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— Das war nicht so toll, sagte der Mann im weichen Schutzanzug. Bei meinen anderen Abflügen bin ich viel besser gelandet.

— Wie ist das passiert? fragte der Onkel.

— Reifenplatzer, VORNE! Ihr Auto hat aber keinen einzigen Kratzer, das habe ich immerhin hinbekommen.

— Sie haben die Maschine sehr gut hingelegt, alle Achtung. Und auch an Ihrer Frau ist alles dran!

— Oft kriegt man das wirklich noch sauberer hin, sagte der Mann und umarmte dabei seine tapfere Wiederaufgestandene. Die Entscheidung muß man immer blitzschnell treffen — und wenn sie richtig ist, landet man butterweich auf dem Acker. Die allererste Regel dabei: Zwischen zwei Bäumen immer mittig fliegenlEs war später Frühling, und an jenem Wochenende wurde ich in Onkels Dorf Zeuge, wie Onkel ONKEL und einige andere Männer den Bau eines Schwimmbads FÜR UNS KINDER in Angriff nahmen. Der Bürgermeister war dabei, einige Einheimische, aber auch andere wochenendaktive Dörfler aus Prag. Ein Stück oberhalb von Onkels Haus war eine abschüssige Wiese, die von einem kleinen Bach in zwei Hälften zerteilt war. Wem die Wiese früher gehört hatte, war nicht ganz klar, im Sozialismus spielte es aber keine besondere Rolle mehr. Der Bürgermeister, damals» Vorsitzender des Nationalausschusses «genannt, genehmigte das Vorhaben, die Leitung der Landwirtschaftlichen Einheits-Genossenschaft hatte auch nichts dagegen und wollte für die späteren Erdarbeiten sogar eine Planierraupe zur Verfügung stellen, eventuell sogar einen Schaufelbagger von einer nahe gelegenen Baustelle vorbeischicken.

Auf meinen Onkel konnte ich in seinem Dorf stolz sein. Er wurde dort von allen Seiten und so laut wie möglich» Herr Ingenieur «genannt und sehr respektvoll behandelt. Die Überzeugung der Dörfler, er sei ein in einem technischen Fach ausgebildeter Ingenieur, war offenbar schon älteren Datums, und niemand schien einen Grund zu haben, an Onkels bautechnischer Kompetenz zu zweifeln. Mein lieber Onkel war wie verwandelt, er war der Chef — war plötzlich ein ganz anderer Mensch als der hinter Schränken eingemauerte Pfeifenraucher aus der Prager Wohnung.

Links und rechts des schmalen Bächleins, das bei starken Regenfällen ungeahnte Wassermassen führen konnte, wurde als erstes gebuddelt und geschaufelt, bis an diesen zwei Stellen zwei tiefe eckige Löcher klafften. Auf diese setzte man im Laufe des Vormittags Teile von Schalungen aus Kantholz und Brettern und nagelte sie provisorisch zusammen. Andere Männer schmissen ein Stück weiter schon Kies durch ein großes Sieb und ließen zwei große Betonmischer brummen. Man war dabei, das sogenannte Zapfenhaus, den» Mönch«, zu bauen. Die umstehenden Kinder, wie ich auch, wurden nicht ignoriert, sondern ab und zu bautechnisch aufgeklärt — besonders dann, wenn es zu Stockungen im Arbeitsablauf kam. Auch mein Onkel wandte sich uns mit einem Lächeln zu, wenn er das Gefühl bekam, wir verstünden irgendwelche aktuellen Schwierigkeiten nicht.

— Diese Pfeiler werden hier innen, genau gegenüber, einen graden breiten Schlitz haben, aus Stahlprofil. Wenn man dann später starke Holzbohlen reinschiebt, wird das Wasser nicht weiterfließen können und sich ruck, zuck stauen. Kapiert? Im Moment warten wir auf ein stärkeres Schweißgerät — die Schienen, also diese U-Profile, müssen an der Armierung gut verankert werden.

Die Männer hatten zwei Kasten Bier dabei und waren ausnahmslos fröhlich. Ein Propagandafilm hätte unseren Sozialismus nicht wirkungsvoller anpreisen können. In die vorbereitete Schalung wurde irgendwann eine Art primitive Armierung geschoben, an diese dann die U-Profile erst mit biegsamem Draht befestigt, dann gründlich verschweißt. Zum Schluß verschwand das rostige Gesamtkunstwerk hinter der Schalung aus Holz vollständig — das heißt bis auf die beiden einander zugewandten U-Profile. Anschließend konnte endlich — meine Ungeduld war groß — der längst fertige Beton geschüttet, gekippt, gerüttelt und gestaucht werden. Wir Kinder warteten danach, was noch alles passieren würde, es passierte aber nichts mehr. Und niemand kam in dieser Phase des Geschehens auf die Idee, uns zu belehren und das vorläufige Ende der Veranstaltung zu verkünden. Die Männer waren nicht mehr ganz bei sich. Ein Bierkasten war inzwischen schon leer, und wir langweilten uns. Eigentlich hätten wir längst woanders spielen können. Alle Erwachsenen saßen weiter herum, unterhielten sich, keiner der Männer spürte offenbar besondere Lust, nach Hause zu gehen. Man ließ uns wenigstens nebenbei — es war eine absolute Ausnahme — an den nicht ganz leeren Bierflaschen nuckeln. Das anfangs erwähnte Raupenfahrzeug kam nicht, und es wurden natürlich auch keine Erdmassen bewegt. In meinen Vorstellungen wuchs diese Talsperre trotzdem längst ins Gigantische.

— Geht es morgen weiter? traute ich mich irgendwann zu fragen.

— Nein, Junge. Der Beton muß erst einmal aushärten.

— Und wie lange dauert es?

— Wir machen nächste Woche weiter, vielleicht aber erst in zwei Wochen. Ihr braucht noch etwas Geduld. In der Woche müssen die Pfeiler sowieso noch gründlich bewässert werden, das ist ungeheuer wichtig! Beton darf nicht zu schnell trocknen, er würde sonst Risse bekommen. Aber der Sommer ist sowieso noch weit.

Danach wurde der leicht angetrunkene Mann nachdenklich und sagte etwas betrübt:

— Merke dir eins. Junge. Wirklich hart wird Beton erst in vierzig Jahren, erst nach vierzig Jahren erreicht er seine endgültige Reife. Da werde ich schon ganz woanders sein.

Erstaunlicherweise war Onkel ONKEL nach vierzig Jahren — das friedliche Einschlummern des Sozialismus lag da schon über zehn Jahren zurück — immer noch am Leben. Nur der frauliche Teil der Großfamilie existierte nicht mehr. In der alten Wohnung nicht, auch in Altersheimen lebte keine einzige meiner Tanten. Onkel ONKEL war der letzte Repräsentant meiner Eltern- und Tanten-Generation, ein phänomenaler Überlebenskünstler. Für mich persönlich war er so etwas wie ein Held seines singulären Pfeifenrauch-Holocaust. Die drei Grundprinzipien seiner Kampfstrategie gegen den Tod lauteten: Schonung, Schonung, Schonung. Onkels Frau Eva war auch schon lange tot. Sie starb an Krebs, und weil sie ihr ganzes Leben zu allen Menschen ohne Ausnahme — auch zu den ausgesprochenenEkelpaketen unter ihnen — immer so gut gewesen war und sich dauernd aufgeopfert hatte, endete das Leben dieser gebildeten und feinen Dame in purem Haß. Ihr asexuelles Leben in ihrer engen Kammer war insgesamt mehr als trostlos verlaufen — glückreduziert war es auf alle Fälle. Bei einem anderen Lauf der Geschichte wäre sie sicher eine bekannte Medizinerin und Wissenschaftlerin geworden. Leider hatte sie sich nach dem Krieg entschlossen, dem neuen Staat möglichst umgehend und unmittelbar zu dienen — und entschied sich gegen ein» viel zu langes «Medizinstudium. Sie wurde Ökonomin, machte Karriere in einem Forschungsinstitut, alle Katastrophen waren damit vorprogrammiert. Bis zum achtundsechziger Einmarsch waren es nur die wirtschaftlichen, danach kam ihr ganz persönlicher Absturz — im Rahmen der politischen Massenentlassungen, versteht sich. Folgerichtig beschimpfte sie in den letzten Wochen ihres Daseins nicht nur ihn, ihren nur mit seinen Pfeifen verwachsenen Mann, sondern auch ihre Töchter und deren Kinder, die sie allesamt als Raubtiere, bestenfalls als parasitäre Egoisten einstufte. Auch ich wurde den vielen Schweinehunden dieser Welt zugeschlagen und am Sterbebett nicht empfangen.

So wie früher, wenn im Umkreis der Familie jemand gestorben war, ließ der Onkel auch beim Begräbnis seiner Frau die verfettet-weiche Muskulatur seines Gesichts kurz nach unten sacken. Seine hängenden Backen sollten — in der Manier einer Trauerweide — tiefe Verzweiflung ausdrücken. Einen Augenblick später konnte er wieder so vollständig lächeln, wie es ihm nach seinem langen Leben voller Mimik-Minimalisierung nur möglich war. Die federkernlosen, daher auch spannungsfreien Polster seines Gesichts waren selbstverständlich schon seit Jahrzehnten dabei, den Großteil von Onkels Regungen zu absorbieren — falls diese in ihm überhaupt aufgekommen und von ihm freigegeben worden waren. Überraschenderweise konnteman meinem Onkel einiges trotz seines unkernigen Pappgesichts problemlos ansehen. Seine würdegeladene Dauerselbstmitleidsmiene wirkte dabei nur wie eine transparente, dümmlich verteidigte Folie. Als ich es als Erwachsener einmal gewagt hatte, einen vorsichtigen Scherz auf seine Kosten zu machen, verblüfften mich seine ganzkörperliche Verunsicherung und das wehrlose Entsetzen in seinen Augen. Und ich wagte es NIE WIEDER, ihn am lebendigen Leib der Gefahr der Beschämung auszusetzen. Auch deswegen, weil es dank seines lächerlichen Äußeren viel zu einfach gewesen wäre: Er trug überdimensioniert große Brillen, seine buschigen Koteletten verfilzten sich oft mit seinen steifen Ohrmuschelhärchen, und seine kurzen Dreiviertel-Mäntel hingen über seinem Bauch wie eingelaufene Fünf-achtel-Jacken.