Nun schickte Richard sich also an, zum zweiten Mal in seinem Leben ein Grundstück zu kaufen, diesmal in Ghana, 10 000 Quadratmeter zum Preis von 3000 Euro in einem Dorf der fruchtbaren und regenreichen Region Ashanti, für Berliner Vorstadtverhältnisse so gut wie geschenkt. Wie lange würde es dauern, bis ein Grundstück in solcher Ferne tatsächlich dem neuen Besitzer gehörte? So wie Richard vor Jahren gehofft hat, dass die Bank ihm den Kredit in der beantragten Höhe bewilligen würde, hofft er nun, dass ein ghanaischer King seine Einwilligung zum Verkauf gibt. Richard stellt ihn sich als einen Häuptling mit Speer in der Hand und rasselnden Fußbändern vor, dabei weiß er doch: Wenn der King wirklich mächtig ist, trägt er sicher ein Trikot des Fußballvereins Barcelona.
Der King sagt Ja. Und so fährt Richard an einem grauen Berliner Tag Mitte Januar, 3000 Euro in Hunderter-Scheinen in die Innentasche seines Wintermantels gesteckt, mit der S-Bahn hinein in die Stadt — bar soll es sein, hat Karon gesagt — und geht dann mit Karon ein Stück die Straße entlang durch den Schneematsch, die Fußgängerampel ist rot, wird grün, Autos hupen, es schneit, ein Lottoladen, ein Laden für billige Mobiltelefone, ein Döner-Imbiss, und dann noch um zwei Ecken herum, Karon klopft an die Tür eines Ladens, dessen Rolläden heruntergelassen sind, die Tür geht auf und schlägt beim Aufgehen eine Glocke an, die sicher noch aus der Zeit stammt, als hier ein Metzger war oder ein Bäcker. Dann gehen sie über die Schwelle, aber was ist hier innen, was außen? Es ist neblig in dem Raum, oder rauchig, so dass es Richard nur allmählich gelingt, überhaupt etwas zu sehen. An Stecken ringsherum sind überall Zöpfe angebunden, in hölzernen Schalen sieht er hoch aufgehäuft seltsame Früchte, manche mit Stacheln, manche mit durchsichtiger Haut, manche sehen wie Eier aus, andere wieder wie Fleisch. Wie um einen Altar sind diese Früchte arrangiert, in der Mitte des Raumes aber sitzt eine Afrikanerin mit wirrem Haarschopf auf einem dreibeinigen Schemel, im Linoleumfußboden vor sich einen Spalt, aus dem Dämpfe aufsteigen. Ist da unten der aufgebrochene Bombenkeller? Junge Männer und Frauen lehnen schweigend an den mit bunten Stoffen bespannten Wänden und fächeln der Sitzenden mit großen trockenen Palmwedeln Luft zu, oder verteilen sie nur den Dampf, der aus dem Spalt aufsteigt, damit man überhaupt etwas sieht? Karon spricht mit einem der Männer, während die Frau mit dem wirren Haarschopf ihre Augen noch immer halb geschlossen hält und sich vor und zurück wiegt, dann übersetzt Karon für Richard, was der Mann ihm eben erklärt hat: Richard soll der Frau das Geld geben.
Richard sagt: Wie denn?
Just like this, sagt Karon, leg es ihr in den Schoß.
Richard nimmt den Umschlag mit den Geldscheinen aus der Innentasche seines Mantels und legt ihn der Frau in den Schoß, und die Frau, die Augen immer noch halb geschlossen, nimmt den Umschlag, und lässt ihn, so wie er ist, ohne das Geld darin zu zählen, den Arm ausgestreckt, in den Spalt hineinfallen.
Das Geld! ruft Richard und will das Geld noch erwischen, aber Karon hält ihn zurück und sagt:
No problem.
Bekomme ich denn wenigstens eine Quittung?
Und da fängt die Frau an zu lachen, so dass man die vielen spitzen, goldüberzogenen Zähne in ihrem Mund sieht. Aber auch beim Lachen hält sie die Augen halb geschlossen und sieht Richard nicht an.
Einer der jungen Männer zieht jetzt einen Kaugummi aus der Hosentasche, wickelt ihn aus dem Papier, steckt ihn sich in den Mund, schreibt auf die Rückseite des zerknickten Papiers eine lange und eine kurze Nummer, und reicht den Zettel hinüber zu Karon.
Was sind das für Nummern? fragt Richard.
Das war alles, sagt Karon, wir können wieder gehen.
Hier also kennt Karon sich aus, ist für einen Augenblick nicht mehr ein Flüchtling, sondern ein Mann wie andere Männer. Und dann läutet wieder die Glocke, die schon in der Berliner Nachkriegszeit geläutet hat, wenn eine deutsche Hausfrau nach ihrem Einkauf das Geschäft wieder verließ, sie läutet auch jetzt, nachdem Richard ein Grundstück gekauft hat in Ghana.
Und nun? fragt Richard.
Nun rufe ich meine Mutter an und sag ihr die Nummern.
Und dann?
Dann ruft meine Mutter mit der ersten Nummer in Tepa an, und sagt Bescheid, dass sie das Geld holen kommt.
Und dann?
Dann fährt sie eine Stunde nach Mim und von dort aus eine Stunde mit dem Sammeltaxi nach Tepa. Es kann sein, dass sie warten muss, bis genug Passagiere für das Taxi beisammen sind. Also dauert das Ganze vielleicht so drei Stunden. Dann bekommt sie in Tepa mit der zweiten Nummer das Geld.
Und dann?
Dann nimmt sie ein Sammeltaxi zurück von Tepa nach Mim. Und von da fährt sie zurück in ihr Dorf.
Sie fährt mit 3000 Euro in der Handtasche durch Ghana?
Ja. Es gibt keine Bank bei uns in der Nähe.
Aha. Und dann?
Dann holt sie ihre drei Zeugen und sagt dem Mann Bescheid, der das Grundstück verkauft, und dann gehen sie in sein Haus — und sie gibt ihm das Geld.
Und dann?
Dann unterschreiben beide den Vertrag, und dann gehört uns das Grundstück.
Drei Stunden sitzen Richard und Karon nun in einem Café und warten darauf, dass eine alte Frau in einem Dorf in Ghana jemanden findet, der sie nach Mim fährt, dass sie in Mim dann einen Platz in einem Sammeltaxi nach Tepa bekommt und in Tepa das Geschäft findet, in dem ihr nach Nennung einer fünfstelligen Nummer 12 000 ghanaische Cedi ausgezahlt werden. Also hat die Frau mit dem wirren Haarschopf das Geld durch das Loch im Linoleumfußboden wohl wirklich nicht in den Bombenkeller, sondern auf dem kürzesten Weg, durch die gebogene Erdkruste hindurch, direkt nach Ghana geworfen. Richard fällt der Artikel ein, in dem er über das Denkmodell des sogenannten Wurmlochs gelesen hat, also darüber, dass ein Wurm, der sich durch einen Apfel frisst, den gleichen Ort auf der Oberfläche des Apfels in viel kürzerer Zeit erreicht als ein Wurm, der außen rings um den runden Apfel spaziert.