Выбрать главу

Sein Hunger ging zu tief. Und aus Erfahrung wusste er, wie einfach es war, die Kontrolle zu verlieren. Einmal zuvor hatte die Blutgier ihn überkommen, und er konnte sich kein weiteres Mal erlauben.

Dass er von Elise heute Nacht so sehr in Versuchung geführt worden war, hatte ihn schwer erschüttert. In einer langen Zeitspanne, aus der auf rätselhafte Weise inzwischen Jahrhunderte geworden waren, hatte er sich nie eine Frau holen wollen - weder an seinen Mund noch in sein Bett. Er war aus freien Stücken allein gewesen, an nichts gebunden als an seine Mission, die Rogues zu vernichten.

Aber wie …?

„Scheiße“, stieß er wild zwischen den zusammengepressten Fangzähnen hervor.

Jetzt war er etwa zwei Sekunden davon entfernt, zum Dunklen Hafen zurückzurennen, wo sich Elise vermutlich in ihrem Schrecken darüber, was er ihr beinahe angetan hätte - ihnen beiden angetan hätte, wenn er dem Impuls nachgegeben hätte, von ihr zu trinken -, in ihrem Zimmer verbarrikadiert hatte.

Stattdessen pflügte er weiter voran, und sein Blick fiel auf eine Gruppe von drei Skinheads in schwarzem Leder und Ketten. Die weißen Schnürsenkel ihrer Springerstiefel glänzten förmlich im spärlichen Licht der weit auseinanderstehenden Straßenlaternen. Sie johlten einer älteren Muslima mit Kopftuch zu, die ihnen auf dem Bordsteig entgegenkam. Die Frau senkte die dunklen Augen, um die Konfrontation zu vermeiden, und als sie die Straße überquerte, um ihnen aus dem Weg zu gehen, schlich die Gang von Neonazis ihr nach und überschüttete sie mit wüsten rassistischen Beschimpfungen. Sie stießen sie in die Türöffnung des nächsten Gebäudes, und einer von ihnen machte Anstalten, ihr die Handtasche abzunehmen. Die Frau schrie und hielt sie fest, und prompt schleppte man sie in die angrenzene Seitenstraße, wo die Situation zweifellos gleich eskalieren würde.

Tegan ging schnell dazwischen, fühlte, wie die Kampfeswut seine Züge veränderte.

Der erste Skinhead hatte keine Ahnung, was da auf ihn zukam, bis er meterweit über die Straße geschleudert wurde. Er rappelte sich auf und rannte nach nur einem Blick auf Tegan in die entgegengesetzte Richtung davon. Seine Kumpane brauchten etwas mehr Überzeugungsarbeit. Während der eine die ältere Frau an ihrem Handtaschenriemen weiter in die Straße hineinzerrte, zog der andere ein Klappmesser und griff Tegan an.

Er verfehlte ihn.

Aber schließlich war es auch nicht ganz einfach, ein Ziel zu treffen, das eben noch vor einem stand und schon in der nächsten Sekunde hinter einem war und einem den Arm auskugelte.

Der Skin heulte vor Schmerz auf, ließ die Klinge fallen und brach auf dem Asphalt in die Knie.

Tegans Atem pfiff in wütenden Dampfwolken aus seinem Mund. Es juckte ihn in den Fingern, das Arschloch zu erledigen, aber der, der wirklich den Tod verdient hatte, war der Dritte, der wenige Meter weiter seine Fäuste in eine hilflose alte Frau rammte.

„Geh mir bloß aus den Augen“, zischte er zu dem wimmernden Menschen hinunter und bleckte die Zähne, um sicherzugehen, dass der Junge sehen konnte, was ihm blühte, falls er vorhatte, in der Nähe zu bleiben.

„Scheiße!“, keuchte der Mensch, er hatte Tegan klar verstanden. Stolpernd kam er auf die Füße und rannte davon, sein ausgerenkter Arm baumelte ihm unbrauchbar an der Seite.

Tegan fuhr herum und raste in die Seitenstraße hinein, wo der dritte Skinhead der alten Frau soeben die Handtasche entrissen hatte, sie nun hastig durchwühlte und ihren spärlichen Inhalt auf den Boden kippte. Dann riss er auch noch das Futter heraus und warf es auf die Straße.

„Wo ist die Kohle, Türkenoma? So, wie du dich daran festgeklammert hast, musste doch was beihaben!“

Die Frau kroch nach vorne, um ein kleines gerahmtes Foto vom matschbedeckten Asphalt aufzuheben. „Mein Foto“, schluchzte sie, ihr Deutsch mit arabischem Akzent gefärbt. „Alles, was ich noch habe von meinem Mann. Du hast es kaputt gemacht!“

Der Skinhead lachte. „Oh, da bricht mir ja das Herz, Oma.

Blöde Ausländerschlampe.“

Tegan überfiel den Kerl wie ein Geist, packte ihn im Nacken und zerrte ihn von der Frau fort. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie ihre spärlichen Habseligkeiten aufsammelte und aus der Seitenstraße eilte.

„Hey, Übermensch“, zischte Tegan einen Zentimeter von seinem Ohr entfernt. „Wird es dir nie über, alten Frauen Angst einzujagen? Vielleicht möchtest du als Nächstes gern in ein Krankenhaus, was? Im Kindertrakt könntest du jede Menge Schrecken verbreiten. Oder wäre dir eine Krebsstation lieber?“

„Fick dich“, schäumte die Schlägertype auf Englisch zurück.

„Ich zeig dir die Leichenhalle, Arschloch.“

Tegan lächelte und zeigte seine Fangzähne. „Ach was. Genau da wollte ich dich hinbringen.“

Dem Mann blieb nicht einmal mehr die Zeit zu schreien, als Tegan ihm die Zähne in den Hals schlug und zu saugen begann.

19

Tegan schaffte es, ihr den ganzen nächsten Tag aus dem Weg zu gehen. Elise wusste nicht, wohin er in der vorigen Nacht verschwunden war oder wo er die Stunden bis zur Dämmerung verbracht hatte, als der Zeitpunkt ihres Besuchstermins in der Hochsicherheitsanstalt näherrückte, die der Agentur unterstand.

Er redete nicht mit ihr und sah sie während der ganzen Dreiviertelstunde im Wagen auch kaum an, als Reichens Fahrer sie zusammen mit Reichen in den Süden von Berlin fuhr, zu dem Ort, wo der Rogue Odolf untergebracht war.

Der Eingang war von einem automatischen Sicherungssystem bewacht. Nichts wies darauf hin, was sich auf der anderen Seite der hohen, soliden Eisentore befand, aber der Hochspannungszaun und die festungsartige Umzäunungsmauer ließen keinen Zweifel daran, dass, was auch immer sich im Inneren befand, auch dort zu bleiben hatte. Als der Wagen näher heranfuhr, sah Elise von der Laserschranke neben der Einfahrt einen dünnen roten Lichtstrahl durch das Fahrzeug wandern. Wenig später teilte sich die eiserne Wand.

Reichens Fahrer lenkte die Limousine hinein, und sie standen vor einem weiteren hohen Tor. Ein Trupp von vier bewaffneten Wachen, alle Stammesvampire, kam von beiden Seiten her auf den Wagen zu und öffneten die Türen. Elise entging nicht, dass Tegan beim Aussteigen heiser in der Kehle knurrte. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, beim Aussteigen in die Läufe von Maschinengewehren zu blicken.

Ein anderer Stammesvampir kam nun auf sie zu. Er war aus einer fensterlosen Tür getreten, die in das innere Tor des Komplexes eingelassen war. Er wirkte ernst und distinguiert in seinem dunkelgrauen Anzug und dem schwarzen Rollkragenpullover, sein rotbrauner Kinnbart war präzise gestutzt.

„Mrs Chase“, sagte er und begrüßte sie mit einem höflichen Nicken. „Willkommen. Ich bin Dr. Heinrich Kuhn, der Leiter dieser Einrichtung. Wenn Sie bereit sind, werden wir Sie nun hineinbegleiten.“ Er sah zu ihren beiden Begleitern hinüber, wobei er Tegan so gut wie nicht beachtete. „Ihre … ähm, Begleiter werden hier draußen auf Sie warten, wenn Ihnen das recht ist.“

„Das ist mir absolut nicht recht.“ Tegans tiefe Stimme schnitt durch die Luft wie ein Schwert. Es waren die ersten Worte, die er sagte, seit sie Reichens Anwesen verlassen hatten. Ohne dass er dem plötzlichen metallischen Klicken, mit dem die Wachen ihre Waffen auf ihn richteten, Beachtung schenkte, trat er auf Elise zu und blieb in unmissverständlich beschützender Pose zwischen ihr und dem Anstaltsleiter stehen. „Alleine geht sie da nicht rein.“

„Es ist vollkommen sicher“, sagte der Anstaltsleiter und wandte sich dabei demonstrativ Elise statt Tegan zu, als ob es unter seiner Würde sei, den Krieger direkt anzusprechen.

„Selbstverständlich wird der Patient auf seinem Bett fixiert.

Außerdem ist er vor seiner Nahrungsaufnahme, die jetzt jeden Moment beendet sein wird, auch sediert worden. Er stellt keinerlei Gefahr für Sie dar, das kann ich Ihnen versich…“

„Von mir aus können Sie diesen Blutsauger hinter drei Meter dicken massiven Steinmauern weggesperrt haben“, zischte Tegan, seine grünen Augen blitzten. „Ohne mich geht sie nicht in diese Rogueklapse.“