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Aus Niger. Aus Ghana. Aus Serbien. Aus Berlin.

From Niger. From Ghana. From Serbia. From Berlin.

De Niger. De Ghana. De Serbie. De Berlin.

Wird er weggeschickt werden, weil er kein Anwohner ist? Er will nicht sagen, wer er ist. Oder warum er hier ist. Wenn er es doch nicht einmal selbst weiß. Unter den wenigen weißhäutigen Anwesenden gibt es Anwohner aus Kreuzberg, Mitglieder von Flüchtlingshilfswerken, es gibt Katastrophenhelfer und Mitglieder einer Initiative, die aus der Schule eine Kultureinrichtung machen wollen, es gibt Beamte der Stadtbezirksverwaltung und Mitarbeiter der Jugendhilfe. Es gibt eine Journalistin, die wieder fortgehen muss, weil die Versammlung unter Ausschluss der allgemeinen Öffentlichkeit stattfinden soll. Unter den vielen schwarzhäutigen Menschen gibt es Menschen, die seit acht Monaten hier in der Schule leben, und Menschen, die seit sechs Monaten hier leben, und Menschen, die erst seit zwei Monaten hier leben. Diese Flüchtlinge hier nennen ihre Namen und sagen, woher sie kommen, anders als die auf dem Alexanderplatz, aber das scheint dennoch nicht die Lösung des Problems zu sein. Die Hauptstadt von Ghana ist Accra, die Hauptstadt von Sierra Leone ist Freetown, die Hauptstadt von Niger Niamey.

Nein, Richard will seinen Namen nicht sagen.

In dem Moment, in dem er das denkt, ist plötzlich vom Treppenhaus her ein ohrenbetäubender Knall zu hören, so etwas wie eine Explosion, die alles Denken auf einmal auslöscht und nur noch den Instinkt übriglässt. Mit dem Instinkt weiß der Katastrophenhelfer: Wir sind im 2. Stockwerk. Weiß der Mann aus Ghana: Der Zugang zum anderen Treppenhaus ist abgeschlossen. Weiß der Anwohner: Und dabei bin ich doch weiß. Fragt sich die Anwohnerin: Was wird aus meinem Kind? Wissen viele schwarzhäutige Menschen: Dann bin ich also doch nur zum Sterben hierhergekommen. Weiß auch Richard: Jetzt ist es soweit.

Aber dann nehmen alle, die sich die Ohren zugehalten haben, auch Richard, die Hände wieder herunter, und atmen weiter und beginnen wieder zu denken, und denken: Es war doch keine Bombe. Denken auch: Aber es hätte leicht eine sein können.

Doch gerade in diesem Moment, in dem alle die Angst, die sie gehabt haben, oder die vielmehr sie gehabt hat, schnell aus ihren Gedanken wischen wollen, gerade da geht auf einmal das Licht aus, und einen Moment lang sind alle Menschen in diesem Raum schwarz. Was wird jetzt? Was soll das jetzt? hört man einige murmeln. Menschenskind, hört man. Dann geht das Licht wieder an.

Als sei in diesen zwei Minuten noch nicht genug Unvorhergesehenes geschehen, fängt nun, kaum ist es wieder hell, plötzlich einer der Afrikaner zu schreien an, fuchtelt herum, flucht, schleudert ein Kopfkissen durch die Gegend, dann auch eine Bettdecke. Was ist denn? Was hat der denn nun noch? Ist er unter Schock? Nein, heißt es, ihm wurde offenbar während der Explosion oder während der anschließenden Dunkelheit sein Laptop gestohlen, unter dem Kopfkissen weg. Warum hat so ein Flüchtling überhaupt einen Laptop, denkt der Anwohner jetzt. Dann ist das bestimmt einer dieser Männer, die im Park um die Ecke mit Drogen handeln, denkt die Anwohnerin. Privateigentum funktioniert eben nicht, wenn jeder nur eine Decke und ein Kopfkissen hat, denkt Richard, der aus Gründen, die ihm selbst nicht ganz klar sind, aus der Vorstadt hierhergeraten ist. Er geht an dem Schreienden vorbei und an den anderen, die versuchen, den Schreienden zu beruhigen, er lässt den Tumult und den Raum, in dem die Versammlung noch gar nicht wirklich begonnen hat, hinter sich und tritt in den Treppenflur ein, in dem noch die Nebelschwaden des Knallers stehen, den irgendein Berliner Provokateur, der ein Zeichen gegen die Bezirksverwaltung setzen wollte, oder ein jugendlicher schwarzhäutiger Mensch, der nichts Besseres zu tun hat, als andere mit einem Knaller zu erschrecken, oder ein Neofaschist, der die Flüchtlinge und ihre Sympathisanten hasst, oder ein armer schwarzer Teufel, der einem anderen armen schwarzen Teufel in einem Moment der Panik einen Laptop stehlen wollte, gezündet hat.

Richard steigt die Treppe hinab, die er vor lauter Rauch kaum sehen kann, geht an der hell erleuchteten, aber leeren Herrentoilette vorbei weiter nach unten. Würde er nicht so langsam gehen, um die Stufen nicht zu verfehlen, könnte man sagen: er flieht.

7

Es ist schön, wenn es im Herbst nach Laub riecht. Feuchtem Laub, das sich in die Erde hineindrückt und an den Schuhsohlen kleben bleibt. Das Gartentor aufschließen, die dunkle Luft tief einatmen, so macht Richard es seit zwanzig Jahren, wenn er spät am Abend nach Hause kommt. Zwanzig Jahre lang war schon Herbst in diesem Garten, hat es so gerochen, hat er so das Gartentor aufgeschlossen und hinter sich wieder zugeschlossen. Die Zeit ist hier wie ein großes Land, in das man Jahreszeit für Jahreszeit wieder heimkehren kann. Hier kennt er sich aus. Er hat nicht, wie etliche Nachbarn, zwischen den Bäumen einen Bewegungsmelder montiert, um Licht zu haben, wenn er zwischen den Baumstämmen zu seinem Haus hingeht. Manchmal scheint der Mond, aber es stört ihn auch nicht, wenn es, wie heute, stockfinster ist, dann gehören seine Schritte dem Wald mehr als ihm selbst, und an die Stelle des Sehens tritt Wachheit. Die Dunkelheit, selbst die gezähmte Dunkelheit eines Gartens, macht für einen Moment lang aus einem Menschen wie ihm ein verwundbares Tier. Dann fällt ihm wieder der Mann ein, der auch jetzt, leise schaukelnd, irgendwo da unten im See schwebt.

Ist er feige gewesen, eben, in Kreuzberg? Wahrscheinlich. Hier im Garten schien ihm immer, es sei gerade der Anflug von Angst, der ihn mit dem Ort enger verbindet. Hier im Garten hat er nie Angst gehabt vor der Angst. In der Stadt ist es anders. Seine Freunde machen sich über ihn lustig, weil er sich immer noch weigert, mit dem Auto ins Zentrum zu fahren. Aber seit die Mauer weg ist, kennt er sich dort nicht mehr aus. Seit die Mauer weg ist, ist die Stadt doppelt so groß und hat sich so sehr verändert, dass er jetzt oft nicht einmal weiß, an welcher Kreuzung er steht. Er hat die Bombenlücken gekannt, mit Schutt und später dann ohne. Noch später stand dann vielleicht eine Wurstbude da oder ein Tannenbaumhandel, oft auch einfach nur nichts. Aber in den letzten Jahren wurden die Lücken wieder mit Häusern gefüllt, die stumpfen Ecken wieder bebaut, die Brandmauern sind nun nicht mehr zu sehen. Vor dem Mauerbau noch hat er als Kind am Westberliner Bahnhof Gesundbrunnen selbstgesammelte Blaubeeren verkauft, für seinen ersten eigenen Lackball. Lackbälle gab es nur im Westen. Als er den Bahnhof nach dem Mauerfall dann zum ersten Mal wieder sah, waren die nach Osten führenden Gleise von hohem Gras überwuchert, auf den Bahnsteigen standen Birken und wehten im Wind. Wäre er Stadtplaner gewesen, er hätte das so gelassen. Als Erinnerung an die geteilte Stadt, auch als Zeichen der Vergänglichkeit all dessen, was Menschen bauen, vielleicht aber einfach nur, weil ein Birkenwäldchen auf einem Bahnsteig schön ist.

Richard nimmt sich ein Glas Whiskey und schaltet den Fernseher ein. Es gibt mehrere Talkshows, einen alten Western, Nachrichtensendungen, einen Film, der auf einer Alm spielt, Tierfilme, Quizshows, Actionfilme, Science Fiction, Krimis. Er lässt den Fernseher laufen, aber ohne Ton, und geht zu seinem Schreibtisch hinüber. Während in seinem Rücken eine Kriminalkommissarin an einer Kellertür rüttelt, schaut er ein paar Papiere durch, die auf seinem Schreibtisch liegen, Versicherungen, Telefonverträge, die Rechnung der Autowerkstatt. Er hat seinen Namen nicht sagen wollen auf der Versammlung eben, aber warum eigentlich nicht? Eine Versammlung, auf der 70 Menschen sich einander Mensch für Mensch vorstellen — das erscheint ihm wirklich absurd. Noch jetzt an seinem Schreibtisch schüttelt er den Kopf darüber, während die Kriminalkommissarin in seinem Rücken mit einer Halbwüchsigen spricht, die in einer Ecke auf dem Fußboden hockt und weint. Die Namensnennung wäre, so ist es ihm vorgekommen, ein Bekenntnis gewesen, mindestens ein Bekenntnis dazu, dort anwesend zu sein. Aber was geht es die Leute an, dass er da ist. Er will niemandem helfen, er wohnt nicht in der Nähe der Schule, und er ist auch nicht vom Senat. Er will einfach nur sehen, und beim Sehen in Ruhe gelassen werden. Er gehört zu keiner Gruppe, sein Interesse gehört ihm ganz allein, es ist sein Privateigentum und, sozusagen, ganz kalt. Und wenn es nicht, sein ganzes Berufsleben über, so kalt gewesen wäre, hätte er nicht so viel verstanden. Wahrscheinlich hatte der Versuch zu erfahren, wer in der Aula anwesend war, mit dem Kriegszustand zu tun, in dem sich die Schule befand. Aber was sagt schon ein Name? Wer lügen will, kann immer lügen. Viel mehr muss man wissen als nur den Namen, sonst hat das alles ja gar keinen Sinn. Richard steht auf, geht hinüber zum Sofa und setzt sich mit dem letzten Schluck Whiskey noch einen Moment vor den stummen Fernseher. Ein junger Mann hält einen Älteren gerade beim Kragen und drückt ihn gegen eine Wand, die beiden schreien sich an, dann lässt der junge Mann wieder los, der andere geht, der junge Mann brüllt ihm noch etwas hinterher. Schnitt. Das Büro der Kommissarin. Glaswände, Rollos, Kaffeetassen, Papiere, und so weiter.