— Ostfront, März 1944, du könntest den Herren hinter uns etwas Bildung zukommen lassen.
— Jetzt nicht. Ich bin mit dem Schwejk noch nicht fertig.In der Realität würde dieses Schwejkeln einfach auf halbintelligentes und schleimiges» Herumeiern «zusammenschrumpfen. Zum Lachen würde uns überhaupt nichts übrigbleiben, höchstens nur etwas Lächerlichkeit.
— Du wirst schon recht haben, sagte der Politologe H. Ich habe einmal versucht, mir Schwejk konkret in der Gegenwart vorzustellen — er wäre ein unerträglicher Mensch, denke ich. Außerdem hätten seine Vorgesetzten die nur vorgetäuschte Dummheit — vermutlich vorgetäuschte oder wie auch immer — instinktiv als eine bewußte Provokation eingestuft und gnadenlos bestraft.
— Genau! So dumm, wie er sich im Sozialismus angestellt hätte, so dumm darf man heute auf keinen Fall sein! donnerte Kläda. Jeder, der mit heiler Haut davonkommen möchte, muß sich durchschlängeln. Und ein geschickter Mensch provoziert niemals. Wenn jemand die Obrigkeit reizt, dann sind wir es, dann sind das die jungen Aussteiger — oder die Plastischen Rocker unseres blind rollenden Planeten. Und alle, die die Macht reizen, tun das nicht durch Schwejkeln, sondern durch Geradlinigkeit.
— Darf ich zusammenfassen? fragte der Philosoph K. Man kann — wenn ich das richtig sehe — von Glück sprechen, daß es keine realen Schwejks geben kann. Wenn die Leute diesen Naivling jahrelang konsequent gespielt hätten, wären sie in dieser Rolle irgendwann zu Kretins mutiert.
— Jemand sollte das Gespräch protokollieren, sagte Kläda leise. Wer macht das? Etwas gebückt flüsterte er noch leiser:
— Ich habe junge Leute, die es für das Jahrbuch noch abtippen könnten. Die haben eine superstarke alte Maschine — die schafft bis zu dreizehn Kopien! Die letzten sind sogar lesbar.
— Ich hätte jetzt etwas Zeit, sagte H., obwohl Eins-zu-eins-Abschriften deine Stärke sind.
— Wir haben den Zusammenhang mit der sprachlichenWitzebene noch nicht drin, nutzte der Philosoph K. die entstandene Zäsur. Das war vorhin mein Ansatz — ganz am Anfang, falls das noch jemand außer Kläda weiß.
— Immer dieses Herumblödeln — darüber wollte ich sowieso noch sprechen, sagte der Chefredakteur J. und verlagerte den Eimer auf die andere Seite seines Rückens.
— Ich bin hier der Philosophieprofessor, oder? Und hier ist meine Universität, laß mich bitte wenigstens auf dem Bürgersteig vor meiner alten Arbeitsstelle ausreden! Es ist doch beeindruckend, wie lustig es hier im Lande immerhin noch zugeht. Es wird sogar — haben wir schon besprochen — hochgradig exzessiv gewitzelt. Die Leute versuchen, jedes brisante Thema in eine harmlose Geschichte zu verpacken, und fangen alles mögliche spielerisch ab. Das ist an sich doch legitim — wie auch jede Verdrängung legitim ist. Die asiatischen Kampftheoretiker würden sicher meinen, die Tschechen würden auf diese Weise die Energie der Gegner für sich nutzen — um bei den Schlägen unverletzt zu bleiben.
Wieso unverletzt? Eine Frage wäre sowieso noch zu klären, sagte der durchsetzungsschwächelnde Politologe H. Ob und in welchem Maße dieses Witzeln die reale Verfassung der Leute widerspiegelt — oder anders: wie adäquat das ideologische Bombardement von ihnen überhaupt verarbeitet worden ist. Leider passen sich die Leute den Lügen viel zu bedenkenlos an.
— Nebenbei bemerkt, sagte triumphierend der Philosoph K.: Genau das, also den Grad der Bewußtheit, habe ich davor auch schon ins Gespräch gebracht.
— Ohne Protokoll bleibt von dem ganzen Hin und Her nur Chaos übrig! rief Klaudius unglücklich. Zum Stichpunkt Dummheit haben wir auch noch nicht alles drin. Als wir die satirischen Konstruktionen verallgemeinert haben, haben wir das Besondere von Hasek leichtsinnig übergangen: Das aus theoretischer Sicht Einmalige und Extreme ist bei ihm gerade die durchvariierte Dominanz der Dummheit. So gewagt hat mit dem Schwachsinn aller Graden noch niemand gespielt wie Hasek. Und hier wurzeln auch die Aporien der vielen Analysen.
— Ich möchte auch noch eine Sache loswerden — obwohl man ähnliche Weisheiten eigentlich gar nicht aussprechen dürfte, warf der jüngere Schriftsteller P. H. ein.
— Sag mal, du warst die ganze Zeit sowieso viel zu still. Wir sind neugierig.
— Nein… doch lieber nicht.
— Was ist los?
— Es ist nicht wegen der Begleitung, ich möchte das in mir noch eine Weile sortieren.
— Jetzt sind wir aber neugierig. P. H. sagte daraufhin leise:
— Eigentlich sollte man so eine Sau-Meinung lieber für sich behalten, irgendwann hat man die Korrektheit aber satt. Wenn ich mal sage, das Volk wäre dumm, regen sich immer alle auf. Ich sage es jetzt aber doch: DAS VOLK IST DUMM — und es ist es wirklich.
— Nein, niemand ist dumm! Vorsicht! Das gefällt mir gar nicht, rief Kläda.
— Ich war zum Beispiel ein übler Fanatiker in der Fünfzigern, lachte der Philosoph K. - und auch als junger Professor war ich nicht viel besser. Dumm war ich trotzdem nicht, und die bekloppten Achtundsechziger später im Westen auch nicht.
— Wir können darüber morgen weiterreden, sagte Klaudius. Bei mir in der Wohnung wird es wenigstens abgehört und ordentlich protokolliert. Und du wirst deinen dummen Spruch schlüssig begründen müssen, bist doch ein kluger Schriftsteller — nicht wahr?
— Ich unterhalte mich doch oft mit normalen Leuten, schon aus Neugier, wehrte sich P. H. Was für ein Quatsch die sich eintrichtern lassen, das glaubt ihr gar nicht.
— Reden wir morgen darüber, okay? — Das, was er meint… also was dahinterstehen könnte, ist vielleicht die Denkschlamperei der Leute, ihr emotionaler Vandalismus. Pfiffig sind sie trotzdem.
— Was mir dazu noch einfällt, sagte H.: In ihrer unfreiwillig würdelosen Art machen sie sich oft etwas lächerlich, ironisieren AN SICH SELBST, am lebendigen Leib sozusagen. Und auch wenn das nicht unbedingt Schwejkeln ist, gerade darin könnte eventuell ein Stück davon stecken.
— Ich kann nicht mehr! rief Klaudius.
— So oder so, sagte der Philosoph K., die Intelligenz der Tschechen ist, was ihre sprachlichen Fähigkeiten betrifft, auf jeden Fall beeindruckend. Das innovative Potential der Sprache ist zum Glück auch enorm. Die Leute kreieren oft über Nacht Neologismen, irgendwelche Kürzel werden zu Verben, es gibt scharfgenau denunzierende Mißbildungen — und alle diese Neuwörter sind subversiv ohne Ende. Das müßtest du den Leuten doch lassen.
— Das stimmt, sagte P. H.
— Mich stört dabei einiges trotzdem maßlos, mischte sich Kläda ein. Zum Beispiel die vielen Diminutive. Sie sind oft inadäquat bis geschmacklos, alles mögliche wird verniedlicht und verharmlost. Neulich hat mir jemand erzählt: Man belästigt die parteilosen Lehrer — nach ihrer Arbeitszeit wohlgemerkt — mit politischen Nachhilfeschulungen, und sie nennen diese propagandistischen Zwangsmaßnahmen gemütlich» posezenicko«, Nachsitzerchen.
— Die Sprache verrät alles mögliche — ob man es will oder nicht, sagte der Philosoph K. Neulich hörte ich jemanden» pfihodicka«, Vorfallchen, statt Schlaganfall sagen. An sich hat das bei uns aber Tradition, denke ich — nach der tschechischen Blasmusik zu urteilen, müßte das Volk schon seit Generationen immer gut gelaunt gewesen sein. Und noch ein Beispiel für diese Art von Verniedlichung: Das Wort für Handschellen ist ein Diminutivum — »zelizka«. Eisenchen. Nett gesagt, oder? — Nachsitzerchen, dieses» posezenicko«, bringt — analog zu den Handschellen — auch eine Art Freiheitsberaubung mit sich, sagte Kläda. Mit der Tendenz, auch Tradition von mir aus, hast du bestimmt recht. Mit Schwejkeln haben diese Verniedlichungen allerdings wieder nichts zu tun.