Выбрать главу

ich sah den untröstlichen penis in einer weiten, unwirtlichen höhle wedeln

Zwischen meinen vielen Tanten gab es nicht nur graduelle Unterschiede im Verwandtschaftsgrad mir gegenüber, in erster Linie unterschieden sie sich dadurch, wie sie den Krieg überlebt hatten. Meine Hauptgroßmutter Lizzy und ihre beiden Schornstein-Töchter — also meine Mutter Anna und Tante Eva, die Frau meines Schrankghetto-Onkels — waren in diversen Lagern gewesen, unter anderem auch in Auschwitz. Meine slowakisch-ungarische Tante Györgyi war nach Ungarn geflohen, hatte sich in Budapest versteckt und entkam Eichmanns Transporten nur mit Hilfe ihres Schutzpasses von Wallenberg; ihre Tante wiederum — ihre gleichaltrige» Urtante «Klara — war mit ihrem ganzen Schmuck irgendwo in der Pußta untergetaucht und hatte vom Krieg nicht viel mitbekommen. Meine nächste Tante Erna hatte den Krieg in England überlebt. Sie kannte das Brummen der Vl-»Motorräder«, hatte vor allem die Momente verinnerlicht, wenn der laute Membranenantrieb — weit oben in der Luft — aussetzte. Wirklich zugesetzt hatten ihr dann später die V2-Raketen und die andauernd berstenden Fensterscheiben. Man konnte sie daher mit jeder Art von Krach mit Überraschungscharakter ärgern. Als Leidende durfte sie sich allerdings nie in den Vordergrund spielen. Daß sie auch sonst zurückgepfiffen wurde, wenn sie etwas erzählen wollte, hing aber eher damit zusammen, daß sie furchtbar naiv war und oft Unsinn redete.

Daß sie dumm war, wurde ganz offen auch in ihrem Beisein besprochen. Sie war aber eine schöne Frau und trumpfte trotz allem immer wieder auf — auch ohne einen großartigen Leidensweg vorweisen zu können. Ihre Stärken waren der Zauber ihres charmanten Lächelns und die Begabung, auf die Bedürftigkeit der Bedürftigen einzugehen und gleichzeitig ihre Schadhaftigkeit zu ignorieren. Ernas neue Bekanntschaften, denen ihr Mangel an Bildung und ihre Begriffsstutzigkeit noch nicht aufgefallen waren, ließen sich von ihr gern beeindrucken und nebenbei plump manipulieren. Erna spezialisierte sich bei der Kontaktsuche auf Menschen, die aus uns vollkommen fremden Kreisen stammten, so daß wir immer wieder ausgesprochen exotische Männer (»Das ist endlich der Richtige!«) zu sehen und seltsame Splitter der damaligen Realität beinah zu riechen bekamen. Wir erfuhren, daß es auf der Welt Spezialisten gibt, die sich mit dem Abzapfen von Bullensperma beschäftigen, uns wurde klargemacht, daß Werkzeugmacher nichts mit der Herstellung von Zangen oder Schraubenziehern zu tun haben, und wir erfuhren endlich, daß unsere schmackhaft gewürzten Würstchen nebenbei aus Schlachtabfall, Fettgewebe, Augen, Hautemulsion, verschimmelten Semmeln, Knochenmehl, dem vollkommen anorganischen» A«-Gel und anderem Chemiedreck bestehen.

Tante Bombe war in Theresienstadt immer wieder krank geworden — nicht ganz schlimm, aber schlimm genug — , so daß sie allen Transporten entkommen konnte. Und sie blieb dort bis zum Kriegsende. Die Kellertante Peprl wurde irgendwo auf dem Lande in einem Schuppen versteckt, erzählte davon aber nie. Vielleicht gab es darüber nicht viel zu erzählen.

Von meinen vielen Tanten entfernte sich keine Einzige aus der Gemeinschaft, die ganze Zeit nicht. Sie fanden einander nach dem Krieg relativ schnell und schweißten sich zu einem festen Schutzklumpen zusammen. Eine etwas minderwertige Sonderstellung besaß die gerade erwähnte Tante Peprl, die ich bei der Aufzählung weiter oben zum Glück nicht ausgelassen habe. Sie wohnte ganz allein im Souterrain und verschwand aus meinem Bewußtsein oft für Wochen — wie eine Ausgelöschte. Der Grund für das filmrissige Verhältnis zwischen uns wurde mir später etwas klarer: Die Arme wurde ausgerechnet im Zusammenhang mit meiner Geburt ausgesiedelt. Die leer gewordene, halbwegs in der Erdkruste steckende Souterrainwohnung des ehemaligen Hauswarts wurde für sie, nachdem meine Mutter von meinem noch anwesenden Vater geschwängert worden war, in Beschlag genommen und renoviert. Wenn die Kellertante Peprl im Sommer hinter ihrem vergitterten, ausnahmsweise aber doch offenstehenden Fenster saß und ich ihr schattiges Gesicht entdeckte, erschrak ich.

— Wer wohnt hier unten? Kann man hier überhaupt wohnen? fragten manchmal Schulfreunde, die mich unbedingt bis zur Haustür begleiten wollten.

— Eine alte Frau, sagte ich so neutral und so schnell wie möglich. Meistens ist sie aber gar nicht da.

Tante Peprl war aber immer da, darauf konnte man sich verlassen. Man mußte für sie manchmal eilig Dinge besorgen gehen, die bei ihr trotz ihrer schriftlichen Bestellungen — diese steckten in einer Art von totem Briefkasten im Treppenhaus — immer noch nicht angekommen waren. Ich war eben nicht der Einzige, der sie wiederholt ausblendete. Die tatsächlich Toten unserer Familie — wie die drei Schornsteinbrüder — waren bei uns oben auf alle Fälle präsenter als sie. Jedesmal, wenn ich Peprls winzige Wohnung betrat, überraschte mich, wie zufrieden sie wirkte. Manchmal saß sie im Dunkeln auf ihrem Küchenstuhl und meinte, beim Nachdenken müßten im Grunde auch andere Menschen nicht unbedingt das Licht brennen lassen — nicht nur sie.

— Meine größte Freude seid ihr Kinder, weißt du das? Und vor allem du, erzähl das aber nicht den Mädchen.

Bei uns oben herrschte mehrheitlich die Meinung, Tante Peprl hätte es dort unten schön ruhig, und wegen ihrer Hüftprobleme sei es auch ihr Wunsch gewesen, nicht so weit oben zu wohnen. Sie selbst sprach so ähnlich darüber.

Was für ein Glück, meinte sie, daß sie trotz der schrecklichen Wohnungsnot in Prag so nah bei uns wohnen könne. Manchmal versuchte sie über ihre Existenz sogar zu scherzen — in der Art, wie sie es aus der oberen Familienetage kannte.

— Ich trainiere hier unten schon für den Friedhof.

Weit und breit gab es in Prag keine Familie wie die unsere. Die anderen Brutzellen der Gesellschaft waren wesentlich übersichtlicher. Ich konnte mir lange Zeit trotzdem keine anderen Existenzumstände vorstellen und hatte auch gar keinen Grund dazu. Meine Normalität sah so aus, daß ich pausenlos und intensivst von lauter mir zugewandten Frauen umgeben war. Diese fragten mich zwischendurch nicht nur nach meinem allgemeinen Befinden, sondern auch nach ganz speziellen Dingen, die in anderen Familien, wie ich annahm, kaum abgefragt wurden. Unter Umständen bekam ich mehrmals am Tag folgendes zu hören:

— Hast du heute schon gekackt, Georg?

— Immer schön im Sitzen essen! Sonst rutscht dir alles gleich nach unten, und du bekommst dicke Beine.

— Hast du heute schon… groß, sag mal?

Jedesmal war ein anderer Akzent dabei, manchmal kam die Frage aus Versehen auf Ungarisch.

— Kakiltäl ma mär, Georg?

Für ihre Penetranz konnte ich meine Damen problemlos bestrafen — mit harmlosen Lügen über eine langandauernde Verstopfung oder über Blut im Urin. Die kurze Erstarrung, die nach solchen Scherzen die ganze Wohnung durchfuhr, war erfrischend. Zu den mich liebenden Frauen konnte ich bald auch meine beiden Cousinen rechnen, die wesentlich schneller reiften als ich und auch in ihrer Fürsorglichkeit schnelle Fortschritte machten. Dabei war eine von ihnen jünger als ich. Der Vater dieser beiden Kleinode, mein Onkel ONKEL, konnte mir als Gegenspieler und männlicher Konkurrent niemals gefährlich werden. Ich allein war das männliche Prachtstück unseres Geschlechts.