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Dem Staat gegenüber hat nun niemand ein Recht auf zukünftige Vorteile, welche das Fortbestehen von gewissen Einrichtungen ihm bringen würde, oder ein Recht auf dieses Fortbestehen, weil es ihm bisherige Vorteile erhalten würde. Sollte aber etwa unter dem Namen des Rechts das Klassen_interesse derjenigen Stände und Volkskreise, welchen die gegenwärtigen Einrichtungen zu besonderem Vorteil gereichen, ins Feld geführt werden -dann müßte man auch die Frage aufwerfen: was ist das Deutsche Volk? Sind es die paar Tausende, welche als Nachkommen ehemaliger Feudalherren oder als deren Auskäufer und Hypothekengläubiger die Besitztitel an großen Stücken deutschen Bodens inne haben? Sind es die paar Hunderttausende, welche als Erben des alten Wohlstandes der Städte oder durch Glück und eigene Tatkraft und begünstigt durch die bisherigen Wirtschaftseinrichtungen, zu mehr oder minder großem Reichtum gelangt sind?

Die richtige Antwort kann nur lauten: weder die einen noch die andern - sondern mit beiden zusammen auch noch von den fünfzig Millionen die neunundvierzig, die der weitaus größten Zahl nach in täglicher strenger Arbeit ihr Dasein vollbringen, mit meist ganz geringem persönlichen Anteil an den Gütern einer erhöhten Kultur, und die, jeder einzelne von ihnen bedeutungslos wie der Tropfen im Meer, doch in ihrer Gesamtheit das große Reservoir abgeben, aus welchem alle wirtschaftliche und geistige Aktion des Deutschen Volkes nicht minder wie die Verteidigung seines Bodens in letzter Reihe ihre Kraft schöpft -die breiten Schichten der namenlosen Geschlechter, zu welchen die oberen Stände, die Träger von Bildung und Wohlstand, sich verhalten nur wie Blüten und Früchte des Baumes zu Stamm und Wurzel, aus denen Blüte und Frucht ihre Nahrung ziehen.

Und damit ist gesagt, daß unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen alle Stände gleichmäßig umfassenden Volkswohls kein Staatswesen eine wichtigere Aufgabe haben kann als die Sorge, Wurzel und Stamm seines Volkstums dauernd gesund und kräftig zu erhalten. Träten nun sowohl nackte Klasseninteressen allen Bestrebungen entgegen, welche auf Beseitigung der am Volkskörper nagenden sozialen Übel dringen, so würde damit die Vertretung dieser Bestrebungen unter die Fahne gestellt sein: Solidarische Volksinteressen gegenüber den Prätentionen bevorzugter Stände!

Angesichts des immer deutlicher hervortretenden Kampfes der Sonderinteressen um die Klinke der Gesetzgebung in Deutschland, scheint es in der Tat Zeit zu sein, daß eine politische Partei, die eine »Volkspartei« sich nennt, ihre Bemühung um Einwirkung auf die Gesetzgebung deutlich unter diese Fahne stelle und in diesem Sinne die hier angeregte Reform der Steuer_gesetzgebung in ihr Programm aufnehme.

Gegenwärtig könnte dieses auch durch keine andere als eine politisch radikale Partei geschehen -radikal in dem Sinne: durch keine Rücksichten gehindert sein, erkannten Übeln an die Wurzel zu gehen und nicht Halt machen müssen vor, irgend einem noli me tangere. Alles was heute rechts von uns steht, ist als Partei unter den gegenwärtigen Umständen durchaus unfähig, wirkliche soziale Reformen in die Hand zu nehmen, weil jeder Versuch dieser Art hoffnungslos bleibt, wenn er von Anfang an innerer Folgerichtigkeit entsagen müßte. Alle diese anderen Parteien aber brauchen einstweilen noch privilegierte Stände als ihnen unentbehrlich scheinende »Stützen von Thron und Altar«. Wenn nun auch in konservativen Kreisen -wie allerlei Erscheinungen in der konservativen Presse erkennen lassen -neuerdings ein sehr bemerkenswertes Verständnis für die Absurditäten in unserer Wirtschaftsordnung zu finden ist, soweit sie in Industrie und Handel zum Vorschein kommen, so nützt dieses doch sehr wenig. Den Industrie-und Finanzbaronen von ihren Privilegien manches abzuknöpfen, wäre man in diesen Kreisen schon bereit; käme aber einer, der meinte, die Konsequenzen solchen Vorgehens dürften auch die Landbarone nicht unberührt lassen, so würde es gleich heißen: ja, Bauer, das ist was ganz anderes! -Von dieser Seite ist also nur hartnäckiger Widerstand zu erwarten.

Gegenüber der Sozialdemokratie, anderseits, würde die Aufstellung eines derartigen Programms -zumal wenn ihm noch einiges hinzugefügt würde, was ich in der Fortsetzung meines Referats beizubringen gedenke -den Beginn einer wirksamen und ehrlichen Bekämpfung bedeuten. -Mit Polemik sie bekämpfen zu wollen, ist ein vollkommen nutzloses, sogar schädliches Unternehmen. Durch geistreiche Parodie ihrer Glückseligkeitstheorien kann man zwar die Lacher auf seine Seite bringen und damit den Philister höheren und niederen Standes über den Ernst der Sache hinwegtäuschen, indem man ihn glauben macht, daß es sich nur um solche »Theorien« handele -der unwiderstehlichen Kraft der Kritik aber, welche die Sozialdemokratie an Einrichtungen und Zuständen übt, kann man damit nicht um ein[en] Deut Abbruch tun. Denn diese Kritik hat nicht Meinungen und Theorien zum Gegenstand, sondern Tatsachen. Tatsachen aber schafft man nicht aus der Welt durch noch so geschickte Dialektik, vielmehr, wenn man sie nicht mehr ableugnen kann, nur durch Beseitigung der realen Ursachen, auf welchen sie beruhen.

So empfehle ich also der Freisinnigen Volkspartei meinen früher ausgesprochenen Antrag noch speziell als Waffe zur wirklichen Bekämpfung der Sozialdemokratie.

B. Arbeiterschutz.

Meine Herren!

In dem ersten Teile meines Referats habe ich zur Begründung der damals empfohlenen Programmforderung zu zeigen gehabt, daß eine Quelle nicht abzuleugnender wirtschaftlicher Mißstände und sie begleitender sozialer Übel wirklich gegeben ist in dem gegenwärtigen Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, und zwar insofern, als die neuere Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit das Kapital, d. h. allen Besitz, mehr und mehr aus einer dem Verbrauch dienenden Vermögensansammlung zu einem unentbehrlichen Faktor aller produktiven Arbeit und damit die gesamte Arbeitstätigkeit vom Besitz abhängig gemacht hat. Ich habe dann aber weiter gezeigt, daß die gegenwärtigen nachteiligen Wirkungen dieses Verhältnisses nicht begründet sind in seinem Charakter selbst, d. h. in der erwähnten Abhängigkeit der Arbeit und auch nicht in dem persönlichen Eigentum am Kapital, also der privatkapitalistischen Produktion, und daß sie sogar nicht einmal eine notwendige Folge der sehr ungleichmäßigen Besitzverteilung sind, sondern ausschließlich entstehen durch das Zusammentreffen dieser ungleichen Verteilung des Besitzes mit einer privaten Zins_wirtschaft. Der Weg zur Beseitigung der aus dieser Quelle stammenden Übel erschien nun als innerhalb der bestehenden Staats-und Gesellschaftseinrichtungen gegeben darin: der Staat besinne sich darauf, daß er selbst der eigentliche rechtmäßige Nutznießer des gesamten Nationalvermögens hinsichtlich alles reinen Zinsertrags sei und hierin seine eigene selbständige Einnahme habe, die er in Form der Vermögensteuer nur einzuziehen brauche, um aus dieser Quelle, statt aus direkten oder indirekten Abzügen vom Arbeitsertrag seiner Bürger, seine Bedürfnisse zu bestreiten und zugleich die gesamte Arbeitstätigkeit des Volkes von allem Druck durch Wirkungen der ungleichen Besitzverteilung zu entlasten.