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Als sie endlich verstummte, stieß Dante einen trockenen Fluch aus. „Du bist vielleicht einen Tick zu exzessiv, Kumpel, aber ich schätze, der Blutsauger hat dich verstanden.“

Der grimmige Kerl auf dem Beifahrersitz gab ihm keine launige Antwort, man hörte nur das kalte, metallische Klicken und Scharren, als er ein frisches Magazin einschob.

„Alles klar?“, fragte Tegan neben Elise, um ihre Aufmerksamkeit von der Gewaltorgie auf der Straße abzulenken.

Sie nickte. Ihr Keuchen war zu heftig, um reden zu können, immer noch raste ihr Herz vor Angst. Zu sehr war sie sich Tegans Körper bewusst, der da neben ihr saß. Von seiner Hitze fühlte sie sich seltsam getröstet. Sein muskulöser Oberschenkel presste sich gegen ihren, sein Arm ruhte lässig hinter ihrem Kopf auf der Rücklehne. Elise wusste, dass der Anstand es erforderte, Distanz zwischen ihn und sich zu bringen, aber sie war viel zu erschöpft, um sich zu rühren.

Als der Geländewagen in die Nacht raste, begann wieder all die menschliche Verkommenheit der Stadt in ihren Kopf zusickern, ihre Gabe spaltete ihr den Schädel.

„Komm her“, murmelte Tegan und legte ihr sacht die Hand auf die Stirn. Seine Berührung versetzte sie in Trance und linderte ihre Kopfschmerzen, noch bevor sie wirklich beginnen konnten. Seine Hände fühlten sich sehr sanft an, obwohl seine Miene kühl und unbewegt war. „Besser so?“

Sie konnte nicht umhin, erleichtert aufzuseufzen. „Ja, viel besser.“

Er ließ seine Hand noch einen Augenblick liegen, dann zog er sie weg. Als er das tat, fühlte Elise den Blick des Mannes auf dem Beifahrersitz. Als sie aufsah, begegnete sie seinem abschätzenden Blick. Die blauen Augen unter den hellen Brauen und der schwarzen Strickmütze musterten sie intensiv, aber nicht gerade freundlich.

Du lieber Himmel.

„Sterling“, flüsterte sie verblüfft.

Er sagte nichts. Die Stille schien sich unendlich auszudehnen.

Seit vier Monaten hatte sie ihn nicht mehr gesehen - nicht seit Camden in jener schrecklichen Nacht direkt vor ihrem Haus gestorben war. Damals war Sterling allein davongegangen, und das war das Letzte, was man in den Dunklen Häfen von ihm gehört hatte. Elise wusste, dass er sich Vorwürfe machte, Camdens Leben ausgelöscht zu haben - auch sie hatte ihm deswegen Vorwürfe gemacht. Aber sie wusste auch, dass sie ihm damit Unrecht tat, und ihn jetzt so unerwartet zu sehen, zog ihr das Herz zusammen. Sie wollte ihm sagen, wie leid es ihr tat … wie leid ihr alles tat.

Aber diese Augen, die sie einst voll edlem Mitgefühl und sogar Zuneigung angesehen hatten, wandten sich nun mit einem langsamen, abweisenden Blinzeln wieder ab. Sterling Chase war nicht länger ihr Schwager. Er war nun ein Krieger, und wenn sie hoffte, dass er ihr Verbündeter geblieben war - immerhin war er ihr letzter lebender Verwandter -, dann schwand diese Hoffnung dahin, als der Geländewagen aus der Innenstadt brauste, auf dem Weg zum Hauptquartier des Ordens.

„Ist Lucan immer noch oben?“, fragte Tegan, als Gideon ihn und die anderen bei ihrer Ankunft im Hauptquartier begrüßte.

„Er ist vor etwa zwanzig Minuten von seiner Patrouille zurückgekommen. Wollte lieber noch dableiben, nachdem du angerufen hattest.“

„Gut. Ich muss ihn sehen. Ist er im Techniklabor?“ Gideon schüttelte den Kopf. „Er ist bei Gabrielle in seinem Quartier.

Was zum Teufel ist da los, T?“

„Sieh zu, dass sie medizinisch versorgt wird, sie ist verletzt“, sagte Tegan statt einer Antwort und wies auf Elises blutigen Arm. Und schon war er mit dem Buch, das Elise abgefangen hatte, den Gang hinunter zu Lucans Privatwohnung im Hauptquartier unterwegs.

Er fand den Gen-Eins-Anführer des Ordens im Lieblingsraum seiner Gefährtin - der Bibliothek, die von der Decke bis zum Boden von Bücherregalen gesäumt war. Dort hing auch ein handgestickter Gobelin, auf dem Lucan persönlich dargestellt war: Er saß unter einem wolkenverhangenen Halbmond in einer Ritterrüstung auf einem steigenden mittelalterlichen Schlachtross. Im Hintergrund war eine Burg auf einem Berg zu sehen, die in Flammen stand. Rauch stieg von der Brüstung empor, die Burg wurde offenbar belagert - Lucan hatte eine Kriegserklärung ausgesprochen.

Tegan erinnerte sich an die Nacht, die diese kunstvollen Nadelstiche eingefangen hatten. Er erinnerte sich an all das Gemetzel, das ihr vorangegangen war und das auf sie folgte. Er war mit Lucan dort gewesen, als inmitten von Blut und Wahnsinn der Orden entstand - sie beide und sechs andere hatten sich mit dem Schwur zusammengeschlossen, für die Zukunft ihrer Rasse, des Mitternachtsvolkes, zu kämpfen.

Gott, wie lange das schon her war, ein ganzes Leben. Viele Leben.

Der Orden hatte bis zu diesem Moment eine Menge Tod gesehen, in den eigenen Reihen und außerhalb. Die meisten der ursprünglichen Mitglieder waren über die Zeiten und in den vielen Schlachten verloren gegangen. Von dem ursprünglichen Kader aus acht Kriegern hatten nur Tegan, Lucan und Lucans älterer Bruder Marek überlebt. Und nun war Marek zu ihrem gefährlichsten Gegner geworden, war vor Kurzem wieder aus der Versenkung aufgetaucht und hatte sich zum Anführer der Rogues ernannt.

Als Tegan in der offenen Tür zur Bibliothek stehen blieb, sah Lucan von einer Auswahl Farbfotos auf, die Gabrielle vor ihm auf dem niedrigen Couchtisch in der Mitte des Raumes ausgebreitet hatte. Sie besaß eine Gabe, die ihren künstlerischen Schönheitssinn noch übertraf: Gabrielles Kameralinse wurde geradezu magisch von Vampirbehausungen angezogen, sowohl den Dunklen Häfen als auch Rogue-Nestern. Das war einer der Gründe, warum sie und Lucan sich im letzten Sommer kennengelernt hatten. Mittlerweile war es für die Stammesgefährtin nicht ungewöhnlich, von gelegentlichen Tagesausflügen in die Stadt und ins Umland mit Fotos zurückzukommen, die den Ordenskriegern bei ihren nächtlichen Expeditionen an die Oberfläche, um Rogues aufzuspüren, äußerst nützlich waren.

Aber diese spezielle Kollektion war anders.

Selbst aus der Entfernung wurde Tegans Blick von lebendigen, sonnenerfüllten Aufnahmen des winterlichen Herrenhauses mit seinen Gärten angezogen. Auf den Ästen und Zweigen glitzerte das Eis wie Diamanten, und auf einer der Aufnahmen war ein Rotkardinal in Nahaufnahme zu sehen, der Farbklecks wirkte fast schockierend gegen den frischen, weißen Schnee. Einige der Fotos hatte sie in der Innenstadt aufgenommen, manche zeigten Kinder in einem der Parks der Umgebung, wie sie eingemummt in bunte Schneeanzüge riesige Schneebälle für eine Familie von Schneemännern rollten, die halb fertig in der Nähe stand.

All dies waren Dinge, die Stammesvampire nicht oft zu sehen bekamen, und für die Krieger galt das in besonderem Maße.

Lucans Gefährtin hatte die Fotos ihm zuliebe gemacht, um ihm eine Freude zu bereiten. Sie brachte ihm Bilder von einer Welt, die in helles Tageslicht getaucht war und zu der er keinen Zugang hatte.

Mit einem innerlichen Achselzucken sah Tegan von den Bildern auf, es kam ihm nicht richtig vor, an dieser Freude teilzuhaben. Sie gehörte ihm nicht, und er war weiß Gott nicht hergekommen, weil er mit ihnen auf Familienglück machen wollte.

„Sieht dir nicht ähnlich, Verstärkung anzufordern, Tegan“, meinte Lucan gedehnt. In den grauen Augen des legendären Kriegers war der Glanz eines Lächelns zu sehen, als er Tegan über den Raum hinweg ansah, der aber schlagartig Ernüchterung wich. „Haben wir mal wieder mit neuem Ärger zu rechnen?“

„Könnte sein.“

Der Gen-Eins-Anführer des Ordens nickte ernst. Schon ihr Blickwechsel genügte vollkommen, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass es mit dieser Nacht von jetzt an bergab gehen würde.

Und wie, dachte Tegan. Er hatte das seltsame Tagebuch unter dem Arm, aber der alte Verhaltenskodex des Ordens ließ ihn zögern. Normalerweise besprachen die Krieger beunruhigende Angelegenheiten des Ordens nicht vor Frauen. Aber es entging ihm nicht, dass Lucan, anstatt sich zu erheben und den Raum zu verlassen oder Gabrielle darum zu bitten, sie allein zu lassen, die Hand ausstreckte und Gabrielles Hand nahm. Er nickte ihr leicht zu, als sie sich wieder neben ihm in den Sessel setzte. Die Geste kündete von Respekt und Solidarität.