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An dieser Stelle vielleicht ein paar Worte über den Lebenskampf meines lieben Vaters selig. Sein Eintritt in die Welt, so versicherte er mir, war um keinen Deut glatter verlaufen als der meinige. Geboren 1917 als Sohn eines Korporals der Royal-Ulster-Füsiliere und eines vierzehnjährigen Bauernmädchens aus der Nor-mandie, das zufällig des Weges spaziert kam, verbrachte er seine Kindheit auf dem Rangiergleis zwischen einer Kate in den Sperrin-Bergen und einer anderen in Nordfrankreich, bis ihm sein Fleiß und seine ererbte Zweisprachigkeit zu einem Platz in einem Priesterseminar im tiefsten Donegal verhalfen, wodurch er seine jungen Füße unbedacht auf den Pfad Gottes setzte.

Zurück nach Frankreich geschickt, wo sein Glaube letzten Schliff erhalten sollte, durchlitt er klaglos nicht enden wollende Jahre zermürbender Unterweisung in katholischer Dogmatik, doch kaum war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, schnappte er sich das nächstbeste Fahrrad, welches sich zu der Zeit, wie er mit typisch irischem Schalk hervorhob, in gottlosen Protestantenhänden befand, und strampelte, was die Pedale hergaben, über die Pyrenäen nach Lissabon. Als blinder Passagier auf einem Trampschiff nach dem damaligen Leopoldville entging er den Aufmerksamkeiten einer Kolonialregierung, der herumstreunende weiße Missionare ein Dorn im Auge waren, und schloß sich einer abgelegenen Bruderschaft an, die sich der Bekehrung der über zweihundert Stämme des Ostkongo verschrieben hatte, noch unter günstigsten Bedingungen ein ehrgeiziges Ziel. Wenn schon ich mir von Zeit zu Zeit den Vorwurf zu großer Impulsivität einhandle – man sehe sich meinen seligen Vater auf seinem Ketzerfahrrad an!

Mit der Hilfe einheimischer Konvertiten, deren Sprachen er als Naturtalent im Nu erlernte, brannte er Ziegel und vermörtelte sie mit rotem Lehm, den er mit den eigenen Füßen weichstampfte, zog Gräben durch die Hänge und hob zwischen den Bananenhainen Latrinen aus. Dann wurde gebaut: zuerst die Kirche, dann die Schule mit ihren beiden Glockentürmen, dann das Marien-Hospital. Dem folgten die Fischteiche und die Obst- und Gemüseplantagen zur Eigenversorgung, denn dies erschien ihm als seine dringlichste Berufung in einer Region, in der alles so reichlich gedieh – ob es nun Maniok war, Papayas, Mais, Sojabohnen, Chinin oder Kivus Walderdbeeren, die die besten der ganzen Welt sind. Erst nach alledem kam die Mission selbst an die Reihe. Und hinter der Mission ein niedriges Ziegelhäuschen mit kleinen, hoch in die Wand gesetzten Fenstern: die Dienstbotenunterkunft.

Im Namen Gottes zog er Hunderte von Meilen zu den entferntesten patelins und Minensiedlungen, beglückt über jede neue Gelegenheit, seine stets wachsende Sprachensammlung zu erweitern, bis er eines Tages bei seiner Rückkehr Schule und Missionshaus dem Erdboden gleichgemacht fand, seine Priesterbrüder geflohen, die Kühe, Ziegen und Hühner geraubt, das Hospital geplündert, die Schwestern verstümmelt, vergewaltigt und abgeschlachtet und sich selbst in der Gewalt der furchtgebietenden Simba. Dieser mörderische Mob irregeleiteter Revolutionäre galt seit einigen Jahren offiziell als ausgerottet, doch ein paar letzte versprengte Häuflein existierten zäh weiter und hielten fest an ihrem alleinigen Daseinszieclass="underline" Tod und Vernichtung allen Handlangern des Kolonialismus, wobei Handlanger jeder sein konnte, der von ihnen selbst oder den Geistern ihrer langverstorbenen KriegerAhnen dazu ernannt wurde.

Gemeinhin schreckten die Simba davor zurück, Hand an weiße Priester zu legen, aus Angst um die Wirkkraft ihrer dawa, die sie gegen Gewehrkugeln feite. Im Falle meines seligen Vaters freilich brauchten seine Häscher nicht lange, um ihre Skrupel zu überwinden: Die Tatsache, daß er ihre Sprache so gut sprach wie sie selbst, entlarvte ihn einwandfrei als einen schwarzen Teufel in Verkleidung. Von seiner Standhaftigkeit in der Gefangenschaft wurde später so manch erhebende Anekdote erzählt. Sooft er auch ausgepeitscht wurde, um die wahre Färbung seiner Teufelshaut ans Licht zu bringen, sooft er auch gefoltert oder dazu gezwungen wurde, der Folterung anderer beizuwohnen, verkündete er doch unermüdlich das Evangelium und erbat Gottes Vergebung für seine Peiniger. Wann immer es ihm möglich war, ging er unter seinen Mitgefangenen umher und spendete ihnen die Kommunion. Doch nicht einmal die katholische Kirche in all ihrer Weisheit hätte die Wirkung voraussehen können, die diese Fülle der Entbehrungen auf ihn hatte. Die Geißelung des Fleisches, so lehrt man uns, befördert den Triumph des Geistes. Allerdings nicht im Falle meines seligen Vaters, der binnen Monaten nach seiner Freilassung die Fehlbarkeit dieser bequemen Doktrin unter Beweis gestellt hatte, und zwar nicht nur mit meiner seligen Mutter.

Wenn in jener stinkenden Gefängnishütte und jener Peitsche damals ein göttlicher Wille am Werk war, raunte er mir auf seinem Sterbebett zu, wobei er zu seinem herzerquickenden Ulster-Englisch Zuflucht nahm, für den Fall, daß seine Mitbrüder durch die Dielenritzen lauschten, dann offenbart er sich in deiner Zeugung, mein Sohn. Sterben zu müssen, ohne den Trost erfahren zu haben, den der Körper einer Frau zu spenden vermag – diese Vorstellung war die eine Folter, die ich nicht ertrug.

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Meiner Mutter Lohn dafür, daß sie mich in die Welt setzte, war ebenso hart wie ungerecht. Auf Drängen meines Vaters machte sie sich in ihr Heimatdorf auf, um bei ihrer Familie und ihrem Stamm niederzukommen. Aber dies waren turbulente Zeiten für den Kongo – oder Zaire, wie General Mobutu verordnete.

Im Namen des Afrikanertums hatte man ausländische Priester aus dem Land gejagt, weil sie sich erdreistet hatten, Kinder auf westliche Namen zu taufen, in den Schulen durfte das Leben Jesu nicht mehr gelehrt werden, und Weihnachten war zum normalen Werktag erklärt worden. Verständlich also, daß die Stammesältesten im Dorf meiner Mutter wenig Lust verspürten, ein Missionarsbalg aufzuziehen, dessen Anwesenheit in ihrer Mitte sofortige Vergeltung auf sie herabbeschwören konnte, weshalb sie das Problem dahin zurückschickten, wo es hergekommen war.

Doch die Patres in der Mission wollten uns ebensowenig wie die Dorfältesten und verwiesen meine Mutter tunlichst an ein fernes Nonnenkloster, wohin sie es mit knapper Not schaffte, nur wenige Stunden vor meiner Geburt. Drei Monate unter der wohlmeinenden Knute der Karmelitinnen waren mehr als genug für sie. Aber meine Zukunft glaubte sie bei den Schwestern in besseren Händen als bei ihr selbst, und so vertraute sie mich ihrer Barmherzigkeit an, entfloh tiefnachts über das Dach des Badehauses und schlich sich zurück zu den Ihren, die wenige Wochen später bis zum letzten Mann von einem feindlichen Stamm massakriert wurden, einschließlich meiner fernsten Urahnen, meiner Onkel, meiner Vettern zweiten Grades, Großtanten und Halbbrüder oder -schwestern.

Die Tochter eines Dorfführers, mein Sohn, flüsterte mein Vater durch seine Tränen, als ich ihn um Einzelheiten bestürmte, die mir helfen sollten, mir ein Bild von ihr zu machen, von dem ich in späteren Jahren zehren könnte. Ich hatte unter seinem Dach Aufnahme gefunden. Sie kochte für uns und brachte mir mein Waschwasser. Ihre Freigebigkeit war es, die mich überwältigte. Er setzte schon längst keinen Fuß mehr auf die Kanzel, er hatte allem verbalen Feuerzauber abgeschworen. Dennoch entfachte die Erinnerung nun ein paar Funken in der schwelenden Glut seiner irischen Beredsamkeit: So hochgewachsen, wie du einmal sein wirst, mein Sohn! So schön wie Gottes gesamte Schöpfung! Wie im Namen des Heilands kann jemand behaupten, du seist in Sünde geboren? Du bist in Liebe geboren, mein Sohn! Es gibt keine Sünde außer dem Haß!