Sein ruheloser Blick heftete sich auf einen Stapel kofferähnlicher schwarzer Kästen, die alle die gleiche Größe hatten und neben der Kabinentür festgezurrt waren. Auf einer Matratze davor lag, zusammengerollt wie ein neugeborenes Kälbchen, ein zwergenhafter Mann mit Schlägerkappe und Steppweste, der dem Anschein nach genauso tief und fest schlief wie seine Kameraden.
»Taugt denn der Krempel da was, Spider?« fragte Maxie, die Stimme erhoben, um sich über die Breite des Flugzeugrumpfs hinweg verständlich zu machen.
Kaum daß der Zwerg seinen Namen hörte, sprang er wie ein Akrobat auf die Füße und baute sich in komödiantischer Habachtstellung vor uns auf.
»Glaube kaum, Skip. Ein Haufen Schrott, so wie’s aussieht«, antwortete er heiter mit einem walisischen Einschlag, wie mir das Ohr des Spitzendolmetschers sogleich verriet. »Was erwartest du für dein Geld, wenn einer nur zwölf Stunden Zeit kriegt, um so ein Teil zusammenzubasteln?«
»Wie sieht’s mit Proviant aus?«
»Gute Frage, Skip. Ein anonymer Gönner hat uns freundlicherweise diesen Fortnum-Freßkorb hier spendiert. Jedenfalls gehe ich davon aus, daß er anonym bleiben will, weil das Ding keinen Absender hat, und ein Kärtchen auch nicht.«
»Und lohnt sich’s?«
»Nicht besonders, ehrlich gestanden. Ein ganzer York-Schinken. Ungefähr ein Kilo Gänseleberpastete. Ein paar Räucherlachsfilets, ein gebratenes Roastbeef, Käsestangen, eine Magnumflasche Champagner. Nichts, was so richtig Appetit macht. Ich wollt’s schon wieder zurückgehen lassen.«
»Den Korb gibt’s dann auf dem Rückflug«, schnitt Maxie ihm das Wort ab. »Sonst noch was auf der Speisekarte?«
»Chow Mein. Das beste, was man in Luton auftreiben kann. Müßte inzwischen auch schön kalt sein.«
»Her damit. Und sag unserem Sprachguru hallo. Brian heißt er. Leihgabe aus dem Chatroom.«
»Aus dem Chatroom, hm? Ja, ja, da werden Erinnerungen wach. Mr. Andersons alte Klitsche. Singt er immer noch Bariton? Nicht daß ihn in der Zwischenzeit einer kastriert hat …«
Womit Spider, wie er offensichtlich hieß, mit seinen Knopfäuglein auf mich herunterlächelte, und ich lächelte hoch zu ihm, meinem Freund Nummer zwei bei unserem großen Unternehmen.
»Und Militärausdrücke haben Sie auch drauf«, verkündete Maxie, indem er eine alte, mit khakifarbenem Stoff bezogene Trinkflasche aus Blech und ein Päckchen Bath-Oliver-Kräcker aus seinem Gasmaskenbehälter hervorholte. Wie ich später erfuhr, enthielt die Flasche Malvern Water.
»An was für Militärausdrücke dachten Sie denn, Skipper?« parierte ich.
Mein Chow Mein war zu einer kalten Pampe erstarrt, aber da ich mir keine Blöße geben wollte, würgte ich es entschlossen hinunter.
»Handfeuerwaffen, Artillerie, Feuerkraft, Kaliber, diesen ganzen Kram« – und biß in einen Kräcker.
Ich versicherte ihm, daß ich dank meiner Erfahrungen im Chatroom mit einer ganzen Palette technischer und militärischer Begriffe vertraut sei. »Aber normalerweise ist es ohnehin so, daß ein Ausdruck, für den es in der jeweiligen Landessprache keine Entsprechung gibt, einfach bei der nächstbesten Kolonialsprache abgekupfert wird«, fügte ich hinzu. Endlich war ich in meinem Element. »Was im Falle eines Ostkongolesen natürlich das Französische wäre.« Ich konnte mich nicht beherrschen. »Es sei denn, er wäre in Ruanda oder Uganda ausgebildet worden. Dann würde man auch ein paar englische Lehnwörter finden, Sniper zum Beispiel oder MG.«
Maxie legte allenfalls höfliches Interesse an den Tag. »Dann würde also ein Munyamulenge, der mit einem Bembe quatscht, von einer semi-automatique reden?«
»Falls sie sich überhaupt verständigen könnten«, entgegnete ich, darauf erpicht, ihn mit meinem Fachwissen zu beeindrucken.
»Und das heißt, alter Junge?«
»Nun, daß ein Bembe zum Beispiel Kinyarwanda spricht, aber doch nicht ganz die Brücke zum Kinyamulenge schlagen kann.«
»Und was machen sie dann?« – wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Sie müßten sich mit dem behelfen, was beide beherrschen. Jeder würde den anderen verstehen, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt.«
»Und nach diesem Punkt?«
»Müßten sie es mit ihrem Swahili oder Französisch probieren. Je nachdem, was sie gelernt haben.«
»Außer, die beiden hätten Sie dabei, hm? Sie sprechen alles.«
»In diesem Fall stimmt das«, antwortete ich bescheiden. »Aber ich würde mich natürlich nicht aufdrängen. Ich würde abwarten, was benötigt wird.«
»Die können also sprechen, was sie wollen, wir sprechen es besser. Richtig? Nicht schlecht!« Aber sein Ton ließ klar erkennen, daß er weniger zufrieden war, als seine Worte nahelegten. »Stellt sich bloß die Frage, ob wir denen das auf die Nase binden müssen. Vielleicht sollten wir es schlauer anstellen. Ihnen nicht gleich unsere schweren Geschütze zeigen.«
Schwere Geschütze? Was für schwere Geschütze? Oder ging es immer noch um meine militärischen Fachkenntnisse? Ich war verwirrt. Vorsichtig hakte ich nach.
»Na, Ihre schweren Geschütze, was denn sonst? Ihr Sprachenarsenal. Das weiß doch jedes Kind, daß ein guter Soldat den Feind über seine Stärken im unklaren läßt. Mit Ihren Sprachen ist es dasselbe. Wir buddeln sie ein und legen ein Tarnnetz darüber, bis wir sie brauchen. Gesunder Menschenverstand.«
Maxie, das wurde mir immer klarer, übte einen betörenden und gefährlichen Zauber aus. Teil dieses Zaubers war seine Fähigkeit, einem den aberwitzigsten Plan als normal zu verkaufen, selbst wenn man über den Plan als solchen noch gar nichts wußte.
»Wie wär’s denn damit?« sagte er, als schlüge er mir einen Kompromiß vor, der sich mit meinen überstrengen Wertmaßstäben vertrug. »Wir behaupten einfach, daß Sie bloß Englisch, Französisch und Swahili sprechen, mehr nicht. Das reicht dicke. Und die kleinen Sprachen behalten wir für uns. Wie würde Ihnen das gefallen? Mal eine andere Art von Herausforderung. Mal was Neues.«
Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, würde es mir ganz und gar nicht gefallen, aber das mußte ich ihn ja nicht unbedingt merken lassen.
»Und in welchem Kontext, Skipper – unter welchen Umständen würden wir das behaupten? Beziehungsweise es für uns behalten?« fügte ich mit einem – hoffentlich – weisen Lächeln hinzu. »Ich will ja nicht pedantisch sein, aber wem würden wir das erzählen?«
»Allen. Jedem. Dem ganzen Saal. Im Interesse der Operation. Um die Konferenz voranzubringen. Passen Sie mal auf.« Er machte eine Kunstpause, wie ein Experte, der versucht, einem Schwachkopf etwas zu erklären. Ich muß gestehen, diese Überheblichkeit habe ich auch schon an den Tag gelegt. »Wir haben zwei Sinclairs« – er streckte mir seine kugelsicheren Hände hin, für jedes meiner beiden Ichs eine –, »einen Sinclair über Wasser« – er hob die Linke hoch – »und einen Sinclair unter Wasser« – er ließ die Rechte in seinen Schoß sinken. »Über Wasser, das ist die Spitze des Eisbergs, da sprechen Sie nur Französisch und verschiedene Swahili-Varianten. Und natürlich Englisch mit Ihren Freunden. Die übliche Hausmannskost eines mittelprächtigen Dolmetschers eben. Können Sie mir folgen?«
»Bis hierher schon, Skipper.« Ich bemühte mich, Begeisterung aufzubringen.
»Und darunter« – ich starrte hinab in seinen rechten Handteller – »die restlichen neun Zehntel des Eisbergs, das sind Ihre ganzen anderen Sprachen. Das schaffen Sie doch, oder? Ist nicht so schwierig, Sie müssen sich bloß konzentrieren.« Er zog die Hände zurück, nahm sich noch einen Kräcker und wartete, daß bei mir der Groschen fiel. Aber ich schaltete auf stur.
»Ich glaube, ganz komme ich doch nicht mit, Skipper«, sagte ich.
»Jetzt seien Sie nicht zickig, Sinclair, natürlich kommen Sie mit! Es ist kinderleicht. Ich gehe in den Konferenzraum. Ich stelle Sie vor.« Mit vollem Mund spielte er es mir in seinem grauenhaften Französisch vor: »›Je vous présente Monsieur Sinclair, notre interprète distingué. Il parle anglais, français et swahili.‹ Und fertig ist der Lack. Wenn irgendwer in einer anderen Sprache loslegt, verstehen Sie ihn einfach nicht.« So wacker ich mich auch bemühte, gefiel ihm meine Miene doch immer noch nicht. »Himmelherrgott, Mann. Ist doch keine große Sache, sich dumm zu stellen. Die meisten Leute schaffen das mit links. Und warum? Weil sie dumm sind. Aber Sie sind es nicht. Sie sind ein As, ein Star. Dann seien Sie auch ein As, zeigen Sie, was Sie draufhaben. Ein junger, kräftiger Kerl wie Sie, das ist doch ein Klacks.«