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3 T-Shirts

3 Paar Schuhe, 2 aus der Caritas-Sammlung, 1 Paar hat ein Deutscher für ihn gekauft.

1 Paar Sandalen

1 Schwamm

1 Kakaobutter-Lotion

Awad sagt Cocobutter dazu.

Butter? fragt ihn der Besucher. Awad zieht die Flasche mit der Lotion aus der Tasche hervor und zeigt sie her.

Aha.

Dann zählt Awad den Rest auf:

1 Handtuch

1 Zahnbürste

1 Bibel auf Englisch, die haben die Zeugen Jehovas ihm einmal geschenkt.

Hast du einen Pullover?

Nein, sagt Awad.

Eine Winterjacke?

Nein, sagt Awad.

Der Umzug, der heute ausfällt.

Der ältere Herr hat an dem Tag, an dem Awads Vater erschlagen oder erschossen wurde, gelebt und lebt noch immer.

Jetzt klopft es, und im selben Moment geht die Tür auf, es ist ein Betreuer:

Entschuldigung, sagt er zu dem älteren Herrn. Hallo, zu Awad, how are you, wir nehmen gerade Blut ab, um zu erfahren, wer schon einmal mit Windpocken infiziert war, möchtest du kommen? Und wieder zu Awads Besucher: Wir untersuchen, wer womöglich schon Antikörper im Blut hat, können Sie ihm das vielleicht erklären?

Awad sagt: I don’t understand.

Eine Blutprobe, sagt der Betreuer, es ist freiwillig, also nur, wenn du willst, Awad, wir warten oben in Zimmer 4015. Und ist schon wieder verschwunden.

Der ältere Herr sagt, so eine Untersuchung ist eine gute Sache. Wegen der sickness.

Awad sagt, ich geh da nicht hin.

Was ihm wohl sein Vater geraten hätte? Später einmal wird er, Awad, eine Frau haben und einen Sohn, und dem Sohn wird er den Namen seines Vaters geben. Und dann wird er seinen Sohn anreden mit: Daddy. Dann wird sein Vater wieder jeden Tag um ihn sein, verwandelt in ein Kind.

Wofür ist diese Lotion? fragt jetzt der ältere Herr und nimmt die Flasche noch einmal zur Hand, um das Kleingedruckte auf der Rückseite zu lesen.

Daddy. Wie wird die Küche aussehen, in der er für seinen Sohn kocht? Wie wird das Bad aussehen, in dem er ihm zeigt, wie man sich mit einem Handtuch den Rücken abtrocknet? Später ihm zeigt, wie man sich rasiert? Und in welcher Stadt, in welchem Land wird das sein? In Italien? In Deutschland? In Frankreich? In Schweden? In Holland? In der Schweiz? Oder in Libyen? In Libyen, wo er zu Haus war? Wo immer noch Krieg ist? Wenn Krieg ist, sieht man nur den Krieg. Jetzt muss er aufpassen, dass er nicht wieder anfängt umherzulaufen. Er weiß, dass seine Zimmergefährten ganze Tage beim Billard sind, weil sie es nicht aushalten, wenn er auf und ab zu gehen beginnt. Er muss ruhig sein. Er hat Besuch. Wenn man irgendwo ankommen will, darf man nichts verbergen. Was hat der ältere Herr eben gefragt? Die Lotion, die ihm Awad gezeigt hat, hält er immer noch in der Hand.

Vom Licht hier in Deutschland bekommen wir fleckige Haut, sagt Awad. Das Licht hier tut uns nicht gut.

Der ältere Herr sieht zu dem blaukarierten Vorhang hinüber, hinter dem der graue Himmel wie ein Filz aufgehängt ist.

Man bekommt hässliche weiße Flecken, sagt Awad, und dagegen hilft nur die Cocobutter.

Der ältere Herr schaut unwillkürlich auf seine Hände, die voller brauner Flecken sind. Er sagt: Ich bekomme vom deutschen Licht eine andere Sorte von Flecken, er stellt die Flasche ab und zeigt seine Hand her. Awad hält seine dunkle Hand daneben, an manchen Stellen sieht sie tatsächlich so aus, als habe jemand die Farbe abzureiben versucht.

Awad wird nie vergessen, wie die Hände seines Vaters ausgesehen haben. Wo diese Hände inzwischen wohl sind? Unter der Erde oder von den Hunden, den Vögeln gefressen?

Und darf ich noch etwas fragen? Der Besucher streicht sich mit einer Hand über die andere, so als könne er die Altersflecken einfach wegwischen.

Ja, bitte.

Auf der Versammlung in der letzten Woche hat einer gesagt, die Duschen müssten abschließbar sein. Ist das tatsächlich eine Frage des Glaubens?

So ein Deutscher weiß also wirklich nicht, dass die Aura eines Mannes vom Bauchnabel bis zu den Knien geht, und dass niemand, es sei denn die Ehefrau, einen erwachsenen Muslim je nackt sehen darf?

Nein, sagt der Besucher, das habe ich nicht gewusst, aber es ist sehr interessant. Und schreibt wieder alles sorgsam in sein Notizbuch.

Als Awad in Italien angekommen ist, im Lager, hat er zuerst nicht glauben können, dass die Männer da nebeneinander pinkeln sollen, ganz ohne Scham, so wie die Tiere.

Gut, sagt der Besucher und klappt sein Notizbuch zu. Du solltest wahrscheinlich jetzt zu dieser Blutuntersuchung gehen.

Warum?

Weißt du, was Windpocken sind?

Nein, sagt Awad.

Hast du die anderen Kranken nicht gesehen?

Nein.

Man bekommt Pickel, es juckt und ist sehr unangenehm.

Stirbt man daran?

Nein. Aber trotzdem.

Einen Moment lang ist Awad sehr glücklich darüber, dass ihm sein Vater sagt, was er tun soll. Sein Vater ist streng, aber gerecht. Und er will für seinen Sohn nur das Beste.

Als sie das Betreuerzimmer betreten, sitzt schon ein schwarzhäutiger Mann auf dem Stuhl in der Mitte. Die alte Betreuerin desinfiziert gerade die Stelle an seinem Arm, in die sie hineinstechen will.

Awad fragt: Wieso gibt es hier keinen Doktor?

Ich war von Beruf früher Ärztin.

Awad weiß nicht, was das nun wieder heißen soll. Bisher war diese Frau Betreuerin und hat beim Ausfüllen der Formulare geholfen. Ist sie morgen vielleicht, wenn sonst keiner die Rolle spielt, Richterin oder Polizistin? Und der ältere Herr dann plötzlich Verkäufer oder LKW-Fahrer? Was für ein merkwürdiges Stück spielten die Deutschen ihnen hier vor? Und warum überhaupt?

Setz dich, sagt der ältere Herr jetzt und zeigt ihm, dass der Stuhl nun leer ist und auf ihn wartet. Was machen die Deutschen hier nur mit uns, denkt Awad und merkt, wie Panik ihn anfällt, hoffentlich, denkt er, glückt ihm, bevor sie ihn fassen, die Flucht. Er sagt: Ich komme gleich wieder, nickt dem Besucher zu, dreht sich, so unauffällig wie möglich, um, geht aus dem Raum, geht dann ganz langsam die Treppe wieder hinunter, geht ganz langsam bis zu seinem Zimmer, das man von innen nicht abschließen kann, aber er macht die Tür wenigstens hinter sich zu und stellt sich drinnen ganz still mit dem Rücken an die Wand. Er atmet ganz flach. Wenn jetzt einer hereinkäme, stände er im toten Winkel, das wäre besser als gar nichts. Erst nach einiger Zeit beruhigt er sich wieder, als er merkt, dass ihm niemand gefolgt ist. Dann setzt er sich dorthin, wo er vorher gesessen hat, auf den Bettrand.

28

Einzelfallprüfungen soll es doch irgendwann geben, oder? sagt Richard, nachdem Tristan aus dem Zimmer gegangen ist.

Ja, sagt einer von den Betreuern.

Haben sie schon begonnen?

Nein.

Warum eigentlich nicht?

Das wissen wir nicht, sagt der Betreuer.

Und Sie kümmern sich so lange um die Männer, bis ihre Anträge auf Asyl akzeptiert sind?

Es wird ja jetzt erst einmal geklärt, ob sie hier in Deutschland überhaupt einen Antrag auf Asyl stellen dürfen.

Amsel, Drossel, Fink und Star haben den Fehler gemacht, in Italien zwischenzulanden. Richard hätte es beinahe wieder vergessen.

Aber ist es nicht eine Gruppe, die unter denselben Umständen durch den Krieg aus Libyen vertrieben wurde?

Ja, aber jeder ist ursprünglich aus einem anderen Land nach Libyen gekommen.

Aha.

Möchten Sie einen Kaffee? Die Maschine gurgelt schon wieder.

Physikalisch gesehen ist es sicher eine kluge Sache, eine Gruppe in Einzelfälle zu zerlegen, denkt Richard und sagt: Ja, bitte.

Haben die Männer denn inzwischen die zweite Hälfte ihres Geldes bekommen?