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Bei Dana war einiges — was Gerüche anging — etwas anders (oder woanders anzutreffen), und ich lernte hinzu. Wir küßten uns ohne Ende, dabei schmeckte ihr Mund überraschenderweise tatsächlich dauerhaft nach Fisch. Ich fragte nicht, warum, liebte diesen Geschmack und wollte ihrenMund lange gar nicht anders haben. Irgendwann kam leider heraus, daß sie einen faulenden Zahn hatte und auf keinen Fall zum Zahnarzt gehen wollte. Wir küßten uns weiter, mir machte es nichts aus. Außerdem wußte ich, daß sie tatsächlich auf keinen Fall zum Zahnarzt gehen konnte. Sie hatte ein etwas abartiges Kiefergelenk und durfte den Mund nicht allzuweit auftun — sonst würde sich ihr Unterkiefer wieder auskugeln. Danas Zähne waren sowieso herben Einflüssen ausgesetzt. Sie lebte im Winter fast nur von reinem Honig, hatte ich den Eindruck, den sie umsonst von ihren Dorffreunden bekam. Sie löffelte und löffelte, bis sie satt wurde.

— Im Honig steckt alles drin, was ich brauche. Und in Bohnen und Brennesseln. Du kannst gerne Kartoffeln essen, mit so viel Salz, wie du willst. Neulich bin ich auf einer Honigschnitte eingeschlafen.

«Honig in den Haaren…«sang ich kurz, dieses Lied von Suchy kannte damals jeder.

— Laß mir meinen Honig, bitte!

— Du kannst auch eine Suppenkelle benutzen. Was du nicht verdaust, lecke ich dir unten ab. Kartoffeln bekam Dana von irgendwelchen Einheimischen. Diese holten sie von den Feldern der Genossenschaft. Im Sozialismus kamen bescheidene Landbewohner, die zusätzlich einen größeren Gemüsegarten hatten, fast ohne Geld aus. Dana hatte einen kleinen Garten mit Obstbäumen, außerdem wuchsen auf ihrem Grundstück natürlich Unmengen von Brennesseln. Daß uns beim Sex die Störche durch die offene Tür zusahen, kam uns nicht mehr abartig vor. Das waren wir gewohnt. Die beiden männlichen Störche gaben im Frühjahr auch keine Ruhe, bis sie ihre Eierattrappen aus Holz zum Ausbrüten bekommen hatten. Den Papageien waren unsere Geschlechtsakte auch egal, nur der noch nicht erwähnte alte Hund mußte raus, weil er in entscheidenden Momenten gern jaulte. Gegen tierische Augenhatten wir also nichts einzuwenden. Wer uns wirklich nicht sehen sollte, waren Menschen. Und unter den Milliarden Menschen unseres Planeten gab es einen ganz besonderen, der uns auf keinen, aber auf gar keinen Fall hätte sehen dürfen. Dieser Mensch war meine schreckhafte Mutter. Sie ganz alltäglich-unschuldig aufzuwühlen, also sanft zu erschüttern, wäre an sich schon ein kleines Schwerverbrechen.

Unterschwellig hatte meine Mutter den Braten sicher gerochen. Vielleicht aber auch nicht. Sie verließ Prag, ohne sich anzumelden. Dana hatte kein Telefon. Draußen war schönes kühles Wetter, meine Mutter schnappte sich ihr Fahrrad, fuhr mit dem Zug in die nahe gelegene Kleinstadt und mit dem Fahrrad dann weiter. Dana konnte sich eine solche Spontaneität wegen ihrer Tiere nie leisten, unerwartete Besucher kamen aber immer wieder mal. Ich machte offiziell gerade eine Rennradtour in Nordböhmen. Wir waren laut, die Papageien waren laut, meine schöne Mutter klopfte nur leise, durch die dreckigen Fenster sah sie nichts, und als keine Antwort kam, ging sie schnurstracks ins Hausinnere. Die Tür war leider nicht verriegelt. Dana kniete, war nach vorn gekippt, mit dem Kopf hatte sie sich zwischen ihren Kissen eingewühlt. Ich steckte in ihr von hinten.

Menschen beim Sex zu überraschen ist nicht wirklich erfreulich. Den eigenen, nicht ganz erwachsenen Sohn bei dieser etwas groben Beschäftigung zu ertappen muß für meine teilweise doch etwas kindlich gebliebene Mutter grauenhaft gewesen sein. Sie brüllte so laut, als ob sie gerade Zeugin eines Mordes geworden wäre — und sah dabei aus wie eine Verrückte. In Danas Bett wurde aber tatsächlich gemordet — eine Freundschaft auf alle Fälle. Außerdem fickte sich ein Sohn gerade vor seiner Mutter weg, fickte sich zwischen die Erwachsenen, statt ästhetisch auf seinem Rennrad durch die Landschaft zu gleiten. Ich hatte gerade Mutters einzig wahre Liebe verraten, die in ihrem seelischen Schatzkästchen am Glimmen gehalten wurde. Außerdem tat ich etwas, was mir in ihren Augen noch nicht zustand und wozu sie mir persönlich, theoretisch jedenfalls, selbst den Startschuß geben wollte. Meine glückliche, trotzdem weiter etwas kindliche Jugend war nach diesem Vorfall allerdings lange noch nicht zu Ende.

Nach dem Eklat in unserem Beischlafzimmer war einiges nicht mehr bedenkenlos möglich. Als ich und Dana früher einmal zur Badestelle am Fluß gingen und meine Mutter vor uns lief, konnte ich heimlich und vollkommen angstfrei Danas nackten Rücken streicheln. Damals war mir überhaupt nicht bewußt, was für Verwirrtricks und Schattenschläge — regelwidrig und übergriffig — wir eigentlich ausgeführt beziehungsweise verteilt hatten. Wir waren das Liebespaar, wir waren mit frischer Lebendigkeit erfüllt, liefen stolz und selbstsicher. Aber nur wir wußten, woher diese Kraft kam. Obwohl Dana bekannt gewesen sein mußte, daß sie keine hervorstechende Schönheit war, fühlte sie sich trotzdem wie eine solche. Und ich hätte mich theoretisch mit ihr freuen können. Sie empfand sich plötzlich aber attraktiver als meine Mutter, was — strenggenommen — eine Frechheit war. Meine Mutter trampelte und wackelte an solchen gemeinsamen Tagen tatsächlich weniger anmutig, wirkte verunsichert und benahm sich viel ungeschickter als sonst — und ahnte dabei sicherlich nicht, warum. Wogegen ich, feiger Hund, mich nebenbei freuen konnte, daß sie sich quälte. Es war meine Rache für alles, was mir zu Hause, in dieser netten Enge, über den Kopf wuchs. Mir bereitete es sowieso schon länger ein gewisses Vergnügen, meiner Mutter das Lieben meiner Person zu erschweren. Es reichte schon, ihr die gewohnte Nähe zu verweigern. Aber ich konnte auch nicht anders — ich konnte sie in meiner Nähe, so wie früher, nicht mehr ertragen.

Etwas Substantielles habe ich über meine mich liebende Mutter noch nicht verraten: Sie konnte sich im Handumdrehen in eine wüste Diktatorin verwandeln. Da sie alltägliche Dinge mit keinem Partner auszuhandeln hatte, fällte sie oft Entscheidungen, gegen die zu opponieren unter keinen Umständen erlaubt war. Einmal zwang sie mich — sie selbst hatte gerade ihre Tage — mit Ohrfeigen ins kalte Osteewasser (13 Grad), weil man als Böhme überall ins Meer gehen müsse, wenn man es vor der Nase habe. Außerdem vergewaltigte sie mich einmal sogar. Zwar nicht genital, trotzdem penetrierend — mit einer Banane. Ich war noch ziemlich klein und sah die abgepellten Innereien dieser Frucht, die meine Mutter gerade stolz nach Hause gebracht hatte, zum ersten Mal. Ich roch außerdem plötzlich etwas, was ich noch nie gerochen hatte — und begann, rückwärts zu fliehen. Sie verfolgte mich mit ihrem weichspitzen Penetrator und versuchte, mir die von außen etwas angefaulte Exotenwurst zwischen die Zähne zu schieben. Ich kam rückwärts bis zum Fenster, kletterte rückwärts aufs Fensterbrett und drückte mich rückwärts gegen die Fensterscheibe. Weil es danach nicht weiterging, spürte ich zwischen den Lippen bald schon meinen ersten Bananen- und Spuckebrei.

Um das Bild meiner Mutter zu vervollständigen, muß ich über sie noch folgendes verraten: Sie war ihrem Wesen nach ein Raubtier. Sie aß kaum Obst und Gemüse, hatte sogar eine ausgeprägte Angst vor einer» Vitaminvergiftung«, wie sie immer wieder sagte. Ich schließe daraus heute, daß sie — ähnlich wie die Raubtiere — Vitamin C einfach metabolisch synthetisierte. Am ehesten steckte in ihr eine Raubkatze, was sich aus ihrer Art, wie sie einen greifen und packen konnte, schließen ließ. Während der Grundschulzeit schaffte sie es den ganzen kalendarischen Winter lang, mir auch beim Tauwetter mit Gewalt lange Unterhosen anzuziehen. In späteren Jahren oft einfach mit moralischer Gewalt. Sie setzte mich damit regelmäßig schlimmsten Gefahren aus, da alle Kälteweichlinge in der Schule mit Begeisterungbeschämt wurden. In Wutanfällen schlug ich zu Hause oft mit Fäusten gegen die edel geätzten Türverglasungen unserer Türen. Ersetzt wurde das kaputte Glas nach und nach durch unästhetische Mattscheiben unserer sozialismuskranken Glasbranche. Widersinnigerweise fühlte sich meine mähnenstarke Mutter genetisch mit den Pferden verwandt — auch ihrer edlen Schönheit wegen. Gemein hatte sie mit ihnen aber höchstens nur noch das gelegentliche Wiehern-Müssen. Beim Niesen schrie sie immer wie eine Wahnsinnige.