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Diesen Schmerz hatte sie selbst herausgefordert, seit dieser allerersten Nacht vor vier Monaten, als sie sich von ihm aus dem Hauptquartier des Ordens nach Hause fahren ließ. Heute Nacht hatte er ihr einen Gefallen getan - sie vor einem kolossalen Fehler bewahrt, der sich, einmal begangen, nie wieder rückgängig machen lassen würde.

Für diese kleine Gnade sollte sie dankbar sein, besonders wenn sie von einem Mann kam, der behauptete, keine Gnade zu kennen.

Tegan brach ihr das Herz, und das konnte sie jetzt nicht gebrauchen.

Und doch, als sie durch den Raum zum angrenzenden Badezimmer ging und in der Dusche das Wasser andrehte, konnte sie nicht anders, als die Momente, die sie eben mit ihm in seinem Bett verbracht hatte, aufs Neue zu durchleben. Sie zog ihre Sachen aus und trat unter den warmen Wasserstrahl, spürte seine Hände auf sich, ihre Körper, wie sie ineinander verschmolzen, brennend vor Lust.

Sie sehnte sich selbst jetzt noch nach ihm, so sehr, dass es schmerzte.

Sie würde sich immer zu ihm hingezogen fühlen, der Drang seines Blutes in ihr band sie mit unsichtbaren Ketten an ihn.

Aber so sehr sie auch ihre Gefühle für Tegan auf die unglückliche Tatsache zurückführen wollte, dass sie von ihm getrunken hatte - und das jetzt schon zum zweiten Mal -, wusste sie, dass das Problem tiefer ging.

Ja, Gott steh ihr bei. Es war viel, viel schlimmer.

Sie stand kurz davor, sich in ihn zu verlieben.

Vielleicht war sie es schon.

Tegan bestrafte sich mit einer langen, eiskalten Dusche, und immer noch brannte sein Körper vom Gedanken an Elise. Seine Haut war ihm viel zu eng, die Dermaglyphen pulsierten unter dem kalten Trommeln der Wassertropfen. Er stützte die Fäuste auf die Marmorfliesen an der Wand und kämpfte gegen den Drang an, Elise in ihrem Gästezimmer heimzusuchen und zu beenden, was sie gerade begonnen hatten.

Himmel, wie sehr er es beenden wollte.

Immer noch war seine Sicht geschärft von den beiden Arten von Hunger nach einer einzigen Frau. Seine Fangzähne pulsierten, die langen Spitzen hatten sich noch nicht vollständig zurückgezogen. Mit einem tiefen, abgehackten Seufzer ließ er den Kopf sinken. Dieses Verlangen nach Elise wurde nur noch schlimmer, brannte in seinen Venen wie Feuer.

Wie lange würde es dauern, bis seine Selbstbeherrschung mit ihm durchging und er ihre Farce von Blutsverbindung besiegelte? Und wenn er sich erlaubte, einen Schluck von etwas so Süßem wie Elise zu nehmen, wie konnte er sich dann sicher sein, dass sein Durst nicht so stark wurde, dass er wieder vollkommen Besitz von ihm ergriff?

Es war so viel schwerer zu widerstehen, jetzt, da er wusste, dass sich Elise ihm so bereitwillig anbot, selbst ohne die Versprechen von Liebe und Treue, die jeder Mann privilegiert wäre, ihr gegenüber abzulegen. Sie war bereit gewesen, ihm so viel zu geben und so wenig dafür zu bekommen. Es beschämte ihn.

Es beschämte ihn, weil er so verdammt nahe dran gewesen war, ihr hübsches Handgelenk zwischen die Zähne zu nehmen …

Mit einem Aufbrüllen zog Tegan den Arm zurück und ließ die Faust auf die unnachgiebigen Marmorfliesen der Dusche krachen. Die glatten, polierten Vierecke zerbrachen unter seinem Schlag, die Scherben fielen ihm klirrend um die nackten Füße. Schmerz flammte in seiner Hand und seinem Handgelenk auf, aber er genoss ihn und sah zu, wie seine Blutstropfen den Abfluss hinabwirbelten.

Nein. Verdammt noch mal, nein!

Er war stärker als dieses animalische Verlangen, das er nach Elise verspürte. Er konnte ihm widerstehen. Er musste ihm widerstehen.

Er kannte Elise erst seit ein paar Tagen, und schon war sie ihm so nahe gekommen und hatte es geschafft, einige der Schutzwälle einzureißen, die er in mühsamer, jahrhundertelanger Arbeit um sich herum errichtet hatte. Er konnte nicht erlauben, dass die Dinge zwischen ihnen eskalierten.

Und das würde er auch nicht.

Selbst wenn er für den Rest ihres kurzen Aufenthalts in Berlin jeden freien Moment außer ihrer Sichtweite verbringen musste.

Tegan hob den Kopf und stellte mit einem barschen mentalen Befehl das Wasser ab. Er trat aus der Duschkabine und schlang sich eines der dicken, schwarzen Handtücher um die Hüften. Als er seine Suite betrat, sah er am Blinken seines Handys, dass ihn jemand angerufen hatte. Er wählte, um seine Mailbox abzuhören, und hoffte, dass es Befehle aus dem Hauptquartier waren, die ihn erwarteten; dass er dringend in Boston gebraucht wurde und sich unverzüglich auf den Rückweg machen sollte.

Aber so viel Glück hatte er nicht. Nicht, dass er damit rechnete, dass ihm das Glück auf irgendeine Art zu Hilfe kam. Sein Glück hatte ihn schon vor langer Zeit verlassen.

Gideons Nachricht ertönte aus dem Hörer, grimmig und knapp auf den Punkt gebracht: Er hatte erfahren, dass jemand die Flugdaten des Ordens aus dem internationalen Flughafen von Boston abgerufen hatte. Es bestanden keinerlei Zweifel daran, dass Marek hinter der Sache steckte und dass vermutlich schon sehr bald in Berlin mit ihm zu rechnen war, oder damit, dass er zumindest seine lokalen Kontakte anzapfen oder seine Fühler ausstrecken würde, um herauszufinden, wie viel der Orden wusste, und was sie mit diesem Wissen anfangen wollten.

Scheiße.

Jetzt war Tegan mehr denn je davon überzeugt, dass sie mit Peter Odolf und dem Tagebuch, das Elise von Mareks Kurier abgefangen hatte, einer großen Sache auf der Spur waren. Mehr an Entschuldigung brauchte er nicht, um sich schnell trocken zu rubbeln, anzuziehen und sich für einige Stunden in der Stadt auf Patrouille aufzumachen. Als er sich Waffen um Hüften, Oberschenkel und Knöchel geschnallt hatte, griff er sich seinen Mantel und ging die Haupttreppe des Herrenhauses hinunter.

Reichen kam gerade mit einem jungen Paar aus einem mahagonigetäfelten Arbeitszimmer geschlendert, als sich Tegan dem Foyer näherte. Der junge Mann errötete heftig unter seinen wuscheligen blonden Haaren und murmelte Reichen seinen Dank für eine kürzlich erfolgte Gefälligkeit zu, während seine hübsche, rotblonde Stammesgefährtin strahlte, die Hände liebevoll auf ihren unübersehbar schwangeren Bauch gelegt.

„Gratuliere, ihr beiden“, sagte Reichen auf Deutsch. „Ich freue mich darauf, euren strammen kleinen Sohn zu begrüßen, wenn er da ist.“

„Vielen Dank, dass Sie bereit sind, ihm Pate zu stehen“, sagte der junge Mann. „Das ist uns eine große Ehre.“

Die junge Frau stellte sich auf die Zehenspitzen, um Reichen einen Kuss auf die Wange zu hauchen, dann nahm sie ihren Gefährten bei der Hand und die beiden eilten davon, wobei sie einander verliebt in die Augen sahen, als existierte um sie herum keine Außenwelt.

„Ach ja, die Liebe“, sagte Reichen und grinste breit zu Tegan herüber, als das glückliche junge Paar verschwunden war. „Möge sie uns beide mit ihren Stacheldrahtschlingen verschonen, was?“

Tegan warf ihm einen schiefen Blick zu, aber momentan war er mit dem Zynismus dieser Bemerkung völlig einverstanden. Er kam die letzten paar Treppenstufen hinunter und sah, wie Reichens Blick auf seine Hand wanderte, die auf dem Griff der geladenen Beretta in seinem Schulterhalfter ruhte. Rohe Kratzer und Blutspuren bedeckten Tegans Knöchel, ein Andenken an die Begegnung seiner Faust mit der Marmorverkleidung der Duschkabine.

Der Deutsche hob eine dunkle Augenbraue.

„Hatte oben einen kleinen Zwischenfall“, sagte Tegan. „Ich bezahle dir den Schaden.“

Reichen wies das Angebot mit einer raschen Handbewegung zurück. „Willst du mich beleidigen? Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich bin doch derjenige, der dir immer noch etwas schuldig ist.“

„Vergiss es“, sagte Tegan. Reichens Dankbarkeit war ihm unangenehm, und inzwischen juckte es ihn förmlich, aus dem Haus zu kommen, in dem Elise war und ihn vermutlich hasste.

„Ich muss ein paar Dinge in der Stadt überprüfen. Uns wurde von einigen Aktivitäten in Boston berichtet, die vermutlich bedeuten, dass wir hier Schwierigkeiten bekommen werden.“