Ich und Dana haben die meine Mutter betreffenden Rache- und Genuß-Nebeneffekte während unserer gemeinsamen Zeit nie benannt, nie angesprochen, wir wären dazu sowieso nicht in der Lage gewesen. Wir wußten von gar nichts. Was uns nicht daran hinderte, unsere kleinen Siege still zu feiern. Man könnte diese Verwicklungen aber doch noch anders sehen: Gerade dank unseres Nichtwissens konnten wir diese Dinge vielleicht erst so genießen, wie wir es taten. Jeder auf seine Art. Dana genoß ihren Triumph, eine Schönheitskönigin zu sein, und ließ ihre weibliche Vormachtstellung nicht nur meine Mutter spüren. Sie war nun mal die Nummer eins, sie wirkte manchmal sogar unabgeblätterter als meine frischhäutigen Cousinen. Und sie bemerkte beispielsweise genau, wenn ich meine Mutter beobachtete und mich für ihr wenig harmonisches Hantieren schämte. Dana und ich sahen uns daraufhin einmal an, schämten uns beide, wußten aber nicht, ob es Scham war. Wir waren verliebt und hatten von der Natur, dachten wir, die Lizenz bekommen, alles andere und alle anderen aus dem Weg zu schaffen. Diese Lizenz schloß das Recht mit ein, auf die Schmerzen der anderen nicht achten zu müssen. Ich sehe noch vor mir, wie es meine Mutter durchfuhr, nachdem sie einen meiner Blicke, der in Richtung Dana ging, abgefangen hatte. Ich sah Dana beim Umziehen zu, saugte sie mit meinen Augen an und wurde dabei unvorsichtig. Meine Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt ihr Buch abgelegt, las nicht mehr, studierte offenbar meine Mimik. Im Grunde muß sie in dem Moment alles begriffen haben — um es schnellstmöglich wie ein Unding zu vergessen.
An diesem mit vielen scharfkantigen Zeichen beladenen Badetag war es heiß, meine Tastnerven krochen regelrecht wie Tentakel aus mir heraus. In diesem physiologischen Ausnahmezustand hätte ich mich ohne Skrupel — wie ein Flegel von Blutegel — an jedes verfügbare Frauenfleisch heranmachen können. Wie sollte ich es also schaffen, Dana nicht mit den Augen abzuschleimen? Dana war für mich in dem Moment die anziehendste Frau auf Erden, ich hatte Zugriff auf sie — ich und niemand sonst. Meine Mutter war an dem Tag, bevor wir alle baden gingen, mit ihrem Freund stundenlang unterwegs gewesen — die beiden wollten unbedingt eine Burgruine erkunden — , und ich, Dana und ihre Tiere hatten im Haus freie Bahn. Und da ich und Dana nicht die ganze Zeit miteinander schlafen konnten, zugleich das Reden im Bett aus gutem Grund mieden, blieb uns nichts anderes übrig, als wie eine 9 und eine 6 nebeneinanderzuliegen und uns gegenseitig zu befingern, zu bespielen und zu bewundern. Wir durften das alles miteinander tun und brauchten zum Glücklichsein nichts anderes. Was zu meiden war, waren tatsächlich nur Worte — zwischen uns und nach außen hin. Einmal hatte es während einer sanft langgestreckten Kopulation dieses Tages ein unpassendes kurzes Gespräch gegeben. Daß es dabei um meine Mutter ging, war natürlich kein Zufall. Trotzdem — mein Penis wurde infolge der mütterlichen Vision schlagartig etwas weicher und drohte auszurutschen. Dana, die auf mir saß, verhinderte das geschickt, und wir hörten vorsichtshalber auf zu reden. Dana freute sich dann wortlos — trotzdem riesig — , als sie zu spüren begann, wie ich in sie wieder hineinwuchs.
Nach und nach kannte ich ihren ganzen Körper, ihre vielen Oberflächendetails auswendig. Und ich fand auch alleUnvollkommenheiten, alle Anzeichen ihres Alters — manchmal sogar ausgerechnet diese — wunderlich anziehend. Ich fand es ebenfalls anziehend, wenn sie mit irgendwelchen widerspenstigen Dingen ausnahmsweise auch mal grob, unelegant oder sogar häßlich umsprang. Als Künstlerin achtete sie sonst in allen, auch ganz banalen Schieflagen streng auf die Ästhetik der Dinge und stellte sie mit unauffälligen Mitteln schnell wieder her. Beim Essen gab es auf ihrem Teller beispielsweise nie ein unschönes Durcheinander. Die Proportionen in der Anordnung und die Farbigkeit stimmten, auf die Gewichtung zwischen Beilage, Fleisch und Gemüse achtete sie auch noch nebenbei. Die Soße verteilte Dana so, daß ihr Teller möglichst nicht verschmiert wirkte. Und beim Zerteilen achtete sie von Natur aus auf den Goldenen Schnitt.
Ihr etwas breites Becken fand ich — obwohl ich es vielleicht lieber etwas schmaler gehabt hätte — auch ausgesprochen reizend, es beherbergte sowieso meine neue feuchte Heimat. Und es sollte so breit bleiben, wie es war. Günstig für unsere Beziehung war allerdings auch, daß wir uns nur selten sehen konnten. Ob mir ihre Muttermale auch so sehr gefallen würden, wenn ich mit ihnen jeden Tag hätte spielen können — oder sollen — , bezweifle ich. Wenn sie mich manchmal vom Telefon ihres Nachbarn anrief und niemand in meiner Nähe war, fragte ich sie als erstes, was sie anhatte, welche Unterwäsche sie darunter trug, was mir ihre Schamlippen zu sagen hatten. Dummerweise hatten wir in der Klasse auch eine Dana. An einem Tag brachte ich die beiden aus Sehnsucht durcheinander und fragte meine Mitschülerin unvermittelt nach der Farbe ihres Schlüpfers.
die türen
Die an der Nord-Ost-Ecke des barocken Tores ansässige Clique der Älteren wurde immer rabiater — verbal wie auch physisch. Ihr früheres Liebeswerben — »Laß uns bumsen, komm«- hatte ich noch gut im Ohr, später redeten sie viel über technische Dinge — Transistorradios oder Tonbandgeräte. Viele dieser Älteren hatten inzwischen aber auch echte Motorräder — das heißt 50-Kubikzentimeter-Maschinen, die» Pionyr «hießen und in ihrer blechernen Ummantelung viel mächtiger aussahen als die mit Pedalen ausgestatteten Mofas Marke» Stadion«. Der technische, vor allem aber Ansehen verschaffende Unterschied zwischen den beiden Fahrgeräten war riesig — die älteren Mofas wurden im Volksmund noch» Ziegenkeuchen «genannt. Wie diese Leute mit ihren hochwertigen Pionyren umgingen, war furchterregend. Sie veranstalteten manchmal kleine Motorradrennen um einige Häuserblocks, einen Helm trug damals noch niemand. Immerhin verteilten sie vor dem Rennen einige nicht motorisierte Freunde an wichtigen Häuserecken, die Schmiere stehen und Fahrradfahrer warnen sollten. Autofahrer sollten auf sich selbst achten, bremsen und ausweichen lernen. Eines Tages kamen die Burschen auf die Idee, ein Rennen am steilen Hang des begrünten Tors zu veranstalten. Diese halsbrecherischen Cross-Rennen wurden selbstverständlich in Amerika erfunden und heißen in der übrigen Welt deswegen auch Hillclimbing — im Tschechischen allerdings schlicht und einfach» Rennen am steilen Hang«. Die Hang-Rennfahrer legten eine Bohle vor die Bürgersteigkante, einige Ziegelsteine und eine Stahlplatte vor die Begrenzung der erdigen Torflanke. Der folgende Wegnach oben, also die eigentliche Steigung, war gut freigetrampelt, links und rechts davon vegetierten einige Büsche.
Bis nach oben schaffte es niemand, die Motorkraft reichte nicht einmal für die erste Hochebene des Tores. Dafür aber waren die Unfälle, die die Jungs uns vorführten, spektakulär und vor allem im Grad ihrer Materialverachtung ungewöhnlich. Sie retteten sich oft im letzten Moment in die Büsche und mußten ihr Gerät, wenn ihre Helfershelfer — links und rechts der Steigung plaziert — es nicht auffangen konnten, einfach nach unten purzeln lassen. Blech knirschte und verbog sich, Auspuffe wurden flachgedrückt oder abgerissen, Glas der Scheinwerfer ging zu Bruch. Und niemand wollte als erster vorschlagen, das Rennen abzubrechen. So wie sie mit Werten und mit Material umgingen, gingen sie sonst auch mit ihren Gegnern um. Es gab Spannungen und Schlägereien, diese fanden — hörte man jedenfalls — an unterschiedlichen, von Sekundanten verabredeten Orten statt. Und eines Tages wurde eins der Motorräder angezündet und brannte aus. Erst dann erschien die Polizei. Von dem großen» Rennen am steilen Tor «hatte man in der Wachstube seinerzeit überhaupt nichts mitbekommen.