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Es war eine eindeutige Stellungnahme: Sie waren eine Einheit, und während Lucan durchs Feuer gehen würde, um sie zu beschützen, hatte der ehrwürdige Krieger keine Geheimnisse vor ihr. Zweifellos würde sie sich auch gar nichts anderes gefallen lassen.

So war es mit den beiden vom ersten Tag an gewesen, als sie als Lucans Gefährtin im Hauptquartier eingetroffen war. Das Gleiche konnte man auch von Gideon und Savannah sagen, die schon seit über dreißig Jahren zusammen waren und eine ebenso solide Beziehung führten. Dante und Tess waren ebenfalls zwei Hälften eines Ganzen, obwohl sie erst ein paar Monate ein Paar waren.

Stammesgefährtinnen hatten ihre Freiheiten, selbst die, die sich mit einem Krieger des Ordens verbunden hatten, aber im ganzen Vampirvolk gab es keinen einzigen Mann, der gutheißen würde, was Elise in den Monaten getan hatte, die sie an der Oberfläche lebte. Und was sie auch weiterhin tun wollte, selbst wenn es sie umbrachte.

„Sag mir, um was es geht“, sagte Lucan und bedeutete Tegan, ins Zimmer zu kommen. „Gideon sagte, du hast angerufen und ihm mitgeteilt, dass eine Verletzte aus den Dunklen Häfen bei dir war.“

Tegan hob zustimmend eine Augenbraue. „Elise Chase. Und so wie es aussieht, ist sie keine aus den Dunklen Häfen mehr.“

„Sie hat ihr Reservat verlassen?“

„Nach dem Tod ihres Sohnes. Seither lebt sie allein in der Innenstadt.“

„Lieber Himmel. Was ist heute Abend mit ihr passiert?“

Tegan lächelte säuerlich, immer noch konnte er nicht glauben, wie hartnäckig diese Frau war.

„Sie hat ungebetenen Besuch von den Rogues bekommen.

Sie sind auf der Suche nach ihr in ihre Wohnung eingefallen.“

Die Tatsache, dass einer der Bastarde sie erreicht hatte, bevor er es hatte verhindern können, ließ er aus. Der Gedanke daran brannte immer noch in ihm. Wut kochte unter seiner unbeteiligten Fassade, er war nach wie vor wütend auf sich selbst.

Gabrielle runzelte die Stirn. „Was wollen sie denn ausgerechnet von Elise?“

„Das hier.“ Tegan hielt Lucan das Buch hin. Der nahm es ihm aus der Hand und machte ein finsteres Gesicht, als er das verblasste Prägemuster auf dem alten Leder des Einbandes berührte. Dann blätterte er durch einige der angegilbten Seiten.

„Es kam per FedEx, ein Lakai sollte es dort abholen. Jemand hatte es extrem eilig, es in die Finger zu bekommen.“

Lucans Blick war ernst und sorgenvoll. Um wen es sich bei diesem Jemand handelte, konnte er sich zweifellos denken.

„Und die Frau aus den Dunklen Häfen?“

„Sie hat es abgefangen.“

„Verdammt. Was ist mit Mareks menschlichem Postesel?“

„Der Lakai ist tot“, sagte Tegan schlicht. „Marek muss davon Wind bekommen haben und hat seine Hundemeute losgelassen, um sich das Buch zurückzuholen. Sie hatten das Überwachungsvideo des Ladens, und Elise zu finden war für sie ein Kinderspiel.“

„Was ist das, ein Tagebuch?“, fragte Gabrielle und spähte an Lucan vorbei in die aufgeblätterten Seiten.

„Scheint so“, sagte Tegan. „Offenbar gehörte es einer Familie namens Odolf. Hast du von denen schon mal gehört, Lucan?“

Der Vampir schüttelte den dunklen Kopf und blätterte wieder durch das Tagebuch. Bevor Tegan ihn auf das beunruhigende Symbol am Ende des Textes hinweisen konnte, hatte Lucan die Seite schon selbst aufgeschlagen. Sobald sein Blick auf die handgezeichnete Dermaglyphe fiel, stieß er einen Fluch aus.

„Zur Hölle noch mal, ist das etwa, was ich denke, das es ist?“

Tegan nickte grimmig. „Du erkennst das Muster?“

„Dragos“, sagte Lucan. Auf diesem einen Wort schien ein dunkles, unheilvolles Gewicht zu lasten.

„Wer ist Dragos?“, fragte Gabrielle und spähte wieder an Lucan vorbei auf die Glyphe, die auf die Seite gekritzelt war.

„Dragos ist ein sehr alter Stammesname“, erklärte ihr Lucan.

„Er war einer der Gründungsmitglieder des Ordens - ein Vampir der ersten Generation. Wie Tegan und ich selbst wurde Dragos von einer der uralten Kreaturen gezeugt, von der wir Vampire alle abstammen. Dragos hat damals an unserer Seite gekämpft, als der Orden unseren außerirdischen Vätern den Krieg erklärte.“

Gabrielle nickte, sie zeigte keinerlei Überraschung oder Verwirrung. Offenbar hatte Lucan sie schon über die außerirdischen Ursprünge des Vampirvolkes aufgeklärt und ihr auch von dem blutigen Krieg erzählt, der im vierzehnten Jahrhundert menschlicher Zeitrechnung innerhalb des Stammes ausgebrochen war.

Es waren stürmische Zeiten gewesen, voll Verrat und sinnloser Gewalt - die meiste davon verursacht von den langlebigen wilden Kreaturen von einem fernen Planeten, die nachts auf Beutezug gingen, wahllos Nahrung zu sich nahmen und manchmal ganze Dörfer entvölkerten. Die Alten waren ausgehungert und brutal gewesen und unangreifbar in ihrer Macht.

Bevor es den Orden gab, der gegen sie vorging, waren sie eine blutgierige Pest, der die Menschheit hilflos ausgeliefert war. Im Vergleich zu den Alten waren selbst die übelsten Rogues die reinsten Waisenknaben.

Gabrielle sah von Lucan zu Tegan. „Was ist mit Dragos geschehen?“

„Er fiel in einer Schlacht gegen die Alten, ein paar Jahre nach Kriegsbeginn“, steuerte Tegan bei.

„Könnt ihr euch da sicher sein?“, fragte sie. „Bis letzten Sommer dachten noch alle, dass auch Marek tot wäre …“

Lucan nickte entschieden. „Dragos ist tot, Liebes. Ich habe seine Leiche mit eigenen Augen gesehen. Keiner von uns kann wieder auferstehen, wenn ihm der Kopf fehlt.“

Auch Tegan erinnerte sich an jene Nacht. Es war damals zu großen Verlusten gekommen. Das erste Opfer war Dragos’

Gefährtin, die sich das Leben genommen hatte, nachdem man ihr die Nachricht seines Todes überbracht hatte. Kassia war eine gute, liebevolle Frau gewesen, sie und Sorcha waren wie Schwestern. Nur kurze Zeit nach Kassias Tod hatte Tegan dann auch Sorcha verloren. Es waren dunkle Zeiten, an die Tegan nicht zurückdenken wollte, selbst jetzt nicht. Er hatte gelernt, den Schmerz zu unterdrücken, aber immer noch hatte er so viele Erinnerungen …

Tegan räusperte sich laut. „Was uns zu dem Namen Odolf zurückbringt. Wer ist das? Und was kann er Marek bedeuten?“

„Vielleicht kann Gideon etwas im Computer finden“, schlug Lucan vor, gab Tegan das Buch zurück und stand auf. „Unsere Datenbank ist nicht vollständig, aber sie ist alles, was wir haben.“

„Geht ihr zwei mal suchen“, warf Gabrielle ein, als sie zusammen bis zum Korridor gegangen waren. „Ich werde nach Elise schauen. Sie muss heute Nacht eine Menge durchgemacht haben. Vielleicht könnte sie Gesellschaft und etwas zu essen gebrauchen.“

Lucans Augen verdunkelten sich, als er seine Frau ansah. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, dann drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen. Als sie sich aus seiner Umarmung löste, waren ihre Wangen leicht gerötet.

Tegan sah zur Seite und machte sich auf den Weg zu Gideons Techniklabor. Sofort war Lucan hinter ihm, und Gabrielle ging in die entgegengesetzte Richtung davon, um Elise zu suchen.

Es war unmöglich, die Aura der Ruhe nicht zu bemerken, die von Lucan ausging, wenn er mit seiner Gefährtin zusammen war. Vor nicht allzu langer Zeit war auch Lucan wie trockener Zunder gewesen, der nur darauf wartete, dass jemand mit einer offenen Flamme daherkam. Zwar hatte er dabei immer den Anschein eiserner Selbstkontrolle erweckt, aber Tegan kannte ihn länger als die übrigen Krieger im Hauptquartier, und er hatte gewusst, dass Lucan nur wenige Schritte vor einer totalen Katastrophe gestanden hatte.

Blutgier war der fatale Schwachpunkt aller Vampire - der kritische Auslöser, der selbst den ausgeglichensten Vampir in einen Abgrund der Sucht stoßen konnte, aus dem er nie wieder herausfand. Alle Vampire mussten als Nahrung Blut zu sich nehmen, um zu überleben, aber einige gingen dabei zu weit. Sie mutierten zu Rogues, und Tegan war entsetzt gewesen, zu sehen, dass Lucan schon auf Messers Schneide stand, mühevoll über dem Abgrund balancierte. Er war schon fast verloren.