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Bis Gabrielle kam.

Sie hatte ihm Halt gegeben, gab Lucan durch ihre Blutsverbindung, was er brauchte, und vertraute ihm, nicht wieder zu fallen. Sie hatte den Krieger gerettet, und es war offensichtlich, dass sie das immer noch tat, jeden Moment, den sie miteinander verbrachten.

„Du hast eine gute Gefährtin“, sagte Tegan, als Lucan ihn einholte und neben ihm den Gang hinunterging.

Er hatte es als Lob gemeint, aber es kam zu hart heraus, fast schon wie eine Anklage. Lucan schien von seinem rauen Ton nicht überrascht, aber er sprang auch nicht auf den Köder an, wie er es sonst vielleicht getan hätte. „Manchmal denke ich an dich und Sorcha, wenn ich Gabrielle ansehe und mir vorstelle, wie es wäre, ohne sie leben zu müssen. Das möchte ich lieber nicht erleben. Wie du das nur geschafft hast …“

„Es geht vorbei“, murmelte Tegan, mit einer Stimme, die selbst in seinen eigenen Ohren zu gepresst klang. „Und der einzige Geist, über den ich jetzt reden werde, ist Dragos.“

Lucan ließ das Thema fallen, als die beiden Vampire das Techniklabor betraten. Wie üblich war Gideon auf seinem Posten hinter der langen Konsole und tippte etwas in die Tastatur eines seiner zahlreichen Computerterminals. „Was bringt ihr mir?“, fragte er sofort, als sie eintraten. Seine Augen und Finger hielten keinen Moment lang inne.

Tegan legte ihm den Frachtschein und das Tagebuch auf den Tisch. „Wir müssten wissen, wer dieses Päckchen abgeschickt hat. Aber zuerst lass eine Suche in unserer internationalen Stammdatenbank durchlaufen. Der Nachname ist Odolf.“

„Alles klar.“ Der Vampir schnapte sich eine schnurlose Tastatur, ließ sie in seinen Schoß fallen und begann, zu tippen.

„Suchen wir nach Kriminalakten, Geburtsurkunden, Totenscheinen …?“

„Ganz egal, was.“ Tegan sah zu, wie auf dem Bildschirm eine lange Liste von Daten durchzulaufen begann. Sie lief und lief, ohne dass das Programm etwas fand. Doch dann blieb ein Eintrag oben stehen, während das Suchprogramm im unteren Teil des Bildschirms weiter durchratterte. „Du hast einen?“

„Der ist leider schon dahingeschieden“, erwiderte Gideon.

„Ein gewisser Reinhard Odolf, aus dem Dunklen Hafen in München. Mutierte im Mai 1946 zum Rogue. Im Jahr darauf Selbstmord durch selbst herbeigeführte Sonneneinwirkung. Da ist noch einer, ein Alfred Odolf, der Blutgier verfallen im Jahre 1981. Hans Odolf, Blutgier, 1993. Dann ein paar Vermisste …

und hier ist wieder einer für euch: Peter Odolf, Dunkler Hafen Berlin.“

Lucan kam näher, um bessere Sicht auf den Bildschirm zu haben. „Ist der auch tot?“

„Nein, der nicht. Oder noch nicht. Peter Odolf, zu Rehabilitierungszwecken in eine Anstalt aufgenommen. Laut der Akte war dieser Junge die letzten paar Jahre lang Rogue und logiert inzwischen auf Kosten der deutschen Agentur.“

„Ist er bei Bewusstsein?“, fragte Tegan. „Kann er befragt werden? Oder vielmehr, sind seine Antworten verlässlich?“

Gideon schüttelte den Kopf. „Der Datensatz ist unvollständig, was seinen aktuellen Zustand angeht. Alles, was wir wissen, ist, dass er atmet und unter ständiger Überwachung einer Berliner Anstalt steht.“

„Berlin, was?“ Lucan warf Tegan einen fragenden Blick zu.

„Schuldet dir dort nicht noch jemand einen Gefallen?“

Tegan wandte sich vom Bildschirm ab und zog sein Handy heraus. „Ich schätze, der Zeitpunkt ist gekommen, um das rauszufinden.“

11

Elise sah auf die Stelle an ihrem linken Arm hinunter und dann zu Tess, die mit ihren heilenden Händen alle Spuren des blutenden Schnittes zum Verschwinden und das zerrissene Fleisch mit nur einer Berührung zum Heilen gebracht hatte. „Das ist unglaublich. Wie lange hast du diese Gabe schon?“

„Schon mein ganzes Leben lang, schätze ich.“ Tess strich sich eine honigblonde Locke hinters Ohr und zuckte die Schultern.

„Ich habe sie lange gar nicht benutzt. Ich habe mir nur gewünscht, dass sie verschwindet, weißt du? Um endlich … normal sein zu können.“

Elise nickte, sie verstand sie vollkommen. „Aber du hast Glück, Tess. Deine Gabe ist eine der Stärke. Sie bewirkt Gutes.“

Unter den meerblauen Augen der Stammesgefährtin schienen sich dunkle Schatten zu sammeln. „Ja, das tut sie jetzt. Das habe ich in erster Linie Dante zu verdanken. Bevor ich ihn getroffen habe, hatte ich keine Ahnung, warum ich so anders war als andere Frauen. Ich habe meine Gabe als Fluch betrachtet. Und jetzt wünsche ich mir, sie ginge noch tiefer. Es gibt so viel mehr, was ich gerne können würde - zum Beispiel das mit Rio.“

Elise kannte den Krieger, von dem Tess sprach. Sie hatte ihn in einem der anderen Krankenzimmer gesehen, als Gideon sie in die Krankenstation geführt hatte. Als sie an seiner offenen Zimmertür vorbeigingen, hatte Rio von seinem Krankenhausbett aufgesehen, die eine Seite seines Gesichts von alten Brandnarben entstellt, die Muskeln seines nackten Oberkörpers von Splitternarben und verheilten Furchen bedeckt, die auf einige sehr schwerwiegende innere Verletzungen hindeuteten. Seine topasfarbenen Augen hatten stumpf unter der überlangen, dunkelbraunen Mähne hervorgeblickt, die ihm ins Gesicht fiel. Elise hatte ihn nicht anstarren wollen, aber die Qual, die sie in seinem Gesicht gesehen hatte, hatte ihre Aufmerksamkeit gefesselt - mehr noch als der verwüstete Zustand, in dem sich sein Körper befand.

„Gegen alte Wunden und Narben kann ich nichts machen“, sagte Tess. „Und am Schlimmsten sind oft die seelischen Verletzungen. Rio ist ein guter Mann, aber er ist auf eine Weise beschädigt, dass er sich vermutlich nie wieder davon erholen wird, und es gibt keine Gabe einer Stammesgefährtin, die ihm diese Art von Schmerzen nehmen kann.“

„Liebe vielleicht?“, schlug Elise hoffnungsvoll vor.

Tess schüttelte den Kopf. „Die Liebe hat ihn schon einmal verraten. Sie hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist. Ich glaube nicht, dass er jemals wieder einen Menschen so nahe an sich heranlässt. Er lebt nur noch dafür, endlich wieder mit den anderen Kriegern loszuziehen. Dante und ich versuchen, ihn davon zu überzeugen, die Dinge langsam angehen zu lassen, aber wenn man versucht, Rio zurückzuhalten, wird er nur umso ungeduldiger.“

Elise konnte sich mit dem entschlossenen Drang des Kriegers identifizieren, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen, selbst wenn es dabei nur um Rache ging. Sie selbst wurde von einem ähnlichen Drang angetrieben, und der ließ nicht nach, nur weil andere ihr rieten, sich zurückzuhalten.

Im Korridor vor dem Behandlungszimmer war das Geräusch leichtfüßiger Schritte zu hören, dem Gang nach war es eine Frau, unterlegt vom schnellen, rhythmischen Getrippel eines vierfüßigen Begleiters. Savannah und ein lebhafter brauner Terrier erschienen in der Tür. Gideons hübsche Stammesgefährtin schenkte Elise ein warmes Lächeln. „Alles okay mit dir?“

„Alles bestens, wir sind gerade fertig“, sagte Tess, trocknete sich die Hände an einem Papierhandtuch ab und beugte sich hinunter, um den kleinen Hund unter dem Kinn zu kraulen, der von ihr ganz offensichtlich hin und weg war. Wieder und wieder sprang er an ihr hoch und leckte ihr begeistert das Gesicht.

Savannah kam ins Zimmer und fuhr vorsichtig mit dem Finger über Elises verheilten Arm. „So gut wie neu. Ist sie nicht erstaunlich?“

„Ihr alle seid erstaunlich“, antwortete Elise und meinte es auch so. Sie hatte Savannah und Gabrielle erst vor Kurzem kennengelernt, als beide Frauen kurz nach ihrer Ankunft im Hauptquartier heruntergekommen waren, um nach ihr zu sehen. Savannah mit ihrem wunderschönen mokkafarbenen Teint und den samtigen braunen Augen hatte mit ihrer sanften, fürsorglichen Art sofort dafür gesorgt, dass sich Elise zu Hause fühlte. Auch Gabrielle war liebenswürdig, eine rotblonde Schönheit, die viel gereifter schien, als es ihrem Alter entsprach.