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— Uwaga, uwaga, to troche niepewny teren! Ty dziury sa po rosyjskich czolgach. Ausgerechnet dort klafften in der Außenhaut einige der lichtbringenden Einschußlöcher — sie stammten, wenn ich es richtig verstand, von russischen Panzerkanonen. Als ich mir nochmals den gigantischen dunklen Innenraum, diese ehemalige Feuerhölle in der ganzen Ausdehnung ansah, wußte ich, daß es ein ganz besonderer Ort zum Gedenken an den Holocaust sein könnte. Etwas Gigantischeres würde man heute nirgendwo mehr errichten können.

Danach gingen wir noch in die Kellerräume. Wie dort der Abtransport der Asche abgelaufen war, konnte man sich gut vorstellen. Hinter irgendwelchen Umkleidekabinen im Erdgeschoß entdeckte ich noch geflieste und relativ intakte Duschräume. Als wir zum Auto zurückkehrten, war meine Mutter nirgendwo zu sehen, kam aber bald aus dem Wald. Sie zeigte in Richtung einer Waldlichtung. Dort sah man zwei genauso hohe Schornsteine wie die hiesigen.

— Auch ein Kraftwerk, meinte der ältere.

— Wieso?

— Wszystko podwöjnie, die Deutschen hatten sich alles doppelt hingestellt — wegen der fließenden Produktion.

Offenbar gab es hier alles zweimal, da es rund um die Uhr keine Ausfälle geben durfte. Es gäbe auch zwei Wasserwerke, erzählte der Ältere noch, zwei Klärwerke, zwei Aufbereitungsanlagen für Nitrozellulose und für die Säurekonzentration.- Ja, kwas, richtig! sagte meine Mutter. Wir wußten über die Produktion aber sonst gar nichts, durften wir auch nicht.

— Ich weiß auch, wie die Fabrik hieß, also die Firma, sagte unser Mann — Ulme.

— Nein! Es war Dynamit-Nobel, überall stand Deutsche Dynamit AG oder Alfred Nobel.

— Ja, ja, der Tarnname war trotzdem Ulme. Und die Fabrik wurde nie bombardiert — und wissen Sie, warum?

— Nein.

— In der Firma steckte auch amerikanisches Kapital. Und es ist keine sozialistische Propaganda.

— Die Amerikaner hätten lieber hier ein paar Bomben abwerfen sollen, sagte meine Mutter — statt alle nur in Dresden.

— Dafür warfen sie aus Versehen einiges in Prag ab, nicht wahr?

Wir fuhren weiter, links und rechts des Weges standen kleine Betonpfeiler — Alarmmelder, sagten die beiden. Der ganze Wald sei voll davon.

— Als ich klein war, hatte mich mein Vater hier oft herumgeführt, sagte der Ältere. Er hatte mir erzählt, daß auch IG-Farben an der Produktion beteiligt war.

Der ganze Wald sei nach dem Krieg voller Chemie und Abfälle gewesen, alles sei furchtbar verseucht gewesen, erinnerte er sich noch. Der Staat habe sich um den deutschen Dreck nicht gekümmert, Geld habe man für die Entsorgung sowieso nicht gehabt.

— Kurwa!

Über dem Weg lag ein Baumstamm, wir stiegen aus.

— Przerwa, Pause.

Die Männer hielten es nicht aus und holten wieder die Wodkaflasche hervor. Mutter wollte nicht, wirkte etwas apathisch, ich nahm einen Schluck aus Höflichkeit.

— Wo waren hier eigentlich die Lager?

— Lager waren da und dort, sie waren aber nicht groß — manche nur mit vier Holzbaracken. Daneben waren noch Häuser für die Bewacher, die Küche und so weiter. Im Lager beim Wasserwerk werden Sie das noch sehen, wir kommen da noch hin. Mein Vater wußte alles noch ganz genau — hier ein Stück tiefer im Wald lag irgendwo das ukrainische Lager, vielleicht waren dort aber Ungarn, also ungarische Juden, ich weiß es nicht mehr genau.

Ich stand auf, zwischen den Kiefern hinter uns schimmerte ein singulärer schiefer Pfeiler aus den bekannten gelben Backsteinen. Davor zog sich eine sanft ansteigende Bodenwelle lang. Die Bäume waren dicht gepflanzt, man kam aber einigermaßen gut durch. Der ältere Mann folgte mir.

— Die Zufahrt geht vom nächsten Seitenweg ab, dort stehen auch die Torpfosten.

Hinter der Erhebung wurde mir klar, daß wir auf einem Lagergelände standen. Der allein stehende hohe Pfeiler entpuppte sich als ein kleiner Schornstein — daneben hatte sich offenbar die Lagerküche befunden. Hinter dem Schornstein sah man den eingebrochenen Vorratskeller, ein Stück weiter entdeckte ich eine längliche tiefe Betongrube unter intakten Querbalken aus Stahlbeton — das seien Latrinen gewesen, erfuhr ich.

— Und die Tröge dort drüben? Ich zeigte auf die schmalen gemauerten Becken und betonierte Rinnen ein Stück weiter.

— Das waren die Waschräume und die Wäscherei.

Ich zeigte ihm stumm mit dem Finger auf den Lippen, er solle meine Mutter noch nicht rufen. Ihr Lager hieß»Am Schwedenwall«. Vor uns lag noch ein größeres planiertes Gelände, auf dem man noch gut die Fundamente der Häftlingsbaracken sehen konnte, davor mußte sich der Appellplatz befunden haben. Der Mann begann an einer Stelle mit dem Fuß im Boden zu schaben und holte ein zerdrücktes Emailleschild heraus.

— Man findet hier überall etwas, man braucht nur kurz zubuddeln. Wir fahren dann noch ein Stück zurück zum Verwaltungsgebäude, dort finden wir mehr. Hätten wir gleich machen sollen. Wir gingen zurück.

— Wie sah dein Lager aus? fragte ich meine Mutter vorsichtig.

— Ich würde es bestimmt nicht erkennen. Der Wald sah anders aus, die Bäume waren viel höher, das alles ist wahrscheinlich neu gepflanzt worden. Hinter dem Lager war eine Böschung, ein Wall.

— Du müßtest mitkommen, glaube ich.

— Ich will da nicht hin, Georg.

— Sagten Sie Böschung? Eine lange Böschung zum Bober gibt es auch beim Wasserwerk.

Nachdem wir den Baumstamm aus dem Weg geräumt hatten, sollte ich erst einmal wenden, um zu dem angeblich so wichtigen Verwaltungsgebäude zu kommen. Wir fuhren also zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren, passierten das Kraftwerk und bogen nach einer Weile wieder ab. Auf einem betonierten Hof vor einem zweistöckigen Gebäude ließ mich unser Exkursionsführer anhalten, stieg aus und begann in einer Kuhle am Waldrand mit dem Schuh zu wühlen. Ich nahm mir dafür einen Ast, und bald fand ich zwei Registrierkärtchen aus Metall, der eifrige Mann brachte weitere. Er putzte sie alle nach und nach mit seinem Taschentuch sauber. Die Namen der Angestellten — und der Zwangsarbeiter — konnte man jetzt gut lesen, auch ihren Beruf oder ihre» Verwendung«, natürlich auch ihre Nummer und ihr Geburtsdatum:

*

«669Mucha, Wladislaus — Arbeiter — 23.4.23, Zawarau Kr. Buska — led. - Zawarau Kr. Buska -5 /669-E 2.11.43«;

«540 Anicic, Risto — Elektriker — *19.8.20, Koplelica — ledig — Belgrad, Wojslawa u.66 — lie / 540 — E 12.10. 44«;»2230 Sinjkowa, Wjera — Arbeiterin — * 15.10.23, *Kalininka Kr. Donetz — led. - Kalininka Kr. Donetz — 4 / 2230 — E 10.9.42«.

Es waren aber auch ältere Deutsche dabei, vielleicht Vorarbeiter:

«325 Merkel, Paul — Apparatewart — *17.12.92, Dauki/Kr. Calau — vh.2 — Grossan — 4 / 325 — E 27.7.42«. Herr Merkel — vh.2 — war damals offenbar zum zweiten Mal verheiratet gewesen, das übliche Kürzel war» vh.«.

Konstruiert waren diese Blechkärtchen wie die heutigen Kreditkarten, die Buchstaben waren darin maschinell eingestanzt. Auch die Größe war ungefähr die gleiche. Man konnte die Angaben mit Hilfe von Kohlepapier sicher auch auf Karteikarten abziehen. Wir gaben die Suche irgendwann auf und gingen zum Auto. Nachdem wir wieder den am Wegrand liegenden Baumstamm passiert hatten, fuhren wir eine endlose Piste lang — immer tiefer in die Waldwildnis hinein. Meine Orientierung funktionierte inzwischen nicht mehr, ich gab die Hoffnung auf, daß ich von hier aus allein hinausfinden würde. Wir hatten mehrere Kreuzungen passiert, die Piste war nicht immer gerade, knickte mehrfach scharf und ohne einen einsehbaren Grund. Ganz plötzlich sollte ich anhalten und den Motor abstellen. Weit und breit war allerdings kein einziges Gebäude zu sehen. Wir stiegen aus, der Ältere winkte geheimnisvoll. Mir war nicht ganz wohl dabei, und ich fragte ihn, was uns erwartete — er wollte es aber nicht verraten. Meine Mutter ging diesmal ergeben mit, der Wald wurde dichter.