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Tegan ging zu Fuß in die Innenstadt zurück. Hinter ihm jaulten in einiger Entfernung schon die Sirenen. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass unten beim Chelsea River ein heller Feuerschein den Nachthimmel erhellte. Freudlos grinste er in die Dunkelheit. Die Feuerwehr von Revere konnte noch so viel Wasser auf die alte Lagerhalle pumpen, sie war nicht zu retten. Tegan hatte sichergestellt, dass nichts übrig bleiben würde, wenn der Rauch sich einmal verzog. Er hatte diesen Ort abfackeln wollen, mit einer Wildheit, die er seit Jahren nicht empfunden hatte.

Scheiße, es war mehr als nur Jahre her, dass er diese wilde Zerstörungswut in sich gespürt hatte, die heute Nacht in seinen Venen brannte. Jahrhunderte war es her.

Und die Krönung war, dass es sich verdammt gut angefühlt hatte.

Tegan ballte und dehnte die Hände in der kalten, winterlichen Abendluft. Er konnte immer noch den Schmerz spüren, den er den Rogues verursacht hatte - den wunderbaren Schrecken, der jedem Einzelnen der Rogues ins Herz gefahren war, die er im Crimson-Labor getötet hatte. Er hatte sich an ihrer Todesqual geweidet, als sich das Titan durch ihren Blutstrom fraß und sie von innen heraus zum Kochen brachte.

Während er vor langer Zeit gelernt hatte, seine eigenen Gefühle von sich abzuspalten, hatte er keine Kontrolle über die übersinnliche Gabe, die er besaß. Wie alle Stammesvampire hatte er zusätzlich zu den vampirischen Eigenschaften von der väterlichen Seite auch die individuelle übersinnliche Fähigkeit der Menschenfrau geerbt, die ihn geboren hatte. Für Tegan bedeutete das, dass er nur jemanden zu streifen brauchte - ob Mensch oder Vampir -, und schon wusste er, was der andere empfand. Er musste nur jemanden berühren, und schon absorbierte er dessen Gefühle. Von dieser Verbindung nährte er sich wie ein Blutegel am Blut seines Wirtes.

Seine Gabe war ihm das ganze Leben sowohl Waffe als auch Fluch gewesen; jetzt war sie sein privates Laster, dem er so selten frönte wie irgend möglich. Aber wenn er es tat, dann mit absichtsvoller, sadistischer Freude. Es war besser, Genuss aus dem Schmerz und der Angst von anderen zu ziehen, als zuzulassen, dass seine eigenen Gefühle in ihm aufstiegen und ihn beherrschten, so wie sie es früher immer getan hatten.

Aber heute Abend hatte er den Funken einer inneren Befriedigung gespürt, als er den Rogues und den paar Lakaien den Tod brachte, die offenbar rekrutiert worden waren, um die Produktion von Crimson fortzusetzen. Als keiner von ihnen mehr am Leben war, der Betonboden des alten Lagerhauses rot von Blut und glitschig von dem stinkenden Matsch der Rogues, die er mit Klingen und Kugeln ins Jenseits befördert hatte, hatte Tegan noch mehr gebraucht.

Aus Gründen, über die er selbst jetzt nicht weiter nachdenken wollte, hatte er inmitten der Überreste seines Gemetzels gestanden und nichts weniger gewollt als die totale Zerstörung.

Feuer, Asche und glimmende, rauchende Trümmer. Er hatte das Crimson-Labor dem Erdboden gleichmachen wollen, sodass von ihm nur noch ein schwarzer Aschefleck auf der leeren Parzelle übrig bleiben würde.

Ob er es nun zugeben wollte oder nicht, wusste er doch, dass diese Zerstörungswut etwas mit Elise zu tun hatte. Ihr Gesicht war es gewesen, das er vor sich gesehen hatte, als er das Gebäude in Brand setzte. Der Gedanke an ihren Kummer war es gewesen, der ihn dazu gebracht hatte, den Tod jedes einzelnen Rogue besonders zu genießen.

Tegan rammte die Fäuste in die Manteltaschen, stemmte sich gegen den Wind und nahm eine Abkürzung über eine Hintergasse in South End. Wohin er ging, wusste er nicht genau, obwohl er das eigentlich hätte wissen sollen. Denn er erkannte Elises erbärmliches Viertel, noch bevor er in die Straße einbog, die direkt auf ihren Block zuführte.

Immer noch konnte Tegan nicht begreifen, warum sie in solch armseligen Umständen hauste. Als Witwe eines hochrangigen Regierungsbeamten des Vampirvolkes musste Elise doch mehr als nur finanziell abgesichert sein. Sie hätte sich die exklusivsten Vampirreservate aussuchen können, ohne dass es ihr an etwas gemangelt hätte, unabhängig davon, ob sie sich einen neuen Gefährten erwählte oder nicht. Dass sie sich stattdessen dafür entschieden hatte, ihr altes Leben aufzugeben, um unter menschlichem Abschaum zu leben, überraschte ihn. Als er sie vor etwa vier Monaten kennengelernt hatte, war sie ihm so behütet und zerbrechlich vorgekommen. Sie heute Abend so zu sehen, bespritzt mit Lakaienblut und bewaffnet wie ein Stammeskrieger, hatte ihm einen Schock versetzt.

Aber ungeachtet ihrer Todesverachtung und ihrer Entschlossenheit war Tegan nicht entgangen, dass Elise erschöpft war. Sie war müde und ausgelaugt bis auf die Knochen gewesen, auf eine Art, die tiefer zu gehen schien als die normale körperliche Müdigkeit nach einer größeren Anstrengung. Und das war der eigentliche Grund dafür, dass er jetzt schon wieder vor ihrer Wohnung stand.

Er wollte nicht zur Haustür hinein. Es war spät, wahrscheinlich schlief sie schon. Und solange es draußen dunkel war, war seine erste Priorität der Orden.

Eigentlich hätte er einfach weitergehen sollen. Aber nun schlüpfte Tegan zwischen Elises Mietshaus und dem Nachbargebäude zur Rückseite des Hauses hindurch. Von außen waren die Fenster ihrer Erdgeschosswohnung pechschwarz, aber die akustischen Dämmplatten aus Schaumstoff ließen vermutlich auch gar kein Licht durch. Trotz der Schallisolierung konnte Tegan die tiefen Bässe ihrer Stereoanlage hören, und den Fernseher, der mit ihr um die Wette plärrte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein schneefeuchtes Haar, dann wirbelte er herum und betrat mit drei langen Schritten den schmalen Hinterhof ihres Gebäudes.

Vergiss sie einfach und geh weiter.

Klar, das sollte er tun. Sich diese wunderschöne Frau mit dem gebrochenen Herzen und den offensichtlichen Selbstmordabsichten aus dem Kopf schlagen und einfach weitergehen.

Bloß …

Er schlich sich näher an das Gebäude heran und starrte finster auf die verbarrikadierten Fenster. Alles, was er hören konnte, war Musik und der Lärm des Fernsehers, aber genau das versetzte seinen Kriegerinstinkt in Alarmbereitschaft.

Das, und der leise Blutgeruch, der aus der Wohnung kam.

Elises Blut. Seine Nase registrierte eine subtile Süße von Heidekraut und Rosen, die nur der Stammesgefährtin in der Wohnung gehören konnte. Sie blutete - dem Geruch nach nicht sehr stark, aber durch Ziegel, Glas und fünf Zentimeter Schaumstoff hindurch war das unmöglich zu sagen.

Mit seinen mentalen Kräften öffnete Tegan die Fensterverriegelung - schon das zweite Mal, dass er heute Abend in ihre Wohnung einbrach - und hob die schwere Schaumstoffplatte von außen an. Ein Fliegengitter gab es nicht, somit war es nur eine Frage von Sekunden, die Dämmung zur Seite zu schieben und hineinzuspähen.

Im Zimmer waren die Lichter aus, aber sein Sehvermögen war im Dunklen sowieso am schärfsten. Elise war da, sie lag auf dem Futon zusammengerollt wie ein Embryo und trug immer noch ihren weißen Frotteebademantel, den sie vor einigen Stunden nach dem Duschen angezogen hatte. Sie hatte die Arme wie einen schützenden Käfig um den Kopf geschlungen, ihr kurzer blonder Schopf war vom Schlaf völlig verstrubbelt und durcheinander.

Sie rührte sich nicht einmal, als sich Tegan über die Fensterbank ins Zimmer schwang, aber er bewegte sich völlig geräuschlos und der Lärm in ihrer Wohnung war ohrenbetäubend. Mit einem gedanklichen Befehl stellte Tegan Stereoanlage und Fernseher stumm - und da schoss sie plötzlich vom Bett auf, noch nicht vollständig wach, aber sofort in einem Zustand desorientierter Panik.

„Es ist okay, Elise. Alles in Ordnung.“

Sie schien ihn gar nicht zu hören. Ihre lavendelfarbenen Augen waren weit aufgerissen, irrten ziellos umher, und das nicht nur, weil es in der Wohnung stockdunkel war. Sie stöhnte, als hätte sie Schmerzen. Ungelenk rollte sie sich vom Futon herunter, ihre Hände suchten hektisch nach der Fernbedienung, die neben ihr auf dem Boden lag. Sie packte das Gerät und begann, panisch die Knöpfe zu drücken. „Los, geh an, verdammt, geh doch an!“