Zwei der Wachen warfen dem Anstaltsleiter nervöse Blicke zu, als erwarteten sie den Befehl, sich einzumischen, fürchteten aber die Aussicht auf eine Schlägerei mit dem Gen-Eins-Krieger, dessen tödlicher Ruf allgemein bekannt war.
Und daran taten sie gut. Elise hatte keine Zweifeclass="underline" Wenn die Lage eskalierte, wäre weit mehr erforderlich als ein paar Sicherheitsbeamte, die ihre Ausbildung in einem Dunklen Hafen genossen hatten, um mit Tegan fertig zu werden. Auch Andreas Reichen schien das zu verstehen, und der Deutsche schien die Vorstellung amüsant zu finden. Er lächelte, als er zur Seite trat und zusah, wie der Zivilist im Anzug unangenehm berührt das Gesicht verzog.
„Gnädige Frau, ich bitte Sie“, sagte der Anstaltsleiter in diplomatischem - und offenkundig unaufrichtigem - Tonfall.
„Besuchsgenehmigungen werden in unserer Einrichtung grundsätzlich nur äußerst selten ausgestellt, wegen des Stresses, den das im Allgemeinen für unsere Patienten bedeutet. Auf Bitte des Vorsitzenden Direktors der Agentur haben wir für Sie eine Ausnahme gemacht, damit Sie diese Befragung durchführen können, aber ich wage gar nicht daran zu denken, was für Rückschläge bei der Behandlung meiner Patienten allein schon der Anblick eines Kriegers innerhalb der Anstaltsmauern auslösen könnte. Sie müssen sich doch dessen bewusst sein, dass seine Art Befriedigung dabei empfindet, die Erkrankten unserer Spezies zu verstören und zu bedrohen. Was wir hier praktizieren, ist Barmherzigkeit.“
Tegan knurrte verächtlich. „Ich gehe mit ihr. Es war keine Frage.“
Obwohl er seinen Blick fest auf den Anstaltsleiter gerichtet hielt, wusste Elise, dass Tegan die vier Wachmänner bereits gemustert und nicht als ernsthafte Bedrohung eingestuft hatte.
Denn unter seinem langen Mantel war der Krieger auch bewaffnet, und zwar mit einer ungemütlichen Handfeuerwaffe und mehreren tödlichen Klingen, die er um Rumpf und Hüften geschnallt trug. Er machte keine Anstalten, nach seinen Waffen zu greifen, aber Elise hatte ihn in Aktion erlebt und wusste, dass er weniger als eine Sekunde brauchen würde, um den eingezäunten Asphaltstreifen unter ihnen in ein blutgetränktes Schlachtfeld zu verwandeln.
„Ich hätte gerne, dass Tegan mich begleitet“, sagte sie und nahm die Kontrolle der Situation an sich. Sie sah, wie Tegans Augen einen Moment zu ihr hinüberglitten, bevor er wieder den Anstaltsleiter eisig anstarrte.
„Gnädige Frau, ich glaube wirklich nicht, dass …“
„Tegan wird mich begleiten.“ Elise zog ihre Jacke aus und hängte sie sich über den Unterarm. Ihr Lächeln war höflich, aber ihr Blick so unnachgiebig wie ihr Tonfall. „Ich fürchte, darauf muss ich leider bestehen, Dr. Kuhn.“
Es war schlichtweg beeindruckend, wie Elise mit dem selbstgefälligen Anstaltsleiter umging. Sie kannte das Protokoll der Dunklen Häfen und der Agentur und verstand, wie weit sie beides gerade noch ausreizen konnte. Ihre Position als Witwe von Quentin Chase gab ihrem Wort großes Gewicht, und sie hatte vor, das auszunutzen.
Die Tatsache, dass sie sich mit Tegan verbündet hatte, wo sie ihn gerade so gut hätte stehen lassen können, damit er sich seinen Weg hinein erkämpfte, um den Rogue Odolf zu befragen - und so, wie die Dinge seit letzter Nacht mit ihnen standen, hätte sie dazu alles Recht der Welt gehabt -, beeindruckte ihn noch mehr. Unter Druck reagierte Elise gefasst, sie war nicht nur eine perfekte Lady, sondern auch eine kühle, besonnene Taktikerin.
Sie war, was er sich insgeheim eingestehen musste, wirklich verdammt nützlich.
Dass er kaum die Augen von ihr lassen konnte, so sexy, wie sie in ihrem geschäftsmäßigen marineblauen Hosenanzug und der gestärkten weißen Bluse aussah, verstärkte nur noch seine Anerkennung. Ein weiterer Beweis dafür war eine harte, schwere Präsenz hinter dem Reißverschluß seiner schwarzen Drillichhose, als er Reichen beim Fahrer zurückließ und dem graziösen Schwingen von Elises Hüften durch das zweite Tor folgte, in die Hochsicherheitsanstalt hinein.
Tegan ignorierte die Klinikangestellten, die ihn anstarrten, als er an ihnen vorüberging. Vage registrierte er das hastige Getrappel von Zivilistenfüßen um ihn herum - sowohl derer, die machten, dass sie ihm schleunigst aus dem Weg kamen, als auch die der wenigen mutigen Seelen, die hinter ihren Überwachungsstationen oder aus ihren Besprechungszimmern hervorkamen, um einen Blick auf den dunklen, gefährlichen Fremden zu erhaschen, der da durch ihre heiligen Hallen stapfte.
Der Anstaltsleiter führte Tegan und Elise tiefer ins Gebäude hinein, durch unzählige Sicherheitstüren. Schließlich bogen sie in einen langen betonierten Flur ab und blieben vor einer schweren Stahltür mit der Aufschrift Behandlungszentrum stehen. Der Anstaltsleiter tippte einen Zugangscode in einen in die Wand eingelassen Ziffernblock ein, hielt dann sein Gesicht vor einen Scanner und wartete, bis ein schneller Lichtstrahl seine Netzhäute eingescannt hatte.
„Hier entlang“, sagte er und rümpfte fast unmerklich die Nase, als er Elise und Tegan die Tür aufhielt und sie in einen neuen Korridor eintraten.
Der Gang war schwach beleuchtet und ruhig, außer gelegentlichem Stöhnen und tierhaften Knurrlauten, die durch die leise klassische Musik, die durch Deckenlautsprecher drang, kaum gedämpft wurden. Von beiden Seiten des Ganges ging eine Reihe Türen ab, einige davon mit kleinen Sichtfenstern, um den Insassen überwachen zu können. Einige der Krankenzimmer waren leer, in anderen befanden sich Rogues in unterschiedlichen Stadien von Bewusstsein. Alle waren von Kopf bis Fuß mit Fixierbändern an ihren Betten befestigt, Stahlstangen und elektronisch gesicherte Schließvorrichtungen sicherten die Patienten in ihren Zellen noch zusätzlich.
Im Vorbeigehen warf Tegan einen Blick durch ein Sichtfenster auf den jämmerlichen Anblick eines Blutjunkies, dem der Speichel aus dem Mund troff, sein schlaffer Körper in einen fleckigen weißen Anstaltskittel gezwängt, auf dem kahl geschorenen Kopf immer noch winzige Kontaktstecker, Überbleibsel einer kürzlich erfolgten Elektroschocktherapie. Offenbar war er auch sediert worden, die feurigen bernsteinfarbenen Augen des Rogue standen halb offen, die Augäpfel waren nach innen gerollt.
„Das ist also die Antwort der Dunklen Häfen auf die Betty Ford-Klinik, was?“ Tegan lachte humorlos auf. „Und ihr behauptet, dass der Orden keine Gnade kennt.“
Elise bat ihn mit einem Blick, Ruhe zu geben, aber Kuhn ignorierte den Seitenhieb vollkommen. Er führte sie zur letzten Zelle auf dem Gang und blieb wieder stehen, um einen Zugangscode einzugeben. Als die Lampe über der Tür grün aufleuchtete, sagte der Anstaltsleiter: „Da er gerade gefüttert wird, werden wir im Beobachtungsraum warten müssen, bis sie fertig sind. Es sollte sich nur noch um nur ein paar Minuten handeln.“
Tegan folgte Elise in den kleinen Vorraum und hielt sie fest, als sie beim Anblick der Prozedur, die auf der anderen Seite der einseitig verspiegelten Scheibe stattfand, jäh zurückzuckte.
„Herr im Himmel“, keuchte sie und hob eine Hand zum Mund.
Im angrenzenden Raum war der Rogue namens Peter Odolf auf einem speziell auf seine Maße zugeschnittenen Untersuchungstisch festgeschnallt wie ein Präparat unter einem Mikroskop. Er war nackt unter den schweren Metallklammern, die ihn an Armen, Beinen, um Oberkörper, Hals und Stirn auf dem Tisch fixierten. Sein rasierter Kopf steckte in einer Maske aus Leder und Drahtgeflecht, die seinen Kiefer und die massiven Fangzähne für den Schlauch offen hielt, durch den ihm das frische Blut der Blutwirtin in den Mund gepumpt wurde, die mit der unangenehme Aufgabe betraut war, ihn zu nähren. Der Rogue hatte sich irgendwann während der Fütterung nass gemacht und unter dem Tisch eine Urinpfütze hinterlassen, was den entwürdigenden Charakter der Prozedur nur allzu deutlich unterstrich.
Und dann war da noch die Frau.
Tegan stieß einen saftigen Fluch aus, als sein Blick dem blutgefüllten Schlauch folgte, der vom Mund des Rogue zum inneren Unterarm einer jungen Frau führte, die in unmittelbarer Nähe auf einem zweiten Untersuchungstisch lag. In einem weißen, ärmellosen Klinikoverall lag sie bewegungslos auf dem Rücken, sogar gefasst, aber ihre sommersprossigen Wangen waren tränenfeucht.