Nicht, dass Tegan etwas darüber verlauten lassen würde.
Sie hatte ihn mit Sicherheit angewidert. Wenn nicht dadurch, dass sie ihn als ihren Blutwirt benutzt hatte, dann doch definitiv durch ihre primitive Reaktion während des Aktes. Jetzt konnte sie den Gedanken daran kaum ertragen, und vermutlich wäre es mit einer Entschuldigung bei Tegan nicht getan, um ihn ihr Benehmen vergessen zu lassen.
Vorausgesetzt, dass er ihr überhaupt eine Chance geben würde, sich bei ihm zu entschuldigen.
In den fast zwanzig Stunden, die er nun schon fort war, schien es, als hätte niemand von ihm gehört. Er hatte nicht gesagt, wohin er gehen wollte, sondern sich nur angezogen; er war in ein paar schwarze Kampfstiefel gefahren und hatte Elise allein in seinem Quartier zurückgelassen, als könnte er nicht ertragen, auch nur eine Sekunde länger in ihrer Nähe zu sein.
Was natürlich verständlich war. Schließlich hatte sie sie beide in eine äußerst peinliche Situation gebracht.
Ein Teil von ihr dachte schon daran, den Gedanken aufzugeben, ihn nach Berlin zu begleiten - um wenigstens den letzten Rest ihres Stolzes zu retten. Aber jetzt war sie schon so weit gegangen, da war es für einen Rückzieher ein bisschen zu spät.
Sie konnte Tegans Blut in sich spüren, das tiefe Summen der Macht, die ihr in den Schläfen und jeder einzelnen Schlagader dröhnte. Die fünf Jahre ohne Stammesblut in ihrem Körper hatten sie stärker in Mitleidenschaft gezogen, als sie hatte zugeben wollen, aber von Tegan zu trinken war einer Offenbarung gleichgekommen. Sie spürte, wie er durch ihre Muskeln, Knochen und Zellen floss und ihr eine Vitalität verlieh, die sie fast nicht mehr für möglich gehalten hatte. Selbst ihre Sinne begannen sich zu schärfen, schon nach einer einzigen Dosis aus der Vene des Gen-Eins-Kriegers.
Und weil sie nun durch sein Blut mit ihm verbunden war, konnte sie den exakten Moment spüren, in dem Tegan das Hauptquartier betrat. Er war hier, sie spürte seine Ankunft, als blinkte irgendwo in einer dunklen Ecke ihres Verstandes ein Licht auf.
Das war die Verbindung zu ihm, die sie jetzt nie mehr brechen konnte - sie spürte ihn bis in die Knochen. Von nun an würde sie immer von ihm angezogen sein, sich seiner auf einer elementaren Ebene bewusst sein, bis zu dem Tag, an dem einer von ihnen sterben würde.
Gott, was hatte sie nur getan?
Elise ging im Wohnzimmer ihres Gästequartiers auf und ab, nervös geworden, weil der Zeitpunkt ihrer Abreise mit Tegan nach Berlin unaufhaltsam näher rückte. Vielleicht sollte sie ins Hauptquartier hinausgehen und ihn suchen, um sicherzustellen, dass er nicht vorhatte, ohne sie abzureisen. Oder sollte sie warten, dass er kam und sie abholte?
Sie seufzte schwer und ging auf die Tür zu.
In dem Moment wurde geklopft.
Es war nicht Tegan, so viel konnte sie spüren. Elise öffnete und sah mit Erstaunen in ein vertrautes Gesicht.
„Oh.“ Sie sah zu Boden, überrascht und voller Schuldbewusstsein. „Hallo Sterling.“
Sie konnte ihn nicht ansehen. Besonders angesichts der Tatsache, dass in seinen Augen ehrliche Besorgnis lag.
„Ich habe gehört, dass du dich nicht wohl fühlst. Savannah sagte, dass du schon den ganzen Tag da drin alleine bist, also wollte ich … mal nach dir schauen und mich davon überzeugen, dass es dir gut geht.“
Elise nickte. „Es geht mir gut. Nur Kopfschmerzen. Um ehrlich zu sein, brauchte ich etwas Zeit für mich allein.“
„Natürlich.“ Sterlings Stimme klang so beherrscht, dass es fast schon wieder unbeholfen wirkte. Er ließ einen langen Augenblick verstreichen, bevor er erneut das Wort ergriff. „Ich kann einfach nicht glauben, was er dir im Labor angetan hat.
Wie er dazu kam, dir all diese schrecklichen Dinge an den Kopf zu werfen …“
„Nein, das muss dir nicht leid tun, Sterling. Es ist nicht nötig.“
Er atmete tief aus, Wut strahlte von ihm ab, wie er da so steif im Türrahmen stand. „Tegan hat sich extrem im Ton vergriffen.
Er hatte kein Recht, so mit dir zu reden. Ich gehe nicht davon aus, dass er das Ehrgefühl besitzt, sich bei dir zu entschuldigen, für das, was er dir angetan hat, also bin ich gekommen, um es an seiner Stelle zu tun.“
„Das musst du nicht“, sagte sie und sah auf, in diese vertrauten, harten, blauen Augen.
„Doch, das muss ich“, beharrte er. „Und nicht nur für Tegans Verhalten, sondern auch für mein eigenes. Ach, verdammt, Elise. Was mit Camden passiert ist, in jener Nacht vor dem Dunklen Hafen … es tut mir so leid. Es tut mir so verdammt leid, alles, was passiert ist. Wenn ich doch nur mit ihm hätte tauschen können … wenn ich an seiner Stelle zum Rogue geworden wäre … wenn doch nur ich es gewesen wäre, der vor dieser Waffe stand, als der Abzug gedrückt wurde …“
„Ich weiß.“ Sie streckte die Hand nach ihrem Schwager aus und drückte sanft seinen muskulösen Unterarm. „Mir tut es auch leid.“
Er sah sie grimmig an, versuchte, ihr Bedauern mit einem steifen Kopfschütteln abzutun.
Aber nun konnte sie den Rest nicht ungesagt lassen.
„Doch. Bitte hör mir zu. Ich habe dir die Schuld an Camdens Tod gegeben, Sterling, und das war falsch von mir. Du hast alles getan, was du konntest, um ihn zu retten. Ich weiß, was es dich gekostet hat. Ich bin diejenige, die dir eine Entschuldigung schuldet. Du hast dich für ihn verantwortlich gefühlt … und auch für mich … und ich habe dir diese ganze Last aufgebürdet, als ich sie mit dir hätte teilen sollen. Es war dir gegenüber nicht fair.“
Zärtlichkeit huschte über seine Züge. „Du warst mir nie eine Last.“
„Nun, Sterling, das ist ja gerade das Problem“, sagte sie, so behutsam sie nur konnte. „Ich kann deine Gefühle nicht erwidern. Es war falsch von mir, dass ich dir das nie klargemacht habe. Ich hätte mich deutlicher ausdrücken müssen.“
Er erstarrte bei ihren Worten.
„Sterling, ich wollte dir nie wehtun. Oder dir den Eindruck vermitteln, dass wir beide jemals …“
„Du hast dich immer vollkommen angemessen verhalten, Elise.“
Sein kurz angebundener, vorsichtiger Ton klang aufgesetzt in ihren Ohren. „Aber trotzdem habe ich dir wehgetan.“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Alle meine Entscheidungen habe ich selbst getroffen, Elise. Du hast nichts getan, worüber du dir Vorwürfe machen müsstest.“
„Sei dir da nicht so sicher“, murmelte sie und dachte an all die Fehler, die sie in der Vergangenheit begangen hatte, und der blasphemische Akt ihrer Blutsverbindung mit Tegan war vermutlich derjenige, den sie am meisten bereuen würde.
Sie fühlte, wie die Präsenz des Kriegers in ihr stärker wurde.
Wo auch immer im Hauptquartier er sich gerade aufhielt, er näherte sich ihr jetzt. Sie konnte ihn in der Wärme spüren, die durch ihre Glieder fuhr, und im Prickeln der feinen Härchen in ihrem Nacken.
„Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, Sterling, wirklich. Aber es ist alles in Ordnung. Es geht mir gut.“
Seine hellbraunen Augenbrauen zogen sich zusammen. „So siehst du aber nicht aus. Du wirkst fiebrig. Du hast Gänsehaut auf den Armen.“
„Es ist nichts.“
Er starrte in ihr Gesicht, das vermutlich gerötet war, sowohl von der Nahrung, die sie kürzlich zu sich genommen hatte, als auch ihrer Beschämung darüber, dass Sterling den Grund für ihr Unbehagen vermutlich nur zu bald selbst herausfinden würde.
Und es dämmerte ihm sofort. Sie sah es daran, wie seine Miene in sich zusammenfiel, und an der sprühenden Wut, die seine Augen mit indigofarbenem Feuer füllte.