Tegans Auflachen klang grausam, auf eine dunkle Art befriedigt. Sofort ließ er sie los, stieß sie praktisch von sich.
„Geh schon“, sagte er, seine Stimme so tief, dass sie sie fast nicht erkannte. „Verschwinde, bevor wir etwas tun, das wir beide bereuen werden.“
Sie hob die Hand an die Seite ihres Halses, wo sie immer noch die Hitze seines Mundes spüren konnte. Jetzt raste ihr Puls so laut, dass sie es mit eigenen Ohren hören konnte. Als sie ihre Finger vom Hals nahm, sah sie Blutflecken an den Fingerspitzen.
Lieber Gott, war er so nahe dran gewesen, sie zu beißen?
Tegans hungriger Blick verfolgte jede ihrer Bewegungen, und er sah wild genug aus, um sie anzuspringen, wenn sie auch nur noch eine Sekunde länger zögerte.
„Worauf wartest du? Ich sagte, verschwinde, verdammt noch mal!“, bellte er. Sein tierhaftes Fauchen versetzte sie schlagartig in Bewegung.
Elise hob hastig ihre Sandalen vom Boden auf und rannte aus dem Bootshaus, so schnell ihre Füße sie trugen.
Tegan ließ sich in einen der nächsten Sessel fallen, als er hörte, wie die Tür des Bootshauses mit einem Knall ins Schloss fiel.
Es schüttelte ihn körperlich vor lauter Begierde nach ihr, all seine Vampirsinne liefen Amok vor Hunger nach dieser Frau.
Himmel, er war nur um Haaresbreite davon entfernt gewesen, seine Fänge in sie zu schlagen.
Durch die unabsichtliche Verletzung ihrer Haut war ihm ein Hauch vom Geschmack ihres Blutes auf die Zunge gekommen.
Das hätte ihm fast den Rest gegeben. Er zitterte von der Süße des Geschmacks nach Heidekraut und Rosen, der seinen Mund immer noch erfüllte. Seine Fangzähne pulsierten, und auch ein anderer Teil seiner Anatomie, beide völlig ausgehungert. Beide verfluchten ihn dafür, dass er Elise hatte gehen lassen.
Das Einzige, was ihn wieder zur Besinnung gebracht hatte, war das plötzliche Aufflackern ihrer Angst gewesen. Durch die Verbindung zu ihren Gefühlen über den Hautkontakt mit ihr hatte er ihre plötzliche Angst gespürt, die stärker war als ihr Begehren - und zwar gerade noch zur rechten Zeit. Sie war zu gefügig, zu willig gewesen, selbst als er sie absichtlich bedrängt hatte, damit sie verstand, wie weit er mit ihr gehen wollte.
Wie weit er immer noch mit ihr gehen wollte.
Klar, direkt in die Hölle, mit ihm voran.
Er packte die ledernen Armlehnen des Clubsessels und grub die Finger in das geschmeidige Leder, um sich davon abzuhalten, aufzuspringen und ihr nachzulaufen. Denn das war es, das er gerade tun wollte. Und zwar so sehr, dass es wehtat.
Der Teil von ihm, dem nichts Menschliches innewohnte, bäumte sich auf, wütend, zurückgehalten zu werden. In seinem Herzen war er ein Raubtier, und nie spürte er das deutlicher als jetzt, in diesem Augenblick, als sich das gelbe Glühen seiner Augen in der Fensterscheibe des Bootshauses spiegelte und seine Fangzähne weit ausgefahren waren, lang und scharf wie Rasiermesser.
Jeder seiner dunklen Instinkte war auf Ortung und Empfang eines einzigen Objekts eingestellt: Elise.
Kaum mehr als ein Hauch von ihrem Geschmack, und schon brannte er vor Verlangen nach mehr. Wie verloren würde er sein, wenn er jemals die Gelegenheit bekam, seinen Mund mit diesem himmlischen Nektar zu füllen, der ihr durch die zarten Venen floss?
Ach, verdammt. Er musste sich zusammenreißen.
Und er musste Nahrung zu sich nehmen.
Nicht so sehr, weil er unbedingt eine Stärkung brauchte, sondern um sich abzulenken. Denn wenn er heute Nacht nicht wenigstens eines der beiden Hungergefühle stillte, die ihre Krallen in ihn geschlagen hatten, dann würde er sich die saftige, verlockende Elise mit Gewalt nehmen, noch bevor die Nacht zu Ende war.
Elise hörte nicht auf zu rennen, bis sie das Herrenhaus umrundet und den Haupteingang gefunden hatte. Sie wusste, dass sie hineingehen sollte. Es war spät, und sie fror. Ihre nackten Füße waren nass und eiskalt, ihr Körper zitterte von der winterlichen Nachtluft. Sie wusste, wie nahe sie und Tegan eben der Katastrophe gekommen waren. Sie sollte ihm dankbar sein, dass er ihr die Gelegenheit gegeben hatte, vor etwas zu fliehen, das sich am Ende nur als Fehler herausstellen konnte, und zwar als einer, der ihr das Herz brechen würde.
Und doch …
Sie stand auf den breiten Marmorstufen, die in die Sicherheit führten, und ihre Hand weigerte sich, nach dem Türknopf zu greifen. Die Angst, die sie noch vor wenigen Augenblicken im Bootshaus verspürt hatte, war einem anderen Gefühl gewichen - das immer noch beunruhigend genug war, aber ihr unmittelbares Angstgefühl von vorhin war fort.
Sie hatte Angst gehabt in diesen kurzen, leidenschaftlichen Minuten mit Tegan. Sie war sich seines Hungers nach ihr nur allzu bewusst gewesen, und es hatte sie überrascht, wie sehr sein Hunger auch sie entflammt hatte. Jetzt, als sie wie ein Feigling vor ihm davongelaufen war, fühlte sie sich … leer.
Elise entfernte sich wieder von dem eleganten Herrenhaus.
Das war nicht, was sie wollte.
Sobald das kalte Gras unter ihren Sohlen knirschte, hob sie den klammen Rock an und rannte um die Ecke des Anwesens zurück. Elise lief Querfeldein über den lang gestreckten Hof und die Gärten, atemlos, als sie das alte Gebäude am Wasser erreichte. Sie stieß die Tür auf und rannte die Treppe zum Dachgeschoss hinauf, bereit, Tegan alles zu geben, was er von ihr nehmen wollte.
Aber das Bootshaus war leer.
Er war schon fort.
Tegan ging zu Fuß in die Stadt zurück, bewegte sich mit der übernatürlichen Geschwindigkeit, die Stammesvampire für menschliche Augen unsichtbar machte. Er war froh über die lange Strecke, die er von Reichens Dunklem Hafen am See gerannt war, froh über die kalte Luft, die ihm half, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, nachdem es mit Elise beinahe zur Katastrophe gekommen war.
Aber was ihn am meisten freute, waren die Menschenmassen, die in den dunklen Straßen von Lichtenberg unterwegs waren, einem deprimierenden Stadtbezirk im Osten von Berlin.
Endlose Reihen von zwanzigstöckigen Plattenbauten trugen nichts dazu bei, die triste Atmosphäre der Gegend zu verbessern. So spät waren dort nur wenige Touristen unterwegs, nur Anwohner eilten mit grimmigen Gesichtern von der Spätschicht nach Hause oder kamen aus den heruntergekommenen, schmierigen Gaststätten, die man sich hier als Arbeiter leisten konnte - Menschen, die die DDR in diesem Leben nicht mehr verlassen würden, auch wenn es die Mauer schon lange nicht mehr gab.
Tegan sah sich mit dem Auge des Jägers um. Er war darauf getrimmt, nach Rogues Ausschau zu halten, konnte aber mit einem Blick sagen, dass sich keine Blutsauger in der Nähe befanden. Während Boston dank Mareks neuerlichem Auftauchen von den blutgierigen Bastarden praktisch überschwemmt wurde, berichteten Berlin und die meisten anderen Großstädte schon seit Jahren nur von minimalen Rogueaktivitäten.
Wenn das nicht verdammt schade war.
Denn jetzt wäre Tegan ein guter, harter Kampf mit seinen Feinden gerade recht gekommen. Am liebsten hätte er es mit mehreren gleichzeitig aufgenommen, wenn er sich das hätte aussuchen können.
Er musste seine Aggressionen niederzwingen, als er eine der desolaten Straßen hinunterging, die tiefer in den Stadtbezirk hineinführten, auf Ausschau nach seiner Beute dieser Nacht. Als ihm einige Frauen aus einer Bar in den Weg stolperten und ihn abschätzend von Kopf bis Fuß betrachteten, wich er ihnen mit einem entnervten Zischen aus.
Er würde sich keine Frau holen.
Das hatte er in der ganzen Zeit nicht getan … nicht seit Sorchas Tod.
Es war seine eigene Entscheidung. Etwas, das er sich selbst als Strafe auferlegt hatte, weil er versagt hatte. Weil er das unschuldige Mädchen nicht hatte retten können, das nur den Fehler gemacht hatte, ihm zu vertrauen. Aber irgendwann war Tegans Aversion dagegen, von Frauen zu trinken oder sich gar mit einer neuen Stammesgefährtin zu verbinden, zu einem Akt der Verzweiflung geworden.
Es war für ihn eine Frage des Überlebens geworden.