Nein. Mein gesprochenes Englisch ist blank, glattgeschmirgelt, ohne Markenzeichen bis auf jene leichte afrikanische Melodik, die ich gelegentlich ganz gezielt einfließen lasse – mein Tropfen Milch im Kaffee, wie ich spielerisch dazu sage. Mir gefällt es, den Klienten gefällt es. Es gibt ihnen das Gefühl, daß ich in mir selber ruhe. Ich stehe nicht auf ihrer Seite, aber ebensowenig auf der anderen. Ich bleibe in dem Niemandsland dazwischen, ich bin, was Pater Michael sich immer gewünscht hat: die Brücke, das unentbehrliche Bindeglied zwischen den ringend sich bemühenden Geschöpfen Gottes. Jeder Mensch hat seinen Dünkel, und der meinige ist es, die eine Person im Raum zu sein, ohne die es nicht geht.
Und das war die Person, die ich auch für meine hinreißende Ehefrau Penelope sein wollte, als ich im Höllentempo eine Flucht aus Marmorstufen hochhetzte, um nicht zu spät zu dem exklusiven Empfang zu kommen, der eigens zu Penelopes Ehren im Obergeschoß eines mondänen Weinlokals in der Londoner Canary Wharf abgehalten wurde, dem Zentrum unserer großen britischen Zeitungsbranche: Auftakt zu einem Diner, das der neueste milliardenschwere Eigner der Zeitung für ein paar wenige Glückliche in seiner Residenz in Kensington gab.
* * *
Nur zwölf Minuten verspätet laut Tante Imeldas goldener Uhr und allem Anschein nach salonfähig: im bombenverschreckten London, wo jeder zweite U-Bahnhof dicht war, eine reife Leistung, könnte man sagen, aber für Salvo, den übergewissenhaften Ehemann, hätten es genausogut zwölf Stunden sein können. Penelopes großer Abend, der größte bislang in ihrer meteoritenhaften Karriere – und ihr Mann lief erst auf, nachdem sämtliche Gäste längst vom Verlagsgebäude auf der anderen Straßenseite herübergebummelt waren! Von dem Nordlondoner Bezirkskrankenhaus, wo mich Umstände, die sich meiner Kontrolle entzogen, seit dem gestrigen Abend festgehalten hatten, hatte ich mir ein Taxi für die ganze Strecke heim nach Battersea geleistet und es vor der Tür warten lassen, während ich mich hastig in meinen nagelneuen Smoking warf (zwingend vorgeschrieben an der Tafel des Eigners), unter Verzicht auf Rasieren, Duschen oder Zähneputzen. Als ich schließlich standesgemäß gekleidet an meinem Zielort anlangte, war ich in Schweiß gebadet, aber immerhin hatte ich es geschafft, ich war da – und ebenfalls da waren hundert oder mehr Kollegen von Penelope, die Auserwählten unter ihnen in Smoking und Abendkleid, der Rest lässig-elegant, alle miteinander in einen Saal mit niedrigen Deckenbalken und Ritterrüstungen aus Plastik gepfercht, Gläser mit warmem Weißwein in den Händen und die Ellenbogen ausgefahren, so daß ich als Zuspätkömmling am Rand feststeckte, bei den Kellnern, von denen die Mehrzahl passenderweise schwarz war.
Zunächst einmal sah ich sie nirgends. Ich dachte schon, sie hätte sich ebenso unerlaubt von der Truppe entfernt wie ihr Ehemann. Dann klammerte ich mich einen Moment an die Hoffnung, sie könnte sich für einen bühnenwirksam späten Auftritt entschieden haben, bis ich sie in dem Gedränge am anderen Ende des Saals erspähte, wo sie angeregt mit den Oberbonzen ihrer Zeitung parlierte, bekleidet mit einem hochmodischen Hosenanzug aus fließendem Satin, den sie sich offenbar selber spendiert und dann im Büro angezogen hatte – oder wo immer sonst sie als letztes gewesen war. Warum, o warum – rief eine Stimme in mir – hatte nicht ich ihn ihr geschenkt? Warum hatte ich nicht vor einer Woche beim Frühstück oder im Bett zu ihr gesagt, immer vorausgesetzt, sie wäre da gewesen, um es zu hören: Penelope, Schatz, ich hab eine wunderbare Idee, fahren wir zusammen nach Knightsbridge, und ich kauf dir was Schickes für deinen großen Abend?
Shoppen geht ihr über alles. Ich hätte großes Tamtam darum machen können, den galanten Verehrer spielen, sie in eins ihrer Lieblingsrestaurants ausführen – nicht daß sie nicht doppelt soviel verdienen würde wie ich, mit Spesen bis zum Abwinken!
Gleichzeitig meldete sich in meinem Kopf, aus Gründen, die bis zu einem ruhigeren Moment zurückstehen müssen, noch eine andere Stimme zu Wort, die mich zu diesem meinem Versäumnis beglückwünschte – was nichts mit dem Geld zu tun hat, aber eine Menge mit den widersprüchlichen Botschaften, die das menschliche Hirn unter Streß aussendet.
Eine Hand zwickte mich in den Hintern. Ich fuhr herum und begegnete dem Kalbsblick von Jellicoe alias Jelly, dem neuesten jungen weißen Hoffnungsträger der Zeitung, frisch einem Konkurrenzblatt weggekauft. Schlaksig, betrunken und neckisch wie stets, hielt er mir eine selbstgedrehte Zigarette hin, die er mit der hohlen Hand abschirmte.
»Penelope, ich bin da! Ich hab’s geschafft!« rief ich, ohne ihn zu beachten. »Megakrise im Krankenhaus. Tut mir wahnsinnig leid!«
Was tat mir leid? Die Megakrise? Ein paar Köpfe drehten sich nach mir um. Ach, der. Salvo. Penelopes Lanzenträger. Ich versuchte es lauter, diesmal unter Einsatz von Ironie. »He, Penelope! Kennst du mich noch nach der langen Zeit? Ich bin’s, dein Mann!« – und ich wollte mich schon hineinstürzen in eine ausgefeilte Geschichte darüber, wie mich eines meiner Krankenhäuser (welches, das würde ich aus Sicherheitsgründen nicht dazusagen) an das Bett eines sterbenden, immer wieder das Bewußtsein verlierenden Ruanders gerufen hatte, der mehrfach vorbestraft war,
so daß ich nicht nur für das Pflegepersonal hatte dolmetschen müssen, sondern auch für zwei Beamte von Scotland Yard, eine Zwangslage, von der ich hoffte, daß sie ihr Herz rühren würde: armer Salvo. Über ihr Gesicht breitete sich ein perlmattes Lächeln, und ich glaubte mich schon durchgedrungen zu ihr, als mir klar wurde, daß es in die Höhe gerichtet war, hinauf zu einem stiernackigen Mann, ebenfalls im Smoking, der auf einem Stuhl stand und in breitem Schottisch schrie: »Ruhe da unten, verdammt! Maul halten, alle miteinander!«
Augenblicklich verstummte seine ungebärdige Zuhörerschaft und scharte sich lammfromm um ihn. Denn dies war kein anderer als Penelopes großmächtiger Chefredakteur Fergus Thorne, in Pressekreisen bekannt als Thorne the Horn, der ankündigte, daß er eine launige Rede auf meine Frau zu halten gedachte. Ich hüpfte auf und ab und tat mein Möglichstes, um ihren Blick einzufangen, aber das Antlitz, von dem ich mir die Absolution ersehnte, war zu ihrem Chef emporgehoben wie eine Blüte zu den lebensspendenden Strahlen der Sonne.
»Nun, wir alle kennen Penelope«, begann Thorne the Horn zu Salven beifälligen Gelächters, die mich ärgerten, »und wir alle lieben Penelope« – bedeutsame Pause – »aus unserer jeweiligen Position heraus.«
Ich versuchte mich zu ihr durchzudrängeln, aber die Reihen hatten sich geschlossen, und Penelope wurde nach vorn durchgereicht wie eine errötende Braut, bis sie schließlich sittsam zu Mr. Thornes Füßen stand, was ihm ganz nebenbei einen ausgezeichneten Blick in ihr äußerst freizügiges Dekolleté bescherte. Und mir begann zu schwanen, daß sie mein Eintreffen womöglich ebensowenig zur Kenntnis genommen hatte wie zuvor mein Ausbleiben, als meine Aufmerksamkeit durch etwas abgelenkt wurde, das ich im ersten Moment als die Strafe Gottes in Form eines Herzinfarkts der Stärke zwölf diagnostizierte. Mein Brustkasten erbebte, eine Taubheit breitete sich in rhythmischen Wellen von der linken Brustwarze aus, und ich dachte, das war’s, und recht geschieht dir. Erst als ich die Hand an die befallene Stelle drückte, begriff ich, daß sich mein Mobiltelefon in dem unvertrauten Vibrationsmodus bemerkbar zu machen versuchte, den ich bei meinem Aufbruch aus dem Krankenhaus eine Stunde und fünfunddreißig Minuten zuvor eingeschaltet hatte.
Meine Außenseiterrolle wendete sich nun zum Vorteil. Während Mr. Thorne seine doppelbödigen Bemerkungen über meine Frau ausbaute, konnte ich dankbar zu einer Tür schleichen, über der WC stand. Bevor ich mich hinausschob, zeigte mir ein letzter Blick zurück Penelope, die den von Meisterhand frisierten Kopf zu ihrem Chef aufhob, die Lippen leicht geöffnet in froher Überraschtheit, die Brüste großzügig zur Schau gestellt in dem knappen Oberteil ihres Hosenanzugs. Ich ließ mein Telefon weiterbeben, bis ich drei Schritte hinaus in den stillen Korridor gemacht hatte, drückte dann die grüne Taste und hielt den Atem an. Aber statt der Stimme, die ich vor allen anderen fürchtete und herbeisehnte, vernahm ich die onkelhaft-gutturalen nordenglischen R’s von Mr. Anderson aus dem Verteidigungsministerium, der zu wissen verlangte, ob ich kurzfristig für einen relativ brisanten kleinen Dolmetscherauftrag zum Besten des Vaterlandes verfügbar sei, was er stark hoffe.