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Er musste doch wissen, wie albtraumhaft er sich in diesen behüteten Zivilistenkreisen ausnahm, aber er grinste den wenigen, die es wagten, ihn offen anzustarren, nur höhnisch zu, als er mitten unter sie schritt.

„Schaut euch diesen ungehobelten Gen-Eins-Barbaren an“, gluckste Waldemar zur hämischen Belustigung seiner Agentenfreunde. „Die jüngere Generation ist mit den blutrünstigen Methoden des Ordens vielleicht noch zu beeindrucken - besonders nach diesem Spektakel in Boston letzten Sommer -, aber man braucht doch nur einen Blick auf dieses Exemplar zu werfen, um zu sehen, was die Krieger wirklich sind: unzivilisierte Gangster, die ihren Daseinszweck schon lange überlebt haben.“

Die Gruppe um ihn herum brach in leises Gelächter aus, sie wirkten so selbstgefällig in ihren seidenen Fracks. Die Arroganz, die diese Männer ausstrahlten, umgab sie wie eine saure Dunstwolke.

Elise hasste es, wie die Männer aus den Dunklen Häfen Tegan ansahen. Und in einer kleinen, verschämten Ecke ihres Bewusstseins wusste sie, dass sie selbst genauso gewesen war. In einer Agentenfamilie aufgewachsen, war ihr von Kindesbeinen an eingebläut worden, dass der Orden genauso war, wie dieser Mann ihn eben beschrieben hatte.

Was Tegan anging, musste Elise zugeben, dass sie ihn am unfairsten von allen eingeschätzt hatte.

„Sagen Sie mir doch, Agent Waldemar“, sagte Elise, stellte sich direkt vor den Stammesvampir und starrte in sein überraschtes Gesicht, „wohnen Sie schon lange im Dunklen Hafen von Berlin?“

Die Brust stolzgeschwellt, erwiderte er: „Hundertzweiunddreißig Jahre, meine Liebe. Die meisten davon habe ich, wie ich schon bemerkt habe, im Dienst der Agentur verbracht. Warum fragen Sie?“

„Weil mir scheinen will, dass, während Sie und Ihre Freunde auf schicken Partys herumstehen, einander auf die Schulter klopfen und den Orden als obsolete Einrichtung verdammen, die Krieger jede Nacht auf den Straße sind und ihr Leben riskieren, um ein Volk zu beschützen, das sich die letzten paar Jahrhunderte nicht einmal die Mühe gemacht hat, ihnen für ihre Anstrengungen zu danken.“

Waldemar wurde blass. Aber dann senkten sich seine fedrigen, blonden Augenbrauen gefährlich. „Sie sind die Witwe von Quentin Chase, also werde ich Nachsicht üben und Sie nicht mit den Tatsachen darüber belästigen, wie brutal diese üblen Kerle sein können. Aber ich versichere Ihnen, meine Liebe, dass sie allesamt seelenlose Killer sind. Jeder Einzelne von ihnen.

Und besonders der da“, fügte er in einem verschwörerischen Flüstern hinzu. „Merken Sie sich meine Worte. Der würde Ihnen glatt im Schlaf die Kehle aufschlitzen, wenn ihm danach wäre.“

„Der da“, sagte Elise und wusste, dass Tegan ihnen unaufhaltsam näher kam. Ihre Venen brannten wie elektrische Leitungen, in ihren Schläfen summte es. Aber jetzt war sie wütend und wurde mit jeder Sekunde noch aufgebrachter. „Dieser Krieger, den Sie so ungezwungen beleidigen, ist der Hauptgrund dafür, dass Sie heute Nacht überhaupt hier stehen.“

„Ach, was Sie nicht sagen“, knurrte Waldemar verächtlich, offensichtlich glaubte er ihr kein Wort.

„Ist das historische Gedächtnis in dieser Gegend so kurz, dass Sie die Horde Rogues vergessen haben, die vor zweihundert Jahren auf Ihren Dunklen Hafen niedergefahren ist und viele Ihrer Mitbürger getötet hat? Es war dieser Krieger hier, der es sich zur Aufgabe machte, die Rogues zur Strecke zu bringen.

Ohne jede Hilfe hat er Ihren Dunklen Hafen gerettet, und er wollte nichts dafür haben. Ein wenig Respekt ihm gegenüber wäre durchaus angebracht.“

Keiner der umstehenden Stammesvampire sagte auch nur ein Wort, als sie ihre Standpauke beendet hatte und auf Reaktionen wartete. Aber jetzt sahen sie an ihr vorbei, und Agent Waldemar war der Blasseste von allen. Als die Gruppe langsam zurückwich, um möglichst unauffällig mit der nun plötzlich sehr geschäftig wirkenden Menge zu verschmelzen, drehte sich Elise um und fand sich weniger als zwei Zentimeter von Tegan entfernt. Er starrte auf sie herunter, so wütend, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. „Was zur Hölle denkst du, was du da machst?“

17

Tegan hatte gewusst, dass es ein Fehler war, in diesen Empfang hineinzuplatzen. Er war schon ein paar Hundert Meter zu Fuß vom Herrenhaus entfernt, als ihn plötzlich der Drang überkam, zurückzugehen und all diesen Idioten aus den Dunklen Häfen, die sich für etwas Besseres hielten als ihn, seine Anwesenheit kundzutun.

Oder vielleicht wollte er seine Anwesenheit auch nur der Frau kundtun, die ihm den Kopf verdrehte, seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Aus irgendwelchen masochistischen Anwandlungen heraus wollte er Anspruch auf sie erheben, auch wenn er sich völlig sicher war, dass seine Anwesenheit sie abstoßen würde - so wie alle anderen, die ihn anstarrten, als er in voller Kampfmontur in ihre nette kleine Party hineinplatzte.

Er hätte nie erwartet, dass Elise Partei für ihn ergreifen würde. Als müsste man ihn in Schutz nehmen vor einem Haufen Weicheier in Fracks und Fliegen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich zum letzten Mal gedemütigt gefühlt hatte, aber jetzt tat er es, wie er da allein vor Elise stand und der Rest der Gesellschaft zurückwich.

„Entschuldige mich“, sagte sie, als hätte sie seine Frage überhört. Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie einfach davon.

Tegan stand da und folgte ihr mit den Augen, als sie ihr leeres Weinglas auf dem Tablett eines Bediensteten abstellte und an die gläserne Flügeltür der Fensterwand trat, die auf die Rasenflächen und Gärten an der Hinterfront des Anwesens hinausgingen, mit Blick auf einen See. Als sie allein hinausschlüpfte, knurrte Tegan einen Fluch und ging ihr nach.

Als er sie erreichte, war sie schon auf halber Höhe zum Wasser. Das gefrorene Gras knirschte unter den schmalen Absätzen ihrer Schuhe.

Tegan packte sie am Arm, bis sie stehen blieb. „Erklärst du mir mal, was das eben war?“

Sie zuckte die Schultern. „Mir hat nicht gefallen, was ich gehört habe. Diese selbstgerechten Anzugträger, wie du sie nennst, sind im Unrecht, und das musste ihnen einmal jemand sagen.“

Tegan stieß hart den Atem aus, der in der kalten Winterluft Wolken bildete. „Hör mal gut zu! Ich brauche niemanden, der mir zu Hilfe eilt und mich verteidigt - besonders nicht vor einem Haufen Arschlöchern wie denen da drin. Ich schlage meine eigenen Schlachten. Nächstes Mal verschone mich gefälligst mit deinem Mitgefühl.“

Sie kniff die Augen zusammen, als sie in der Dunkelheit zu ihm aufsah. „Du bist einfach unfähig, von anderen auch nur die kleinste Freundlichkeit anzunehmen, was, Tegan?“

„Ich bin ein Einzelkämpfer. Das ist für mich am besten so.“

Sie lachte ihn aus. Warf ihren hübschen Kopf zurück und lachte ihn tatsächlich einfach aus! „Du bist unglaublich. Mit einer Armee Rogues wirst du ganz alleine fertig, hast aber Todesangst bei dem Gedanken, dass es jemanden geben könnte, dem du wichtig bist. Oder noch schlimmer, dass womöglich du in Versuchung kommst, jemanden an dich heranzulassen.“

„Du weißt gar nichts über mich. Rein gar nichts.“

„Tut das denn irgendwer?“ Sie riss den Arm aus seinem leichten Griff. Ihr Gesicht wirkte starr im Mondlicht, ihre weichen Züge angespannt. „Geh weg, Tegan. Ich bin müde und wollte nur … ich möchte jetzt einfach allein sein.“

Er sah zu, wie sie ihren langen, indigoblauen Rock über die blassen Knöchel hob und weiter auf den dunklen See zuging, der am Ende des weitläufigen Grundstücks glitzerte. Im Schatten eines alten Bootshauses am Ufer blieb sie stehen, die Arme um ihren Leib geschlungen.

Tegan dachte schon daran, ihr den Gefallen zu tun - sich einfach umzudrehen und sie in Ruhe zu lassen. Aber jetzt war er wirklich sauer, und er hatte nicht vor, es Elise durchgehen zu lassen, dass sie ihm eine verbale Ohrfeige verpasste und ihn dann einfach stehen ließ.