Jene aus dem Verkehr der Personen sich ergebende Wechselwirkung hat über SCHLEIDEN und seine nächsten Schüler hinaus die Optische Werkstätte durch ihre ganze Geschichte begleitet und ihr namentlich aus dem biologischen Interessenkreis fortgesetzt neue Anregungen und Antriebe zu neuen Aufgaben zugeführt. Einige Zeitlang war sie vorwiegend durch meine Person vermittelt, später hatte sie sehr mannigfaltige Wege gefunden. Um wenigstens einen zu nennen, von den vielen aus dem Kreis der hiesigen Hochschule, deren wir in diesem Zusammenhang dankbar zu gedenken haben, nenne ich ANTON DOHRN, der bevor er sein kühnes Unternehmen am Golf von Neapel begann, durch einige Jahre, hin unserer Universität angehörte. Auch aus seinem kraftvollen und antriebreichen Wesen sind Strahlen damals in unser Haus eingedrungen.
Bei dem allen aber hat es sich keineswegs nur um ein Mehr oder Minder von begünstigenden und fördernden Umständen gehandelt, sondern in entscheidenden Punkten um Sein oder Nichtsein. Denn in der äußeren Geschichte der ersten 25 Jahre sind etliche Wendepunkte deutlich zu erkennen, bei deren Betrachtung man zu dem Schluß kommt: daß von allem, was jetzt als Ausfluß der Wirksamkeit von Carl Zeiss unmittelbar oder mittelbar sich darstellt, nach menschlichem Ermessen heute nichts bestehen würde, wenn sein Weg ihn nicht in die Kreise dieser Hochschule und unter den direkten Einfluß eines großen, mit von ihr ausgehenden Antriebs zur Vervollkommnung der Beobachtungswerkzeuge geführt hätte.
Carl Zeiss hat seinerseits der Wissenschaft reichlich wiedergegeben für das, was sie ihm dargeboten hat. Konnte er auch direkt an wissenschaftlicher Arbeit sich nicht beteiligen, so hat er doch durch sein Wirken der Wissenschaft wertvolle Dienste geleistet. Auch unsere Universität hat diesem schon Ausdruck gegeben, indem sie ihn, der kein schulgerechtes Studium prästiert, am Abend seines Lebens noch mit dem Prädikat des berufsmäßigen Gelehrten schmückte. Damals hat, im Persönlichen, der berühmteste Vertreter der jüngeren Schule Jenaer Naturforscher[13] das Band erneuert, welches durch den berühmtesten Vertreter der älteren Schule ein Menschenalter zuvor geknüpft worden war. Und die innere Gerechtigkeit, die in den Dingen waltet, hat es sich fügen lassen, daß über alles Persönliche hinaus auch das Werk von Carl Zeiss selbst dauernde Beziehung gewonnen hat auf die Interessen unserer Hochschule[14] -so den Tribut des Dankes der Alma mater darbringt, die seine Kindheit geleitet und gehütet hat
In meiner bisherigen Betrachtung habe ich von der Person von Zeiss so gut wie gar nicht zu reden gehabt; nur von seinem Wirken und seinen Bestrebungen. Denn es liegt in der Natur einer Betrachtung, welche nur auf die innere Geschichte der hiesigen Unternehmungen ausgeht, daß in ihr die Personen ganz zurücktreten: sie erscheinen dabei nur sozusagen als die zufälligen Akteure, in denen die Ideen Organe für ihre Darstellung und Betätigung finden. Diejenigen Eigenschaften der Personen aber, welche für ihre Rollen Bedeutung haben, kommen dabei ganz von selbst zur Erscheinung, ohne daß es nötig wäre, sie besonders zu schildern.
So ist es also aus allem zuvor Gesagten schon ersichtlich geworden, daß derjenige, an dessen Namen der Anfang unserer Tätigkeit sich knüpft, ein Mann von nicht gewöhnlicher Intelligenz und von nicht gewöhnlicher Energie gewesen sein muß, [und zur vollen Würdigung dessen ist höchstens noch hinzuweisen auf die erschwerenden äußeren Umstände, unter welchen seine Berufsvorbereitung und namentlich der Beginn seiner selbständigen Tätigkeit gestanden haben.] Und noch ein anderes wird aus meinen Ausführungen gleichfalls klar ersichtlich: Carl Zeiss muß einer von denen gewesen sein, die fähig sind, Motive ihres Handelns, Argumente ihrer Entschließung durch das bestimmen zu lassen, was noch nicht ist, was nur ihren Gedanken nach sein sollte -in deren Sinnen und Trachten so das Zukünftige die Kraft der Kausalität gewinnt, bildend und gestaltend einzuwirken auf das Gegenwärtige, Bestehende. So allein aber vollzieht sich aller Fortschritt in menschlichen Dingen, großen und kleinen.
Die weltklugen, die sogenannten praktischen Leute, die im genauesten Sichanpassen an das jeweils Bestehende und Herrschende und in möglichster Unterordnung unter dessen Ansprüche am weitesten zu kommen vermeinen, pflegen diese anderen, die sonderbarerweise Motive und Argumente aus etwas schöpfen, was noch gar nicht existiert, mit dem bekannten Gemisch von Respekt und Geringschätzung »Idealisten« zu nennen. Nun ja! Wenn das auch in den kleinen gleichgültigen Dingen des alltäglichen Lebens nicht weiter zum Vorschein kam -Carl Zeiss war wirklich ein solcher Idealist. Er war es in den Angelegenheiten, für die er etwas bedeutet hat. Und weil er es war, hat sein Wirken auf seinem Arbeitsfeld einen sichtbaren Fortschritt begründet und Erfolge gezeitigt, die sein persönliches Dasein überdauern. Die anderen, die »praktischen Leute« -sie kommen, insoweit sie ihrer Maxime treu bleiben, nicht in den Fall, wenn sie tot sind, für Fortschritte verantwortlich gemacht zu werden.
Im übrigen aber genügt, es, das menschliche Bild des Begründers unserer Firma noch in wenigen Zügen zu vervollständigen, die gleichfalls einige Beziehung auf sein Wirken haben; was keine solche Beziehung hat, braucht nicht späterem Gedächtnis aufbewahrt zu werden.
Wohlwollend, teilnehmend und freundlich ist er zu allen gewesen, die in seiner Tätigkeit ihm nahe traten; aber auch strenge Anforderungen stellte er an alle, weil er an sich selbst sie zu stellen gewohnt war. Um sie geltend zu machen, hat er aber Tadel und Vermahnung wenig gebraucht; mit gutem Mutterwitz begabt, dirigierte er die anderen lieber mit etwas Spott und etwas Ironie, gemildert durch liebenswürdige Bonhomie. So hat er Sie dirigiert, die alten unter meinen Mitarbeitern, denen er vor 25 Jahren noch in alter patriarchalischer Art als der gestrenge Prinzipal gegenüberstand -so hat er als väterlicher Freund auch mich dirigiert, der ich als ganz junger Mann, grün und unerfahren, in seinen Wirkungskreis eintrat.
Was ihn aber nach seinem Charakter sehr hoch stellt: er war ein Mann von strengem Pflichtgefühl und sehr entwickeltem Gerechtigkeitssinn. Zum Beleg dessen könnte ich mancherlei anführen; ich erwähne nur, was mich selbst nahe berührt: die liberale uneigennützige Art, in der er meine dauernde Mitarbeiterschaft seinerzeit sich zu sichern suchte, fern von jedem Gedanken, die Abhängigkeit, in der ich ihm gegenüber mich befand, ohne Vermögen und ohne sonstigen Rückhalt im Leben, auch nur im geringsten zu seinem Vorteil sich dienen zu lassen.
So steht also auch das menschliche Bild von Carl Zeiss in der Erinnerung aller derer, die ihn im Leben gekannt haben, und ihn gekannt haben in der Zeit seines rüstigen Schaffens, da als ein erfreuliches Vorbild menschlicher Tüchtigkeit und Tugend.
Die ganzen ersten drei Dezennien seit dem Bestehen der Optischen Werkstätte müssen in der Geschichte des Instituts als die Periode des grundlegenden Aufbaues angesehen werden. In diesem ganzen Zeitraum dreht sich alles um die Vorbereitung und die Verwirklichung des neuen Arbeitsplanes für die Konstruktion des Mikroskops -um die Einbürgerung und Befestigung der verfeinerten Technik der optischen Arbeit, die allmähliche Beschaffung neuer theoretischer und experimenteller Grundlagen und die erst erfolglosen, dann halb gelungenen, schließlich erfolgreichen Versuche praktischer Durchführung des Planes. Wenn auch im dritten Jahrzehnt die Hauptfunktionen einerseits der feineren technischen, andererseits der wissenschaftlichen Arbeit schon ganz an andere übergegangen waren, so steht doch in dem ganzen 30jährigen Zeitraum Zeiss selbst noch im Mittelpunkt aller Entwicklung, weil alles, was in dieser Periode geschehen ist, noch als unmittelbare Betätigung der ersten Grundgedanken, als Entwicklung aus den ursprünglichen Kleinanlagen sich darstellt.