„Elise.“ Tegan ging zu ihr hinüber und kniete sich neben ihr auf den Boden. Jetzt roch er mehr Blut an ihr, und als er ihr Kinn mit seiner Hand anhob, sah er, dass sie Nasenbluten hatte.
Scharlachrote Tröpfchen beschmutzten den hellen weißen Kragen ihres Morgenmantels, einige frisch, einige von einem früheren Anfall. „Herr im Himmel …“
„Geh doch endlich an!“, heulte sie auf. Dann sah sie zum Fenster hinüber und bemerkte, dass es offen stand, und die lose Schaumstoffplatte, die nur noch an einer Ecke hing. „Oh Gott.
Wer hat die Platte abgemacht? Wer macht denn so etwas?!“
Mühsam kam sie auf die Füße und eilte zum Fenster, um das Leck zu reparieren, knallte das Fenster zu und drehte den Riegel um. Ihre Hände glitten fahrig über den Schaumstoff, als sie versuchte, ihn wieder in seinen Platz über der Fensterscheibe hineinzuzwängen.
„Elise.“
Keine Antwort. Die Angstwellen, die der zierliche Körper unter dem weißen Frotteebademantel abstrahlte, wurden nur noch intensiver. Mit einem stöhnenden Klagelaut griff sich Elise an die Schläfen und sackte neben dem Fenster langsam zu Boden, als hätten ihre Beine unter ihr nachgegeben. Auf den Knien, zusammengekrümmt, wiegte sie sich vor und zurück.
„Mach, dass es aufhört“, flüsterte sie gebrochen. „Bitte …mach einfach, dass es … aufhört.“
Tegan näherte sich ihr mit Vorsicht, er wollte sie nicht noch mehr beunruhigen. Mit einem Fluch beugte er sich zu ihr hinunter und legte ihr behutsam die Hand auf den zierlichen Rücken, die Finger weit gespreizt, alle Sinne geöffnet, um Verbindung mit ihren Gefühlen aufzunehmen. Elises Schmerz schoss in ihn hinein wie ein mächtiger elektrischer Stromstoß.
Er spürte die weiß glühende Qual ihrer Migräne, fühlte das harte Pochen ihres Herzschlags in den Ohren, als wäre es sein eigener. Er schmeckte Magensäure auf der Zunge, seine Zähne schmerzten von der Gewalt, mit der sie ihre Zähne zusammenbiss, um die Qual zu bekämpfen, die sie so fest gepackt hatte.
Und er hörte die Stimmen.
Üble, zersetzende, bösartige Stimmen in der Luft, die sie umgab, Stimmen, die niemand hören konnte außer der medial so sensiblen Stammesgefährtin, die zusammengekrümmt vor ihm auf dem Boden kauerte.
In seinem Kopf, durch die Verbindung, die er mit Elise hielt, registrierte Tegan die wüste Streiterei eines Paares am anderen Ende des Ganges. Gegenüber wohnte ein Mann, den es nach der eigenen Tochter gelüstete. In der Wohnung über Elise jagte sich eine Drogensüchtige gerade eine Monatsrate Kindergeld in die Vene, während ihr Baby, gänzlich unbeachtet, im anderen Zimmer vor Hunger schrie.
Jeder negative Gedanke, jede zerstörerische menschliche Erfahrung in einem Umkreis, den Tegan nur vermuten konnte, schien sich direkt in Elises Kopf zu bohren, um an ihr zu hacken, zu rupfen und zu zerren wie Geier an einem Stück Aas.
Es war die Hölle auf Erden, und Elise durchlebte sie jeden einzelnen Moment, in dem sie bei Bewusstsein war. Vielleicht sogar, wenn sie schlief. Jetzt verstand er die Schalldämmung und den Lärm in ihrer Wohnung. Sie hatte versucht, den äußeren Ansturm mit anderem Lärm abzublocken - Stereoanlage, Fernseher, und selbst der MP3-Player, der in einem Kabelgewirr auf dem Küchenblock lag.
Wenn sie wirklich dachte, dass sie in dieser Menschenwelt so zurechtkommen konnte, machte sie sich etwas vor. Ganz zu schweigen von dem Wahnsinn ihres Vorhabens, sich an den Rogues und deren Lakaien zu rächen.
„Bitte“, murmelte sie, ihre leise Stimme vibrierte in seiner offenen Handfläche. „Es muss jetzt aufhören.“
Tegan brach die Verbindung ab und stieß durch die gebleckten Zähne einen Fluch aus.
Es ging nicht. Er konnte sie nicht so liegen lassen. Er sollte sie den Dunklen Häfen aushändigen. Vielleicht würde er das auch tun. Aber was sie jetzt brauchte, war Linderung ihrer Schmerzen. Nicht einmal er war kaltblütig genug, um sich untätig zurückzulehnen und sie leiden zu sehen.
„Es ist okay“, sagte er. „Entspann dich, Elise. Alles ist gut.“
Er hob sie in die Arme und trug sie zum Futon zurück. Sie war so leicht, zu leicht, dachte er. Elise war eine zierliche Frau, aber sie fühlte sich an seiner Brust so leicht an wie ein Kind.
Wann hatte sie zuletzt etwas gegessen? So nah, wie er sie hielt, konnte Tegan nicht umhin, den scharfen Winkel ihrer Wangenknochen zu bemerken, die Zerbrechlichkeit ihres Unterkiefers.
Sie brauchte Blut. Eine ordentliche Dosis roter Zellen eines Stammesvampirs würde ihr Kraft geben und die Schmerzen lindern, die ihre übersinnlichen Wahrnehmungen in ihr auslösten, doch es lag Tegan fern, sich dafür freiwillig zu melden. Elise war eine Stammesgefährtin, eine der seltenen Menschenfrauen, die mit den Mitgliedern des Stammes genetisch kompatibel waren. Sie mit seinem Blut zu nähren, würde sie in vieler Hinsicht revitalisieren, aber sein Blut in ihrem Körper würde zugleich eine unauflösliche Verbindung zwischen ihnen schaffen. Einen unwiderruflichen Bund, der für Liebespaare reserviert war, den heiligsten Schwur des Stammes. Nur der Tod konnte eine solche Verbindung lösen. Daher nahmen die wenigsten Stammesvampire diese Sache leicht oder würden gar eine solche Verpflichtung aus Mitleid eingehen.
Elise war Witwe, und die Jahre, die sie offensichtlich ohne das Blut eines Gefährten zugebracht hatte - ganz zu schweigen von dem Schaden, den sie sich jeden Tag zufügte, indem sie unter Menschen lebte -, begannen, sich bei ihr bemerkbar zu machen. Behutsam ließ Tegan sie auf die sperrige Futonmatratze hinuntergleiten.
Vorsichtig streckte er ihre schmalen Beine aus und arrangierte sie in einer, wie er hoffte, bequemen Schlafposition. Ihr Frotteebademantel klaffte vom Oberschenkel zum Brustbein, der Gürtel um ihre Hüfte hatte sich gelöst und hing lose herunter.
Er musste sich wirklich anstrengen, seine Enden unter ihr hervorzuziehen und gleichzeitig zu versuchen, den Streifen cremig weißer Haut zu ignorieren, der sich dabei seinen Blicken darbot.
Es war unmöglich, so zu tun, als bemerkte er die weiblichen Rundungen ihrer Hüfte oder die sanften Hügel ihrer kleinen, perfekten Brüste nicht. Aber es war das plötzliche Aufblitzen eines hinreißenden Oberschenkels, der Tegan vollends den Atem nahm.
Dort, auf der Innenseite ihres rechten Beins, war das Zeichen, das alle Stammesgefährtinnen irgendwo auf dem Körper trugen - ein winziges Muttermal in Form einer Träne, die über der Sichel eines zunehmenden Mondes schwebte. Elise trug ihres an der verlockendsten Stelle ihres Oberschenkels, knapp unter dem flaumigen Dreieck ihres Geschlechts.
„Oh, Scheiße.“ Tegan zuckte zurück, sofort schoss ihm Speichel in den Mund vom plötzlichen Drang, diese süße Stelle zu schmecken.
Pfoten weg, Mann, sagte er sich rau. Das ist ein paar Nummern zu groß für dich.
Jetzt bewegte er sich schnell, keuchend zischte sein Atem an den Spitzen seiner halb ausgefahrenen Fangzähne entlang, als er den Morgenmantel um ihren nackten Körper herum feststeckte.
Wieder hatte sie Nasenbluten von der Migräne. Das helle, purpurrote Rinnsal war auf der weichen, weißen Haut ihrer Wange verschmiert. Er tupfte das Blut mit dem Saum seines schwarzen T-Shirts ab und versuchte, den süßen Duft zu ignorieren, der all seine Vampirinstinkte wachrief. Ihr flatternder Puls dröhnte ihm wie Trommelschlag in den Ohren, das schnelle kleine Pochen ihrer Halsschlagader zog seinen Blick auf die graziöse Linie ihres Nackens.
Verdammt, dachte er und musste all seine mentalen Kräfte bemühen, um wegzusehen. Sein Appetit war erwacht, einfach nur, indem er neben ihr stand. Jetzt war er hungrig, sein Hunger tobend und wild, obwohl sein letzter Jagdzug noch nicht lange her war. Nicht, dass die stinkenden, pflasterlahmen Menschen, von denen er seine Nahrung bezog, sich mit der zarten Schönheit vergleichen ließen, die hier vor ihm ausgebreitet lag.