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»Welch größeren Segen gibt es, mein lieber Salvo«, rief er, und eine drahtige Faust schoß aus seiner Kutte hervor und boxte in die Luft, während sich die andere Hand schuldbewußt unter meinen Kleidern zu schaffen machte, »als die Brücke zu sein, das unentbehrliche Bindeglied zwischen den ringend sich bemühenden Geschöpfen Gottes? Das Seine Kinder zusammenführt in Harmonie und gegenseitigem Verstehen?«

Was Michael nicht bereits über meine Lebensgeschichte wußte, war im Lauf unserer zweisamen Gänge bald erzählt. Ich berichtete ihm von den magischen Abenden am Kamin des Dienstbotenquartiers. Ich schilderte ihm, wie mein Vater und ich in seinen letzten Jahren zu entlegenen Dörfern gereist waren, wo ich, solange er mit den Ältesten palaverte, den Kindern unten am Fluß die Wörter und Wendungen abluchste, die mein ein und alles waren. Andere mochten ihr Glück in wilden Spielen, in Fauna, Flora oder Stammestänzen suchen – Salvo, das Kind, das es nicht gab, fand die Erfüllung in den melodiösen Vertraulichkeiten der afrikanischen Stimme mit ihren Myriaden von Schattierungen und Variationen.

Und während ich der Erinnerung an solche und ähnliche Abenteuer nachhing, wurde Pater Michael seine große Erleuchtung zuteil.

»Wie es dem Herrn gefallen hat, in dir zu säen, Salvo, also laß uns jetzt zusammen ernten!« rief er.

So ernteten wir denn. Mit einer Resolutheit, die ihn weniger Mönch denn Marschall erscheinen ließ, wälzte der noble Michael Vorlesungsverzeichnisse, verglich Studiengebühren, schleppte mich zu Auswahlgesprächen, nahm meine prospektiven Lehrer, Damen wie Herren, ins Kreuzverhör und blickte mir über die Schulter, während ich mich einschrieb. Sein Ehrgeiz, entfacht von Anbetung, war so unerbittlich wie sein Glaube: Ich sollte eine solide Grundlage in jeder einzelnen meiner Sprachen erhalten und auch diejenigen wiederentdecken, die im Lauf meiner bewegten Kindheit auf der Strecke geblieben waren. Und wer würde aufkommen für all dies? Ein Engel, der uns erschien in Gestalt von Michaels reicher Schwester Imelda, deren säulengeschmücktes Haus aus honiggoldenem Sandstein, in die Senken Somersets geschmiegt, zu meiner Herzensheimat außerhalb Herz Jesu wurde. Auf Willowbrook, wo ausgemusterte Poloponys ihr Gnadenbrot bekamen und jeder Hund seinen eigenen Ohrensessel hatte, wohnten drei muntere Schwestern, deren älteste Imelda war. Wir hatten unsere eigene Kapelle mit Angelusglocke, einen Grenzgraben, ein Eishaus, einen Croquetrasen und Trauerlinden, die, wenn es stürmte, umstürzten. Wir hatten das Onkel-Henry-Zimmer, weil Tante Imelda die Witwe eines Kriegshelden namens Henry war, der England im Alleingang vor dem Feind errettet hatte, und hier war er, von seinem ersten Teddybären auf dem Kopfkissen bis hin zu seinem letzten Brief von der Front, der auf einem goldbeschlagenen Lesepult lag. Aber kein Photo, danke vielmals. Tante Imelda, deren Schale so rauh war wie ihr Kern weich, erinnerte sich auch ohne allerbestens an Henry und behielt ihn somit für sich.

* * *

Doch Pater Michael kannte auch meine Schwächen. Er wußte, daß Wunderkinder – denn als ein solches sah er mich – im gleichen Maße gezügelt wie gefördert werden mußten. Er wußte, daß ich zwar strebsam war, aber auch unbesonnen: viel zu leicht eingenommen von jedem, der nett zu mir war, viel zu sehr in Angst davor, abgelehnt, ignoriert oder gar ausgelacht zu werden, viel zu schnell bereit, jede sich bietende Chance zu ergreifen, denn eine zweite würde es womöglich nie geben. Er hielt nicht weniger auf mein feines Gehör und scharfes Gedächtnis als ich, aber er bestand darauf, daß ich mich in beidem so gewissenhaft übte wie ein Musiker an seinem Instrument oder ein Priester in seinem Glauben. Er wußte, daß mir jede Sprache kostbar war, nicht nur die Schwergewichte, sondern auch die kleinen, todgeweihten, die ohne Schriftform auskommen mußten; daß der Sohn des Missionars nicht anders konnte, als hinter diesen verirrten Schafen herzulaufen und sie zur Herde zurückzubringen; daß ich darin Legenden und Fabeln hörte, Geschichte, Poesie und die Stimme meiner nie gekannten Mutter, die mir von Geistern erzählte. Er wußte, daß ein junger Mann mit einem so offenen Ohr für jede stimmliche Nuance und Modulation beeinflußbarer und verführbarer ist als irgendjemand sonst. Salvo, schärfte er mir immer wieder ein, sei auf der Hut. Es gibt Menschen da draußen, die nur Gott allein lieben kann. Und Michael ließ mich nicht abweichen vom steinigen Pfad der Disziplin, bis aus meinen ungewöhnlichen Gaben eine gutgeölte, multifunktionale Maschine geworden war. Nichts an seinem Salvo durfte brachliegen, so drängte er, nichts durfte einrosten, weil es ungenutzt blieb. Jeder Muskel, jede Faser meines gottgegebenen Talents mußte täglich in der Turnhalle des Geistes trainiert werden, erst mit Privatlehrern, später am Londoner Institut für Orientalistik und Afrikanistik, wo ich mein Examen in Afrikanischer Sprach- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Swahili und Nebenfach Französisch mit Auszeichnung ablegte. Und schließlich in Edinburgh, wo meine Ausbildung gekrönt wurde durch einen Magisterabschluß als Fachübersetzer und -dolmetscher. So daß ich mich am Ende meines Studiums mit mehr Diplomen und Dolmetscherzulassungen schmücken konnte als all die windigen Übersetzungsbüros, die ihre dubiosen Dienste auf der Chancery Lane anbieten, zusammengenommen. Und als Pater Michael auf seiner eisernen Pritsche im Sterben lag und meine Hände streichelte, konnte er mir versichern, daß ich sein vollendetstes Werk sei, in Anerkennung dessen er mir eine goldene Armbanduhr aufnötigte, ein Geschenk von Imelda, die Gott erhalten möge, und mir das Versprechen abnahm, die Uhr stets getreulich aufzuziehen als Symbol unserer Verbundenheit über das Grab hinaus.

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Man verwechsle nie einen bloßen Übersetzer mit einem Spitzendolmetscher. Sicher, der Dolmetscher ist ein Übersetzer, aber nicht umgekehrt. Übersetzen kann jeder, der ein paar Sprachkenntnisse hat, ein Wörterbuch und einen Schreibtisch, an dem er die Nächte durch sitzen und schwitzen kann: pensionierte Offiziere der polnischen Kavallerie, unterbezahlte Gaststudenten, Taxifahrer, Aushilfskellner, Hilfslehrer und wer sonst noch willens sein mag, seine Seele zum Spottpreis zu verkaufen. Er hat nichts gemeinsam mit dem Konferenzdolmetscher, der sechs Stunden hochkomplexer Verhandlungen stemmen muß. Der Dolmetscher muß so blitzschnell denken können wie ein Daytrader beim Futures-Handel. Wobei es oft sogar besser ist, er denkt überhaupt nicht, sondern schaltet die surrenden Zahnrädchen seiner beiden Hirnhälften so, daß sie ineinandergreifen, und hört sich dann ganz einfach zu.

Bei Konferenzen kommen die Leute manchmal zu mir, in der Regel am Ende des Tages, in dieser aufgeräumten Spanne zwischen dem Schluß des Tagesprogramms und dem Ansturm auf die Cocktails. »He, Salvo, helfen Sie uns mal. Wir können uns nicht einigen. Was ist Ihre Muttersprache?« Und wenn ich das Gefühl habe, sie sind ein bißchen sehr von sich eingenommen, was meistens der Fall ist, denn zu diesem Zeitpunkt steht für sie fest, daß sie die Größten auf Gottes Erdboden sind, drehe ich die Frage um. »Kommt darauf an, wer meine Mutter war, meinen Sie nicht?« erwidere ich mit einem enigmatischen Lächeln, das ich eigens für diese Gelegenheiten bereithalte. Dann lassen sie mich meist in Ruhe weiterlesen.

Aber es freut mich, wenn sie rätseln. Es beweist, daß meine Stimme klingt, wie sie sollte. Meine englische Stimme, meine ich. Sie klingt weder nach Ober noch Mittel noch Unterschicht. Sie klingt nicht faux royale und auch nicht nach dem Oxford-Englisch, über das sich die britische Linke so gern mokiert. Wenn überhaupt etwas, dann ist sie offensiv neutral, angesiedelt im extremen Zentrum der englischsprachigen Gesellschaft. Sie ist nicht die Art von Englisch, bei der die Leute sagen: »Ach, da und da kommt er her, das und das versucht er zu sein, das waren seine Eltern, der Ärmste, und da ist er zur Schule gegangen.« Sie verrät – anders als mein Französisch, das trotz all meiner Anstrengungen seine afrikanische Bürde nie ganz abwerfen kann – nichts von meiner gemischten Abstammung. Sie ist nicht regional gefärbt, sie hat nichts von dem Blair’schen Wir-sind-doch-alle-klassenlos-Geschlurre, nichts von dem verkniffenen High-Tory-Cockney oder dem Singsang der Kariben. Und keine Spur von den verschliffenen irischen Vokalen meines seligen Vaters. Ich habe seine Sprache geliebt und liebe sie noch, aber es war seine Sprache und niemals die meine.