßend war.«
Worauf Maxie in dröhnendes Gelächter ausbrach und mir mit seiner kugelsicheren Pranke auf die Schulter schlug.
»Sie waren einmalig. Haben ihm den Schock seines Lebens verpaßt. Haben Sie eine Tasche? Wo ist Ihre Tasche? Vorne? Dann marsch.«
Mit nicht mehr als dem allerflüchtigsten Nicken für seine illustren Freunde bugsierte er mich durch das Gedränge ins Vestibül, wo mir einer der blonden Knaben bereits die Reisetasche hinhielt. Am Straßenrand parkte ein Van mit schwarzen Scheiben und offenen Türen, auf dem Dach ein rotierendes Blaulicht, hinterm Steuer ein nichtuniformierter Fahrer. Neben dem Wagen ein drahtiger kleiner Mann mit Bürstenschnitt, der schon auf uns wartete, auf dem Rücksitz ein Riese mit grauem Pferdeschwanz und Lederjacke. Der Bürstenschnitt verfrachtete mich zu dem Pferdeschwanz auf die Rückbank, stieg ein und knallte die Tür zu. Maxie schmiß sich auf den Beifahrersitz. Kaum saß er, da kamen auch schon zwei Polizisten auf Motorrädern aus der Mount Street auf den Platz gebraust, unser Fahrer gab Gas und reihte sich zügig hinter ihnen ein.
Aber einen Blick zurück über die Schulter warf ich doch noch – meine Standardreaktion, wenn ich unter Druck stehe. Ich soll in die eine Richtung sehen? Prompt sehe ich in die andere! Ich drehte mich um und prägte mir durch das staubig verschmierte Rückfenster das Haus ein, das wir soeben verlassen hatten. Ich sah drei oder vier Stufen, die zu einer dunkelblauen oder vielleicht schwarzen geschlossenen Tür führten. Ich sah zwei große Überwachungskameras in einigem Abstand darüber. Ich sah eine flache georgianische Backsteinfassade mit weiß gestrichenen Schiebefenstern und heruntergelassenen Rollos. Ich sah nach der Hausnummer und fand keine. Dann war das Haus verschwunden – aber man sage mir nicht, es habe nie existiert! Es war da, und ich habe es gesehen. Ich bin durch seine Pforten geschritten, ich habe meinem Helden Jack Brinkley die Hand gegeben und ihm, laut Maxie, den Schock seines Lebens verpaßt.
* * *
Kam Salvo, unser Agentennovize, nicht fast um vor Angst, als er in halsbrecherischem Tempo durch den zähen Freitagabendverkehr des terrorgeplagten London chauffiert wurde, in Begleitung von Männern, die er nicht kannte, Gefahren entgegen, von denen er noch keinerlei Begriff hatte? Ganz und gar nicht. Er zog aus, um seinen Auftraggebern zu dienen, Gutes zu tun für sein Land, den Kongo, für Mr. Anderson und Hannah. Bei welcher Gelegenheit mir unsere Nachbarin Paula einfällt, Penelopes Vertraute und, wenn man mich fragt, eine Wölfin im Schafspelz, die an einem kanadischen Provinzcollege Psychologie studiert hat und in Ermangelung zahlender Patienten ihre Künste an jedem ausprobiert, der unvorsichtig genug ist, sich in ihre Nähe zu verirren – weshalb sie mich, nachdem sie sich eine gute halbe Flasche von meinem Rioja genehmigt hatte, einmal davon in Kenntnis setzte, daß es mir, von meinen anderen Unzulänglichkeiten ganz zu schweigen, an Raubtierinstinkt gebreche.
Wir saßen zu fünft in dem Van, der vom Berkeley Square aus in Richtung Westen davonfuhr, in rasender Fahrt immer dicht hinter unserer Polizeieskorte, in Busspuren, über rote Ampeln, auf der falschen Seite um Verkehrsinseln herum, doch die Stimmung im Wagen war so entspannt wie bei einer sonntäglichen Bootspartie. Der Zivilfahrer, dessen Silhouette sich gegen die Windschutzscheibe abhob, schaltete so geschmeidig von einem Gang in den anderen, daß er sich kaum zu bewegen schien. Neben ihm lümmelte sich Maxie in seinem Sitz, nicht angeschnallt. Den geöffneten Gasmaskenbehälter auf dem Schoß, konsultierte er beim Schein der Innenbeleuchtung ein angeschimmeltes Notizbuch und gab per Handy lässig eine Reihe von Anweisungen durch:
»Wo steckt Sven? Der soll seinen Arsch in Bewegung setzen und heute abend in den Flieger steigen. Bis Ende der Woche muß er sechzig Mann zusammengetrommelt haben, marschbereit. Wenn er sie von Kapstadt aus mit einer Chartermaschine rauffliegen muß, Pech gehabt. Und vor allem topfit, Harry. Alte Haudegen, aber noch nicht mit einem Fuß im Grab, kapiert? Spitzengage, voller Versicherungsschutz. Was willst du noch? Gratisnutten?«
Unterdessen machte ich mich mit meinen beiden ungleichen Gefährten bekannt. Der graue Pferdeschwanz zu meiner Rechten hieß Benny, wie er mir sagte, während er mir zur Begrüßung fast die Hand brach; er hatte den feisten Körper und das narbige Gesicht eines abgehalfterten Boxers. Ein weißer Rhodesier, hätte ich der Stimme nach gesagt. Der Bürstenschnitt zu meiner Linken war nur halb so groß wie Benny und ein waschechter Cockney, auch wenn er sich Anton nannte. Er trug ein besseres Sportsakko als ich, eine Gabardinehose mit scharfer Bügelfalte und braune Schuhe mit blankgewienerten Kappen. Welchen Respekt mir gut geputzte Schuhe einflößen, habe ich bereits erwähnt.
»Mehr Gepäck haben wir nicht, Chef?« murmelte Anton, nachdem wir uns vorgestellt hatten, und stupste mit der Schuhspitze gegen meine kunstlederne Reisetasche.
»Mehr haben wir nicht, Anton.«
»Und was ist da drin?« So wenig, wie er dabei die Lippen auseinandernahm, hätte man aus größerer Entfernung kaum erkennen können, daß er überhaupt etwas sagte.
»Persönliche Effekten, Wachtmeister«, antwortete ich keck.
»Und unter persönlich verstehen wir was, Chef?
Kassettenrecorder? Eine Neun-Millimeter-Automatik? Oder ein ganz persönliches Spitzenhöschen? Wer will heutzutage schon sagen, was persönlich ist, stimmt’s, Benj?«
»Ein ewiges Rätsel, der persönliche Aspekt«, pflichtete ihm der Riese zu meiner Rechten bei.
Maxie ließ sich derweil bei seinem rasanten Monolog nicht stören:
»Mir scheißegal, wie spät es ist. Corky hat in seinem ganzen Leben noch nicht geschlafen. Wenn er in fünf Tagen nicht fertig ist, steigt die Party eben ohne ihn. Wie wär’s mit einem Stift, oder hast du den auch noch verloren?«
Knightsbridge rauschte vorbei, dann Chelsea, wo sich, wie ich erleichtert feststellte, kein Kind an die Ufermauer klammerte. Nachdem die Motorradeskorte eine weitere rote Ampel überfahren hatte, bogen wir nach links ab, in Richtung Süden, was in meinem Kopf eine unkontrollierte Detonation auslöste. Wir fuhren über die Battersea Bridge! Wir waren nur eine gute halbe Meile von Norfolk Mansions 17, Prince of Wales Drive entfernt, von meiner Wo h n u n g , ihrer Wohnung, unserer Wohnung, kamen ihr von Sekunde zu Sekunde näher! Eine idealisierte Vision unseres Ehelebens stieg vor mir auf, ähnlich der, mit der ich Bridget zwangsbeglückt hatte. Links von mir lag unser Park, wo ich in einem der nächsten Jahre mit unserem Kind auf den Rummelplatz hatte gehen wollen! Hinter mir lag unser Fluß! Wie oft waren Penelope und ich nicht nach dem Essen, nach dem Sex, dort auf dem Treidelpfad spazierengegangen? Und da, unser Schlafzimmerfenster! Bei meiner überstürzten Umkleideaktion hatte ich vergessen, das Licht auszumachen!
Ich riß mich am Riemen. Geheimagenten im Dienste der Krone, ob Teilzeit oder Vollzeit, dürfen nicht überreagieren, nicht einmal, wenn sie von einem Donnerkeil getroffen werden. Doch als ich mein Battersea sah, mein Viertel, das mich wie einen verlorenen Sohn willkommen zu heißen schien, überkamen mich die unsinnigen Ängste aller ehebrecherischen Ersttäter: die Angst, mit nichts als einem Koffer vor die Tür gesetzt zu werden, die Angst, die Achtung der wunderbaren Frau zu verwirken, die man, wie man allzu spät erkennt, mehr als jede andere liebt und begehrt, die Angst, seine CD-Sammlung zu verlieren, die so mühsam erklommene unterste Sprosse der Immobilienleiter wieder hinunterzupurzeln und als Namenloser auf der Hampsteader Heide unter einem Busch zu verrecken.