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Reichens belustigte Miene wich Ernüchterung. „Ich habe gehört, dass es in eurer Stadt vermehrt zu Rogueaktivitäten gekommen ist. Ist es wahr, dass es Dutzende waren, die sich in dem Ort verkrochen hatten, den der Orden letzten Sommer zerstört hat?“

„Wir sind nicht geblieben, um nachzuzählen, aber, ja. Es war ein riesiges Nest.“

Der Mann aus dem Dunklen Hafen fluchte leise. „Stammesvampire, die zu Rogues mutiert sind, neigen nicht gerade zur Geselligkeit. Dass sich so viele an einem Ort versammelt haben, ist ausgesprochen beunruhigend. Denkt ihr, dass sie etwa dabei waren, sich zu organisieren?“

„Möglich“, sagte Tegan und wusste doch genau, dass es ebendas war, was Marek im Schilde führte. Oder zumindest im Schilde geführt hatte, bevor der Orden ihm in der verlassenen Nervenheilanstalt, dem Hauptquartier von Mareks Blutsaugerarmee, einen roten Willkommensteppich aus Sprengstoff ausgerollt hatte.

„Tegan.“ Reichen räusperte sich. „Wenn du - oder der Orden - etwas von mir brauchen könnt, was auch immer es ist, brauchst du mich nur fragen. Ich hoffe, das weißt du. Dazu sind keinerlei Erklärungen nötig, und ich versichere dir, dass der Orden sich auf meine volle Kooperationsbereitschaft verlassen kann. Und mein uneingeschränktes Vertrauen genießt.“

Tegan sah ehrliche Aufrichtigkeit in den Augen des Mannes aus dem Dunklen Hafen, und eine begierige Intelligenz, die zu sagen schien, dass Andreas Reichen bei all seinem rücksichtslosen Charme und Draufgängertum keiner war, der solche Versprechungen leichtfertig abgab. Wenn er seine Freundschaft anbot, bot er auch seine Ehre an.

„Betrachte meine Ressourcen als deine“, fügte Reichen hinzu und senkte die Stimme zu einem vertraulichen, todernsten Flüstern. „Männer, Geld, Waffen, unterirdische Schutzräume, Information … was immer du willst. All die Mittel, die mir zu Gebote stehen, stehen dir und den übrigen Kriegern zu ihrer freien Verfügung.“

Tegan nickte dankend. „Du musst wissen, dass es dich bei deinen Reservatsvampiren nicht sehr populär machen wird, dich mit dem Orden zu verbünden, Reichen.“

„Vielleicht nicht. Aber wer kann diese selbstherrlichen Gesellen schon ausstehen, was?“ Der Deutsche schlug Tegan auf die Schulter. „Komm mit mir in die Stadt, ich will dich jemandem vorstellen. Wenn du Informationen brauchst über irgendwelche dunklen Geschäfte oder Bewegungen in der Berliner Unterwelt, dann musst du dich wirklich mal mit Helene unterhalten.“

„Die Frau, mit der du vorhin zusammen warst?“

„Ja. Eine gute alte Freundin … mit auch einigen anderen Vorzügen.“ Reichen grinste. „Sie ist eine gewöhnliche Menschenfrau, keine Stammesgefährtin, falls du dich das gefragt hast.“

Das hatte sich Tegan tatsächlich gefragt. Die heilende Bisswunde am Hals der Frau war ihm nicht entgangen, als Reichen sie am Bordstein zum Abschied geküsst hatte, aber ihr Blut schien keinen Duft zu haben. Nichts war zu riechen außer dem schalen, kupfrigen Geruch von ganz gewöhnlichen roten Zellen Marke Homo sapiens.

Offensichtlich hatte Reichen auch nicht die Erinnerung der Frau ausgelöscht, nachdem er von ihr getrunken hatte.

„Sie weiß Bescheid über dich - und den Stamm?“

Reichen nickte. „Sie ist absolut vertrauenswürdig, das kann ich dir versichern. Ich kenne sie schon seit Jahren, wir sind auch Geschäftspartner in ihrem Club. Sie hat mein Vertrauen niemals missbraucht. Sie wird auch deines nicht missbrauchen.“

Reichen strich sich das Haar an den Schläfen glatt, dann wies er auf die Tür des Herrenhauses. „Komm. Ich werde dich einführen.“

Wenig später fand sich Tegan in einem mit rotem Plüsch ausgeschlagenen Separee in einem hochklassigen Bordell namens Aphrodite wieder. Der Club war exklusiv und teuer, ein Spielplatz für Erwachsene, voller wunderschöner Frauen, opulent ausgestattet und mit einem breiten Angebot von Vergnügungen, deren Preis strikt im Voraus vereinbart wurde. Mit mildem Desinteresse sah Tegan zu, wie mehr als nur eine kleine Orgie in aller Öffentlichkeit stattfand.

Die Klientel des Clubs bestand fast ausschließlich aus Menschen, mit Ausnahme von Reichen, der hier ganz offensichtlich ein und ausging. Er saß Tegan im geräumigen Separee gegenüber, seine Finger spielten müßig mit einem wohlgeformten Arm von Helene, der atemberaubenden Besitzerin des Etablissements. Etliche ihrer Mädchen waren vorbeigekommen, um einen Blick auf Tegan zu werfen. Ihm waren Drinks, Essen, Gesellschaft und jede Menge Versuchungen angeboten worden, die nicht auf der offiziellen Speisekarte standen.

Als auch die letzte atemberaubende Prostituierte auf ihren hohen Absätzen davonschlenderte, sah Helene ihn mit einem Stirnrunzeln an. „Wenn Sie spezielle persönliche Vorlieben haben, bin ich sicher, dass ich die nötigen Arrangements treffen kann, um Sie zufriedenzustellen.“

Tegan rutschte tiefer in das weiche Samtpolster. Seine persönlichen Vorlieben hatten sich auf eine einzige Frau drastisch reduziert, und die war gerade in Reichens Herrenhaus und wünschte ihn vermutlich zum Teufel. „Ich weiß das Angebot zu schätzen“, sagte er zu Helene, „aber ich bin nicht hergekommen, um mich zu vergnügen.“

„Wir hatten gehofft, dass du uns vielleicht dabei behilflich sein könntest, informiert zu bleiben über … ungewöhnliche Aktivitäten in der Stadt“, fügte Reichen hinzu. „Es würde natürlich deine ganze Diskretion erfordern.“

„Natürlich“, sagte sie und nickte in scharfsichtiger Zustimmung. „Reden wir davon, ein Auge auf ungewöhnliche Aktivitäten von Menschen zu haben oder von etwas anderem?“

„Von beidem“, sagte Tegan. Da Reichen sie offensichtlich über das Vampirvolk ins Bild gesetzt hatte und ihr vertraute, das Geheimnis zu wahren, sah Tegan keinen Grund, um den heißen Brei herumzureden. „Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme an Rogueaktivitäten in den Staaten. Wir glauben zu wissen, woher sie kommen, aber es besteht die Möglichkeit, dass einige dieser Probleme bald hier in Berlin auftreten könnten. Wenn Sie irgendetwas Ungewöhnliches hören, müssen Sie uns davon in Kenntnis setzen.“

Die junge Frau hob das Kinn. „Sie haben mein Wort.“

Sie hielt Tegan die Hand hin, und er nutzte die Gelegenheit, ihre Gefühle zu lesen. Seine Berührung sagte ihm sofort, dass sich in ihren Absichten keine Unehrlichkeit verbarg. Was sie gesagt hatte, meinte sie ernst, und sie war jemand, deren Wort man Glauben schenken konnte.

Tegan gab ihre Hand frei und lehnte sich zurück, als sich eine ihrer Damen dem Tisch näherte. „Einer meiner Klienten hatte zu viel zu trinken“, beschwerte sich die junge Frau. „Er wird laut und benimmt sich unmöglich.“

Helenes Lächeln war gelassen, aber ihre Augen wurden laserscharf. „Würdet ihr mich bitte entschuldigen? Die Pflicht ruft.“

Sie verließ das Separee und gab einem der Rausschmeißer unauffällig ein Zeichen, sie zu begleiten. Als sie gegangen war, hob Reichen eine Augenbraue. „Sie ist charmant, findest du nicht?“

Tegan stieß einen Grunzlaut aus. „Sie hat schon was.“

Jetzt kniff Reichen die Augen zusammen. „Ich bin doch neugierig - haben alle Mitglieder des Ordens das Zölibat auf sich genommen?“

Von dieser Frage schoss Tegans Kopf in die Höhe. „Von was zum Teufel redest du?“

„Ich habe dir nur zugesehen, wie du ein Dutzend makelloser Frauen abgewiesen hast, die sich dir liebend gern zu Füßen geworfen hätten, um dich zufriedenzustellen. Kein Mann hat diese Art von Selbstkontrolle. Es sei denn …“ Der Mann aus dem Dunklen Hafen lachte leise in sich hinein. „Es sei denn, die Gerüchte, die neulich auf dem Empfang kursierten, sind wahr.

Ist da etwa etwas im Gange zwischen dir und der liebreizenden Elise Chase? Etwas mehr als das Geschäftliche, das euch beide in meine Stadt geführt hat?“

„Es ist nichts zwischen uns.“ Oder zumindest sollte nichts zwischen ihnen sein. Und es würde auch nichts sein, so wie die Dinge heute Nacht gelaufen waren. „Ich habe keinerlei Absichten auf diese Frau.“