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Zu § 58.

Die Sätze dieses Paragraphen sind dem sonstigen Inhalt des Titels V gegenüber keineswegs pleonastisch. Denn an mehreren Stellen dieses Titels ist direkt oder indirekt Bezug zu nehmen auf Rücksichten des Interesses der Firma. Bei der unvermeidlichen Unbestimmtheit der Grenzen der Berechtigung dieses Interesses muß jedenfalls ausdrücklich ausgesprochen sein, daß jene Rücksichten, erstens, unbedingt Halt zu machen haben vor dem Recht des freien Bürgers und, zweitens, daß sie keinerlei Über_ordnung beanspruchen dürfen über die vielleicht ebenso berechtigten Interessen des andern Teils. -Grundsätzlich ist jede Beschränkung der Rechte abzulehnen, die unter der falschen Fiktion einer durch den Dienstvertrag begründeten Interessen_gemeinschaft beider Teile abzuleiten gesucht wird. Dergleichen gibt es rechtlich nur in einem genossenschaftlich organisierten Unternehmen, in welchem die Gesamtheit der einzelnen den Prinzipal darstellt. In einem solchen darf mit Fug und Recht die Vertretung des Interesses der einzelnen durch Solidaritäts_pflichten beschränkt werden. Ein Dienstvertrag aber, bei welchem Prinzipal und Arbeitnehmer völlig auseinanderfallende Rechtssubjekte sind, begründet keinerlei andere Interessengemeinschaft der Kontrahenten als diejenige, die jedes beliebige Vertragsverhältnis insoweit begründet, als die Fortsetzung desselben für die Kontrahenten vorteilhaft ist. Diese Art von Interessengemeinschaft ist indes nicht rechtlicher sondern rein tatsächlicher Natur. Sie kann nicht Ausdruck und Pflege finden in Vertragspflichten, sondern lediglich in tatsächlichen Einrichtungen, welche geeignet sind, dem einen Teil wirksame Motive zu schaffen zu freiwilliger Unterordnung bestimmter Parteiinteressen unter das Interesse des andern Teils, seines eigenen Vorteils wegen.

Je vollständiger auch in diesem Punkt die Idee des »Brotherrn« aus den Beziehungen zwischen Unternehmer und unselbständigem Arbeiter oder Angestellten eliminiert ist, desto freier wird die Bahn für die Erkenntnis einer möglichen tatsächlichen Interessengemeinschaft beider Teile und -wenn die Einrichtungen danach sind -für die Pflege eines gesunden Solidaritätsgefühls. Wo die Arbeitsordnung jedem Arbeiter als »Pflicht« auferlegt, »in allen Stücken« das Interesse des Arbeitgebers d. h. des ihm gegenüberstehenden Kontrahenten zu vertreten, oder dergl. -da gibt es solches sicher nicht.

Zu § 79.

Titel V führt in §77 für alle, welche das dritte Jahr im Dienst der Stiftung zurückgelegt haben[89], eine besondere bisher noch nicht zur Anwendung gekommene Art des Dienstvertrages ein: eine Zwischenstufe zwischen dem lebenslänglichen Vertrag der oberen Beamten, in welchem der Prinzipal jedes Rechtes der Kündigung seinerseits sich begibt, und dem völlig freier Kündigung unterstellten gewöhnlichen Arbeits-oder Anstellungsvertrag der RGO und des HGB. -nämlich einen Vertrag, der zwar die Kündigung selbst aus ganz beliebigen Gründen dem Prinzipal noch frei läßt, für den Fall aber, daß die Kündigung ohne schuldbare Veranlassung seitens des andern Teils erfolgt, diesem eine besondere Entschädigung vertragsmäßig zusichert.

Für jeden, Beamten oder Arbeiter, ist von dem Tag ab, an welchem er in diese neue Vertragsform eintritt, der jener Zusicherung entsprechende Anspruch ein Rechtsanspruch aus seinem Vertrag geworden, dessen nicht-begründete Verweigerung Verletzung des eingegangenen Vertrags seitens des Prinzipals bedeuten würde. Deshalb muß, wenn die neue Vertragsform nicht ein leerer Schein ohne rechtlichen Inhalt bleiben soll, die Auslegung des Vorbehalts »schuldbare Veranlassung« unter die strengen Regeln gestellt sein, nach welchen Entbindung von der Erfüllung eines eingegangenen Vertrags, d. h. Vertragsaufhebung, zu begründen ist.

Vertragsentbindung des einen Kontrahenten kann aber, abgesehen von dem Fall höherer Gewalt, nur gerechtfertigt werden, erstens: durch schwere Vertragsverletzung seitens des einen Teils und, zweitens: durch »wichtige« Gründe für Nichtfortsetzung des Vertrags, d. h. aber: durch Tatsachen, welche zwar außerhalb der vertragsmäßigen Tätigkeit selbst liegen können, auf diese letztere aber so wesentlichen Bezug haben, daß sie, wenn sie schon vorher bestanden hätten, den andern Teil vom Eingehen des Vertrags vernünftigerweise hätten abhalten müssen.

Hieraus ergibt sich von selbst die in § 79 versuchte Spezifikation der Fälle »schuldbarer Veranlassung« in bezug auf die besonderen Verhältnisse des industriellen Arbeits-und Anstellungsvertrags, nach den dort angeführten 6 Punkten. Die beiden ersten von ihnen decken die Fälle schwerer Vertragsverletzung, nämlich die »grobe« Pflichtverletzung im Einzelfall und die fortgesetzten, den vertragswidrigen Animus bekundenden Verstöße; die vier letzten aber machen diejenigen Tatsachen namhaft, die im Sinne des Vorangehenden als »wichtige Gründe« für Nichtfortsetzung des Vertrags gelten müssen. Die letzteren stehen unter den beiden Gesichtspunkten:

erstens, dem Prinzipal kann nicht zugemutet werden, mit jemand in Vertrag zu bleiben, wenn er dadurch sichtlicher Gefahr ungebührlichen Schadens sich aussetzt (3. und 4. Punkt);

zweitens, der Prinzipal darf einem andern, mit dem er sonst noch in Vertrag steht, nicht zumuten, daß dieser behufs Erfüllung seines Vertrags, d. h. in der dienstlichen Tätigkeit, sei es als Vorgesetzter oder als Untergebener oder als Mitarbeiter, persönlichen Verkehr pflegen müsse mit jemand, der ihn selbst, in Person oder in Eigentums-oder anderen Interessen, schwer verletzt hat, oder der in bürgerlicher Ehre oder menschlichem Ansehen kompromittiert ist (5. und 6. Punkt).

Erweisliche Tatsachen, welche unter den ersten oder den zweiten von diesen Gesichtspunkten fallen, rechtfertigen Nichtgewährung der für den Fall der Entlassung zugesicherten Entschädigung, d. h. Entbindung des Prinzipals von der Vertragserfüllung, deshalb, weil solche Tatsachen, wenn dergleichen schon früher vorgelegen hätte, den Prinzipal vom Eingehen des Vertrages unbedingt hätten abhalten müssen.

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Zum einzelnen ist nur noch folgendes zu bemerken:

Selbstverständlich fällt dolus in Hinsicht auf irgend einen Vertragspunkt -die »Rücksichten aus Treu und Glauben« nicht ausgeschlossen -stets unter die »grobe« Pflichtverletzung. Inwieweit gravis culpa darunter zu subsumieren ist, muß dem Judicium von Fall zu Fall überlassen bleiben; eine Schablone dafür gibt es nicht. Dagegen kann für die Konstatierung des vertragswidrigen Animus im Fall fortgesetzter Vertragswidrigkeit wenigstens ein Kennzeichen, neben andern möglichen aber nicht allgemein bestimmbaren, mechanisch festgestellt werden, ohne vernünftige Anwendung des Satzes dadurch zu beengen.