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„Wir müssen ihm nur ein paar Fragen stellen, Irina. Das ist alles.“

In dem Seitenblick, den Irina ihr zuwarf, lag ein besorgter Glanz. „Der Mann, mit dem Sie hier sind - er ist keiner aus den Dunklen Häfen.“

„Nein. Tegan ist Angehöriger des Ordens. Er ist ein Krieger.“

„Ein Krieger?“ Sofort versteifte sich Irina und runzelte die Stirn. „Aber Peter hat niemandem etwas getan. Er ist ein guter Mann. Er hat nichts Schlimmes gemacht …“

„Es ist schon in Ordnung“, versicherte ihr Elise und legte ihre Hand auf die zitternden Finger der beunruhigten jungen Frau.

„Tegan ist nicht hier, um ihm etwas anzutun, das verspreche ich Ihnen. Er will nur mit ihm reden.“

„Über was?“

„Wir brauchen einige Informationen über die Familie Ihres Gefährten. Wir müssen mit ihm reden und sehen, ob er ein bestimmtes Dermaglyphensymbol erkennt.“

Irina seufzte und schüttelte leicht den Kopf. „Er erkennt ja kaum noch mich. Ich glaube nicht, dass er Ihnen viel helfen wird.“

Elise lächelte mitfühlend. „Wir müssen es zumindest versuchen. Es ist sehr wichtig.“

„Und Sie geben mir Ihr Wort, dass ihm nichts geschieht?“

„Ja, ich gebe Ihnen mein Wort, Irina.“

Die Stammesgefährtin sah Elise lange an, ihre warmen braunen Augen blickten forschend, sie suchte nach der Wahrheit.

„Ja“, sagte sie schließlich. „Ich glaube Ihnen. Ich glaube, was Sie mir sagen.“

Elise drückte ihr die Hand. „Wie lange sind Sie und Peter schon zusammen?“

„Diesen Sommer werden es siebenundfünfzig Jahre.“ Stolz und Liebe klangen in ihrer Stimme mit. Aber als sie weitererzählte, wurde ihre Stimme traurig. „In dieser … Anstalt ist er jetzt schon seit drei Jahren.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte Elise.

„Ich dachte, er würde stärker sein als die Schwäche, die seinen Vater und seine Brüder heimgesucht hat - ich dachte, meine Liebe würde ausreichen, wissen Sie? Aber er wurde von Dämonen gejagt, die ich nie verstand. Vor drei Jahren, in den Wochen, bevor ich ihn an seine Krankheit verlor, war er plötzlich nicht mehr derselbe.“

„Wie das?“ Elise stellte ihre Frage mit Vorsicht, wollte damit nicht wieder aufwühlen, was eine so schmerzhafte Zeit für die junge Frau gewesen war.

„Er hat sich so verändert, nachdem sein älterer Bruder zum Rogue wurde und starb. Ich glaube, er hat vielleicht gespürt, dass der Tag auch für ihn kommen würde. Plötzlich lag ihm diese schwere Last auf den Schultern. Er zog sich von allem zurück - auch von mir. Er wurde plötzlich geheimnistuerisch, schrieb stundenlang in seinem Arbeitszimmer, nur um später seine ganzen Papiere zu verbrennen. Ich schaffte es, eine Seite zu retten, aber es stand nur unverständliches Zeug drauf, nur wirres Gefasel, das er mir nicht erklären konnte - oder wollte.“ Sie zuckte die Achseln und ließ den Kopf hängen. „Peter begann, spät nachts, wenn ich schon schlief, wahre Fressorgien zu veranstalten. Mit der Zeit wurde er fast verrückt. Eines Nachts fiel er mich in einer Attacke von Blutgier an, und ich erkannte, dass es an der Zeit war, ihn einliefern zu lassen.“

„Das muss Ihnen sehr schwergefallen sein, Irina.“

„Ja“, flüsterte sie. „Blutgier ist schrecklich verführerisch. Ich weiß, dass Peter nie mehr zurückfinden wird. Aus dieser Anstalt kommt man praktisch nie wieder heraus. Aber immer noch hoffe ich.“ Die Stammesgefährtin winkte ab, wieder kamen ihr die Tränen. „Was rede ich nur. Ich muss endlich diesen schrecklichen Fütterungsoverall ausziehen und schauen, dass ich nach Hause komme. Danke, dass Sie mich angesprochen haben. Und danke für die hier“, sagte sie, zog sich ein frisches Taschentuch aus der Packung und tupfte ihre nassen Augen ab.

„Gern geschehen.“

Elise stand mit Irina auf und umarmte sie kurz, als die andere sich zum Gehen anschickte. Als sie fort war, ging Elise über den Korridor zu Peter Odolfs Zelle zurück. Tegan kam gerade heraus und wirkte alles andere als zufrieden. Dr. Kuhn folgte ihm auf dem Fuße, er faselte etwas von wegen man müsse die Schmerzfreiheit des Patienten sicherstellen und völlig angemessene Dosis.

„Was ist denn los?“

Tegan fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Odolf ist dermaßen mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt, dass er völlig lethargisch ist. In dem Zustand kriegen wir nichts aus ihm raus.“

„Es sind immer zusätzliche Sedativa erforderlich, wenn unsere Patienten ernährt werden, zur Sicherheit des Patienten und des Spenders“, erklärte Kuhn verstimmt.

„Und der Rest von dem Drogencocktail, den Sie ihm verabreicht haben?“, fragte Tegan herausfordernd.

„Nur unsere übliche Routinebehandlung, um sicherzustellen, dass unsere Patienten rund um die Uhr schmerzfrei sind.“

„Du konntest überhaupt nicht mit ihm reden?“, fragte Elise und ignorierte Kuhns wütenden Protest, um sich auf Tegan zu konzentrieren.

„Eine Minute, nachdem ich bei ihm drin war, war er schon praktisch bewusstlos. Bisher haben wir eine Niete gezogen.“

„Dann kommen wir eben morgen wieder.“ Elise wandte sich dem Anstaltsleiter zu. „Ich bin sicher, Dr. Kuhn kann dafür sorgen, dass Odolf morgen, wenn wir wiederkommen, ansprechbar ist. Nicht wahr, Herr Doktor?“

„Die Medikation eines Patienten herabzusetzen ist ein enormes Risiko. Wenn Sie darauf bestehen, können wir keine Verantwortung übernehmen, weder für das Verhalten des Patienten noch für Ihre Sicherheit.“

Elise sah zu Tegan hinüber, der ihr zustimmend zunickte.

„Das geht in Ordnung. Bitte erwarten Sie uns morgen Abend zur selben Zeit, und sorgen Sie dafür, dass Peter Odolf wach und bei Bewusstsein ist, wenn wir ankommen.“

Kuhns Mund wurde zu einem schmalen Strich, aber dann beugte er gehorsam den Kopf. „Wie Sie wünschen, gnädige Frau.“

Obwohl Tegan schwieg, konnte sie die ganze Zeit, als sie das Behandlungszentrum verließen und hinauseskortiert wurden, wo Reichen mit Wagen und Fahrer auf sie wartete, seinen Blick auf sich fühlen. Die letzte Nacht im Bootshaus, das belastende Wissen um die Tragweite dessen, was zwischen ihnen vorgefallen war, war immer noch präsent. Allein durch seine Nähe summte ihr Körper in einem beunruhigenden Rhythmus.

Sie wusste, dass zum Teil die Verbindung daran schuld war, die sie durch sein Blut zu ihm hatte, aber es gab auch noch einen anderen Teil von ihr, der auf ihn reagierte. Und Letzteres war es - diese elementare, weibliche Regung in ihr -, was ihr am meisten zu schaffen machte. Denn so, wie er sie in der letzten Nacht von sich gestoßen hatte, musste sie annehmen, dass ihre Sehnsucht einseitig war.

Tegan war ihr gegenüber stoisch und ruhig, er trat beiseite, als Reichens Fahrer ihr den hinteren Schlag des Rolls-Royce öffnete. Als sie einstieg, sah sie ins Innere des Fahrzeugs und bemerkte überrascht, dass es leer war.

„Wo ist Andreas?“

Der Fahrer deutete mit seinem kahlen Kopf eine höfliche Verbeugung an. „Zu seinem Bedauern wurde er kurzfristig aus persönlichen Gründen in die Innenstadt abberufen. Er hat mich gebeten, ihn zu kontaktieren, sobald Sie und der Herr Ihren Termin hier wahrgenommen haben. Wir werden ihn jetzt unterwegs abholen.“

„Oh. In Ordnung, Klaus. Danke.“

Elise glitt auf die Rückbank der luxuriösen Limousine. Tegan folgte, er setzte sich ihr gegenüber und ließ einen muskulösen Arm über die luxuriöse Lederpolsterung der Rückenlehne hängen. Seine Schenkel waren ungehörig weit gespreizt, als er sich zurücklehnte und sie unter einer Strähne seines dicken, zottigen Haars anstarrte. In diesem Schweigen, das einen fast verrückt machen konnte, hielt er die hellgrünen Augen so lange auf sie gerichtet, bis sie das Gewicht seiner ausdruckslosen Musterung kaum noch aushielt.

Die wenigen Minuten in die Stadt kamen ihr wie eine Stunde vor. Und schlimmer noch, je tiefer sie ins Herz dieses Menschengewimmels hineinfuhren, desto stärker begannen Elises Schläfen von dem auf sie einstürmenden Geschwätz von Hunderten dunkler Gedanken und hässlicher Stimmen, die ihr mit unbeschreiblicher Bösartigkeit in den Ohren zischten, zu pochen. Sie wandte den Kopf zum getönten Glas der Fensterscheibe und fühlte, wie der Ansturm ihrer übersinnlichen Wahrnehmung alle Luft aus dem Wagen presste.