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Elise sah sich in dem leeren Raum um. Die weißen, fensterlosen Wände enthielten keinerlei Farbe - keine Kunstwerke oder Fotos, um das Auge zu erfreuen, wie sie es in den anderen Räumen des Hauptquartiers gesehen hatte. Kein Sofa, keine Unterhaltungselektronik oder Computer, keine Bücher. Überhaupt nichts Persönliches.

An der Rückwand befand sich ein großer schwarzer Schrank mit einer schwarzen Holzbank daneben, unter der zwei Paar riesige schwarze Lederstiefel standen, die Spitzen mit militärischer Präzision ausgerichtet. Im angrenzenden Schlafzimmer stand ein großes Bett, aber selbst das schien nicht sonderlich einladend. Nur eisengraue Bettwäsche und eine kohlschwarze Überdecke, die säuberlich gefaltet am Fußende der riesigen Matratze lag. Elise hatte nie Soldatenbaracken gesehen, stellte sich aber vor, dass sie wohl so aussehen mussten … vielleicht waren die nicht ganz so kalt und unpersönlich.

Natürlich wusste sie, wo sie sich befand. Sie hatte genau gewusst, wohin es sie gezogen hatte, als sie durch das Labyrinth von Gängen gelaufen war, nachdem sie das Kontrollzentrum des Ordens, den Schauplatz ihrer Demütigung verlassen hatte.

Sie wusste, was sie jetzt tun würde, aber deshalb klopfte ihr trotzdem das Herz bis zum Hals, als sie hörte, wie sich Tegans schwere Schritte der offenen Tür zu seinem Privatquartier näherten.

Die Schritte seiner langen Beine verlangsamten sich und verklangen ganz, ein kühler Luftzug wehte ins Zimmer und verkündete seine Ankunft. Sein riesenhafter Körper füllte den Türrahmen aus, die muskulösen Arme waren über der Brust verschränkt, seine mächtigen, in Jeans steckenden Schenkel angriffslustig gespannt. Zuerst sagte er nichts, aber es bedurfte keiner Worte, als seine schmalen, smaragdgrünen Augen sie erblickten, scharf wie geschliffene Edelsteine, kalt wie ein Gletscher.

„Tegan …“

„Wenn du eine Entschuldigung willst, bist du umsonst gekommen.“

Elise hielt seinem drohenden Blick stand und zwang sich, auf ihn zuzugehen. „Darum bin ich nicht hier“, sagte sie zu ihm, überrascht, dass ihre Stimme nicht zitterte, so wie ihr Puls jetzt raste. „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass du recht hattest. Ich brauche die Kraft einer Blutsverbindung, aber ich suche keinen Gefährten. Ich brauche ein unkompliziertes Arrangement, mit jemandem, den es nicht kümmert, was ich tue, oder dass ich nicht immer bei ihm bin … also habe ich dich erwählt.“

13

Jede kaltschnäuzige, apathische Erwiderung, die ihm eben noch auf der Zunge gelegen hatte, verschwand mit derselben Geschwindigkeit, mit der ihm das Blut aus dem Hirn wich. Tegan stand in der Tür seiner Privatwohnung, der Schock über das Gehörte hatte ihm völlig die Sprache verschlagen.

Mit so etwas hätte er nie im Leben gerechnet.

Und obwohl sein Verstand ihm riet, Elises Antrag zurückzuweisen - nicht einmal den Gedanken daran zuzulassen, bevor eine weitere Sekunde verstrich -, schien er unfähig, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Denn sofort schob sich ein erotisches Bild vor sein inneres Auge: Elises Lippen, die sich gegen seine Haut pressten, ihre süße, rosa Zunge, die ihn leckte, ihr Mund, der tief aus seiner Ader trank.

Er wollte es, erkannte er ungläubig.

Er wollte es so sehr, dass die Kraft seiner Begierde ihn zum Zittern brachte.

„Lieber Himmel“, murmelte er, und fand endlich seine Stimme wieder. „Du bist ja verrückt. Und ich gehe. Ich bin nur gekommen, um ein paar Sachen zu holen, und dann bin ich weg.“

Als er versuchte, an ihr vorbeizugehen, in der Absicht, sie und ihren wahnwitzigen Vorschlag ohne ein weiteres Wort abzuschmettern, stellte sich Elise ihm einfach in den Weg. Er starrte auf sie herunter, aber sie blinzelte nicht einmal unter seinem tödlichen Blick, der Krieger und Rogues gleichermaßen in die Knie gezwungen hätte.

„Vor was läufst du davon, Tegan?“ Weiche, lavendelfarbene Augen blickten ihn in trotziger Herausforderung an.

„Weißt du, um was du mich da bittest? Wenn du mein Blut nimmst, wird ein Teil von dir an mich gebunden sein, solange ich lebe. Das ist eine unauflösliche Verbindung.“

„Ich weiß sehr wohl, was die Blutsverbindung mit sich bringt. In jeder Hinsicht.“

Ihr plötzliches Erröten ließ durchblicken, dass sie sich auch der sexuellen Natur des Aktes bewusst war. Vampirblut war von höchst aphrodisierender Wirkung. In Frauen ohne das Zeichen der Stammesgefährtinnen löste es oft einen Ansturm wilder Lust aus. Wenn Frauen wie Elise, die fähig waren, dem Stamm Kinder zu gebären, Vampirblut tranken, verfielen sie fast immer in einen wilden Hunger nach Sex, der sofortige Stillung verlangte.

„Ich bin nicht der Typ Mann, an den du gewöhnt bist“, sagte er unfreundlich zu ihr, die einzige Warnung, die ihm jetzt noch einfiel. „Denk nicht, dass ich behutsam mit dir umgehe. Ich hätte keine Gnade mit dir.“

Ihr kleines Lächeln war spöttisch. „Das hätte ich auch nicht von dir erwartet.“

Damit drehte sie sich um, ihr Rücken kerzengerade, und ging in sein Schlafzimmer hinüber, um ihn dort zu erwarten.

Tegan fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er wusste, jetzt hatte er nur noch zwei Sekunden, um sich zu fassen und vor der sicheren Katastrophe davonzulaufen. Nur eine Sekunde länger, um nachzudenken, und schon würde er nicht mehr die Willenskraft haben, um es ihr abzuschlagen.

Im angrenzenden Raum hörte er das weiche Aufprallen, mit dem Elises Schuhe auf dem Teppich aufschlugen, als sie sie auszog. Wo er gedacht hatte, dass er ihr Angst einjagen konnte, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, hatte er ihren Entschluss nur noch gestärkt. Sie hatte ihm den Fehdehandschuh hingeworfen, und er war nicht der Typ Mann, der vor einer Herausforderung zurückschreckte.

Selbst jetzt, als jeder seiner Überlebensinstinkte ihn beschwor, den Schwanz einzuziehen und sich schleunigst davonzumachen vor einer Situation, über der in Neonbuchstaben KATASTROPHE geschrieben stand.

Lange Sekunden verstrichen.

Und immer noch wartete sie.

Tegan knurrte einen dunklen Fluch.

Dann, ohne einen bewussten Entschluss gefasst zu haben, schloss er mit seiner Willenskraft die Tür zu seiner Wohnung und ging ins Schlafzimmer hinüber.

Elises Entschlossenheit geriet etwas ins Wanken, als Tegan hinter ihr in sein Schlafzimmer trat. In seinen langsamen Schritten und dem unbewegten Blick, mit dem er sie anstarrte, lag eine wilde Intensität. Plötzlich hatte sie das Gefühl, vor einem Raubtier zu stehen, das seine Möglichkeiten abwägte, bevor es zum tödlichen Sprung ansetzte.

„Wie willst du …“ Sie ließ die Worte verklingen, unsicher, wie es jetzt weitergehen sollte, nachdem sie ihn tatsächlich so weit hatte. „Wo soll ich …?“

„Auf dem Bett“, kam seine knappe Antwort. Er begann, sich sein schwarzes Hemd über den Kopf zu ziehen, und entblößte seinen mit Glyphen bedeckten Oberkörper. Ihr für gewöhnlich hennaroter Farbton verdunkelte sich, zeigte nicht länger die neutrale Farbe, die auf eine friedliche Stimmung schließen ließ, sondern die Muster erblühten dunkler, begannen, sich zu füllen.

Elise setzte sich auf den äußersten Bettrand und wandte den Blick ab. Sie hörte das Rascheln von Stoff, als Tegan das Hemd zur Seite legte und näher zum Bett trat.

„Du bist eindeutig overdressed“, sagte er; sein warmer Atem kitzelte sie im Nacken.

Seine körperliche Nähe war fast so überwältigend wie seine Worte. Elise warf ihm einen nervösen Blick zu. „Ich soll mich ausziehen? Ich wüsste nicht, warum ich das …“

„Tu es einfach“, sagte er und ließ keinen Raum für Widerspruch. „Wenn ich ein kultivierter Mann aus den Dunklen Häfen wäre und nicht der ungehobelte Krieger, der ich bin, dann würdest du wohl kaum von mir erwarten, dich voll angekleidet zu empfangen.“

Das stimmte allerdings. Der Respekt für den Akt, mit dem die Blutsverbindung zwischen einem Vampir und seiner Stammesgefährtin vollzogen wurde, gebot es, dass beide Partner ohne Heimlichkeiten voreinander, ohne Zwang und Zurückhaltung zusammenkamen. Mit nacktem Körper und der reinen und ehrlichen Absicht, sich für immer aneinander zu binden.