Von Italien aus habe ich die Frau, die ich in Ghana nicht heiraten durfte, noch zweimal angerufen, sagt Karon, aber dann habe ich ihre Nummer weggeworfen.
Ich hätte so gern noch einmal ein Kind, bevor ich sterben muss, sagt Raschid.
Einmal, sagt Tristan, habe ich in der U-Bahn eine deutsche Frau kennengelernt. Wir haben uns verabredet, sind spazieren gegangen, haben miteinander geredet. Haben uns ein zweites Mal verabredet, sind spazieren gegangen, haben miteinander geredet. Beim dritten Mal hat sie mich gefragt, ob ich nicht mit ihr schlafen wolle. Ich habe ihr gesagt, jetzt noch nicht, vielleicht später. My mind was not there. Zur nächsten Verabredung ist sie nicht mehr gekommen. It’s not easy, sagt Tristan. Not easy.
Wenn es ernst wird, sagt Khalil, haben wir hier keine Chance. Ich hab es an meinen Freunden gesehen. Irgendwann haben die Freundinnen immer Schluss gemacht. Die Eltern waren dagegen. Oder es gab dann doch einen deutschen Freund.
Ithemba sagt: Ja, es ist so. Nobody loves a refugee.
Niemand liebt einen Flüchtling? Das glaube ich nicht, sagt Marie.
Doch. Niemand liebt einen Flüchtling.
Detlef sitzt vornübergebeugt da, mit einem Weinglas in der Hand, und hört zu, was die anderen über die Liebe sagen.
Apoll sagt: Ich habe eine Freundin. Aber heiraten würde ich sie nicht.
Marion fragt: Warum nicht?
Wenn ich jetzt eine deutsche Frau heirate, denkt sie, ich heirate nur, um Papiere zu bekommen.
Du würdest wirklich eine Frau, die dich liebt und die du liebst, nicht heiraten, weil es so aussehen könnte, als tätest du es nur, um Papiere zu bekommen?
Ja, sagt Apoll.
An Grenzen verkehren sich manchmal Dinge in ihr Gegenteil, erinnert sich Richard an das, was er bei seinem ersten Besuch auf dem Oranienplatz gedacht hat. Die Bedürftigkeit verschiebt und entstellt sogar das Wenige, das einfach sein könnte. Würde zu bewahren, ist eine Anstrengung, die den Flüchtlingen täglich auferlegt wird und sie bis in ihre Betten hinein verfolgt.
Und wenn du es tätest, um Papiere zu bekommen, was wäre daran so schlimm? fragt Richard.
Er hat noch im Ohr, was der Anwalt gesagt hat: Ein deutsches Kind! Ein deutsches Kind wäre das einzige, was wirklich hilft!
Schau einmal, sagt Apolclass="underline" Es muss eine Ordnung geben. Erst muss ich Arbeit haben, dann eine Wohnung, dann kann ich heiraten und dann Kinder bekommen.
Außerdem, sagt jetzt Tristan, eine Frau kann von irgend jemandem schwanger werden, und auch, wenn der Mann nichts taugt, bleibt das Kind doch bei ihr. Aber wenn du ein Mann bist, musst du eine gute Frau finden. Eine Frau, mit der du, wenn sie ein Kind von dir bekommt, wirklich zusammenbleiben kannst. Aber wo treffe ich eine gute Frau?
Beim Tanzen vielleicht, sagt Richard halbherzig, denn er denkt an seinen Ausflug in die Bar mit den sechzigjährigen Kurzbehosten.
Ich gehe in keine Bar, sagt Tristan.
Niemals?
Niemals.
Raschid, der, als das Gespräch so ruhig dahinging, kurz eingeschlafen ist, hört nun wieder zu und sagt jetzt: In Nigeria suchen die Mütter ihrem Sohn die Frau aus. Sie wissen, welche eine gute Frau ist. Aber hier? Ich weiß gar nicht, wie man eine Frau ansprechen soll. Ich würde das niemals tun.
Denkst du eigentlich noch oft an Christel? fragt Detlef jetzt plötzlich, fünf Jahre nach Christels Tod, seinen Freund Richard. Noch nie haben sie über diese Dinge gesprochen.
Aber ja, sagt Richard.
Und was denkst du dann genau?
Wie sie dastand, wenn sie geraucht hat. Wie sie, wenn es heiß war, ihre Haare mit einer Haarklammer hochgesteckt hat. Ich denke an ihre Füße.
Vermisst du sie?
Früher habe ich manchmal gedacht, ich würde sie, wenn sie fort wäre, vielleicht gar nicht vermissen.
Richard versucht, sich an die Zeit zu erinnern, als er für möglich gehalten hat, Christel nicht zu vermissen.
Du weißt ja, abends hat sie oft angefangen, mit mir zu streiten, obwohl es gar keinen Grund gab.
Warum hat sie mit dir gestritten? fragt Tristan.
Sie hat getrunken. Und der Alkohol hat sie, besonders gegen Abend zu, immer vollkommen verändert.
Aber warum hat sie getrunken? fragt nun Ithemba.
Wahrscheinlich, ja, sagt Richard, wahrscheinlich, weil sie unglücklich war.
Und warum war sie unglücklich? fragt Ithemba.
Das Orchester, in dem sie gespielt hat, ist aufgelöst worden, sagt Thomas und zieht an seiner Zigarette.
Und Richard hat eine Geliebte gehabt, sagt Anne.
Sie wollte gern Kinder, sagt Marion.
Hat sie dir das erzählt? fragt Richard.
Ja, sagt Marion.
Aber du hast doch gesagt, ihr habt das gemeinsam so entschieden, fragt nun Zair, der sich offenbar an das schon so lang zurückliegende Gespräch damals in Spandau erinnert.
Sie ist einmal schwanger gewesen, sagt Richard, aber mir war das damals zu früh. Ich war noch nicht einmal fertig mit dem Studium. Ich habe sie überredet, das Kind wegmachen zu lassen.
Verstehe, sagt Zair.
Ich wollte es nur in dem Moment nicht.
Verstehe.
Aber es war damals noch nicht legal. Sie ist zu so einer Frau gegangen. Die hat das auf dem Küchentisch gemacht. Ich hab auf dem Hof unten gewartet.
Richard erinnert sich noch gut an den Hinterhof, in dem er gewartet hat. 30 Grad, der heiße Schatten, in dem er stand, neben sich Mülltonnen aus Blech mit krummen Deckeln.
Als sie rauskam, sagt er, ist sie beinahe hingefallen, ich musste sie halten, und sie war auf einmal so schwer. Es hat gedauert, bis wir bei der S-Bahn-Station ankamen. Und in der S-Bahn erst hab ich gesehen, wie das Blut an ihren Beinen hinunterlief. Ich hab mich damals für sie geschämt. Ich musste mich um sie kümmern, aber es war mir furchtbar peinlich.
Richard schüttelt den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, was er da sagt.
Warum hast du dich für deine Frau geschämt? fragt Ali.
Ich glaube, dass es mir eigentlich Angst gemacht hat.
Angst wovor?
Dass sie stirbt. Ja, sagt Richard, ich habe sie in dem Moment dafür gehasst, dass sie vielleicht stirbt.
Das kann ich verstehen, sagt Detlef.
Damals, glaube ich, sagt Richard, ist mir klargeworden, dass das, was ich aushalte, nur die Oberfläche von all dem ist, was ich nicht aushalte.
So wie auf dem Meer? fragt Khalil.
Ja, im Prinzip genauso wie auf dem Meer.
Dank
Mein großer und tiefempfundener Dank für viele gute Gespräche gilt:
Hassan Abubakar
Hassan Adam
Stephen Amakwa
Malu Austen
Ibrahim Idrissu Babangida
Saleh Bacha
Yaya Fatty
Udu Haruna
Nasir Khalid
Adam Koné
Sani Ashiru Mohammed
Fatao Awudu Yaya
Bashir Zaccharya
Für Unterstützung, Hilfe und Mitarbeit bedanke ich mich von Herzen bei:
Katharina Behling
Ingrid Anna Kade
Cornelia Laufer
Malve Lippmann und Can Sungu
Marion Victor
Wolfgang Wengenroth
Für Zeit und Freiraum zum Schreiben bin ich Prof. Paul-Michael Lützeler zu großem Dank verpflichtet, und auch Kerstin, Nils und Pascal Helbig.
Für Einsichten, Beratung und Informationen bedanke ich mich bei: AKINDA e.V., Taina Gärtner, Liya Siltan-Grüner, Hans Georg Odenthal, Bernward Ostrop.
Für tätige Hilfe danke ich Viola Förster v. d. Lühe, Frauke Gutberlet-König, Bedriye und Felix Hansen, Miriam Kaiser, Dr. Eva Krause, Sandra Missal, Dr. Riesenberg, Rainer Sbrzesny, Tabea Schmelzer, Jule Seidel, René Thiedtke und Rui Wigand.
Für Rat und Inspiration danke ich meinem Vater John Erpenbeck.
Und dafür, dass er mich durch seine Neugier, Kritik, Offenheit und durch sein eigenes Handeln immer darin unterstützt und bestärkt hat, dieses Buch zu schreiben, danke ich meinem Mann und ersten Leser Wolfgang Bozic.