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Neben dem Futon, in einem Teil des Raumes, wo man normalerweise eine Essecke vermuten würde, standen zwei Fitnessgeräte: ein Stepper und ein Crosstrainer. Daneben lag Elises blutgetränkter Anorak auf dem Boden, und auf dem ramponierten gelben Küchenblock lagen ein Handy und ein MP3-Player.

Elises Einrichtungsstil mochte einiges zu wünschen übrig lassen, aber was Tegan am meisten wunderte, war die Wahl ihrer Wandverkleidung.

An allen vier Wänden der Einzimmerwohnung waren unbeholfen akustische Dämmplatten aus Schaumgummi angenagelt- Schallisolierung. Unmengen von dem Zeug bedeckten jeden Quadratzentimeter der Wände, Fenster und sogar die Innenseite der Zimmertür.

„Was zum Teu…“

Im Raum nebenan wurde mit einem abrupten metallischen Quietschen die Dusche abgestellt. Tegan drehte sich zur Tür, die sich einen Augenblick später öffnete. Elise zog einen dicken, weißen Frotteebademantel um sich, als sie den Kopf hob und ihm in die Augen sah. Sie keuchte überrascht auf, fuhr sich mit einer zarten Hand an den Hals.

„Tegan.“ Ihre Stimme war im Höllenlärm der Musik und dem Geplärr des Fernsehers fast nicht zu hören. Sie machte keine Anstalten, sie leiser zu drehen, sondern kam einfach aus dem Badezimmer heraus und blieb in der größtmöglichen Entfernung zu ihm stehen, die in dem engen Zimmer möglich war.

„Was machen Sie hier?“

„Das Gleiche könnte ich dich fragen.“ Tegan ließ den Blick in ihrem armseligen Quartier umherschweifen, wenn auch nur, um sie in ihrem praktisch nackten Zustand nicht anzusehen.

„Was für eine miese Wohnung du hast. Wer ist dein Innenarchitekt?“

Sie antwortete ihm nicht. Ihre blassen, amethystfarbenen Augen waren unablässig auf ihn gerichtet. So als traute sie ihm nicht, als machte es sie nervös, mit ihm allein zu sein. Wer konnte ihr das verdenken?

Tegan war sich darüber im Klaren, dass die meisten Bewohner der Dunklen Häfen wenig für die Mitglieder des Ordens übrighatten. Die behütete Klasse der Zivilisten, der auch Elise angehörte, hatte ihn schon oft als eiskalten Killer bezeichnet - nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hätte, schließlich beruhte sein persönlicher Ruf auf Tatsachen. Aber während ihn nicht die Bohne interessierte, was andere von ihm dachten, ärgerte es ihn doch, dass Elise ihn nun so ängstlich ansah. Als er ihr zuletzt begegnet war, war er ihr gegenüber einfach nur freundlich gewesen, hatte der jungen Witwe Achtung gezollt, aus Respekt vor dem, was sie gerade durchmachte. Dass sie außerdem noch eine atemberaubende Schönheit war, zerbrechlich wie eine Eisblume, hatte durchaus auch damit zu tun.

Etwas von dieser Zerbrechlichkeit hatte sie nun abgelegt, bemerkte Tegan, dem nicht entging, dass die Muskeln an ihren nackten Waden und Armen inzwischen ausgeprägter waren. Ihr Gesicht war immer noch wunderschön, aber nicht mehr so voll, wie er es in Erinnerung hatte. In ihren Augen lag immer noch dieselbe lebhafte Intelligenz, aber sie hatten aufgehört zu strahlen. Die dunklen Ringe unter ihren üppigen Wimpern unterstrichen nur ihre Erschöpfung.

Und ihr Haar … du lieber Himmel, sie hatte sich ihre lange blonde Mähne abgeschnitten. Von der Kaskade von gesponnenem Gold, die ihr früher bis zu den Hüften gefallen war, war nur noch ein stacheliger Schopf übrig geblieben, der ihr in elfenhafter Unordnung um den Kopf stand und das schmale Oval ihres Gesichtes einrahmte.

Sie sah immer noch absolut umwerfend aus, aber auf eine völlig andere Art, als sich Tegan je hätte vorstellen können.

„Du hast da was in der Gasse liegen lassen.“ Er hielt ihr das gefährliche Jagdmesser entgegen. Als sie Anstalten machte, es ihm abzunehmen, zog er es aus ihrer Reichweite. „Was hast du heute Nacht da draußen gemacht, Elise?“

Sie schüttelte den Kopf und sagte etwas, zu leise, als dass er es in dem Höllenkrach, der ihre Wohnung erfüllte, hätte hören können. Ungeduldig schaltete Tegan mit einem mentalen Befehl die Stereoanlage ab und sah schon den Fernseher an, um auch ihn zum Verstummen zu bringen.

„Nein!“ Elise schüttelte den Kopf, verzog schmerzerfüllt das Gesicht und presste die Hände an die Schläfen. „Warten Sie - lassen Sie es an, bitte. Ich brauche … der Lärm tut mir gut.“

Tegan sah sie finster an. Seine Skepsis stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber er ließ den Fernseher an. „Was ist heute Nacht mit dir passiert, Elise?“

Sie blinzelte, ihr Blick verschloss sich, schweigend senkte sie den Kopf.

„Hat dir jemand da draußen wehgetan? Bist du angegriffen worden, noch bevor die Rogues dich in der Gasse entdeckt haben?“

Ihre Antwort ließ lang auf sich warten. „Nein. Ich bin nicht angegriffen worden.“

„Willst du mir erklären, wie all das Blut auf deinen Anorak gekommen ist? Oder warum du in einer Gegend wohnst, wo du es für nötig befindest, diese Art von Ausrüstung mit dir rumzutragen?“

Sie vergrub das Gesicht in den Händen, ihre Stimme war ein raues Flüstern. „Ich will überhaupt nichts erklären. Bitte, Tegan.

Ich wünschte, Sie wären nicht hergekommen. Bitte … Sie müssen jetzt gehen.“

Er stieß ein unfreundliches Lachen aus. „Ich hab dir eben deinen kleinen Arsch gerettet, Frau. Da ist es doch nicht zu viel verlangt, dass du mir erklärst, warum das nötig war.“

„Es war ein Fehler. Ich hatte nicht vor, im Dunklen draußen unterwegs zu sein. Ich weiß, wie gefährlich das ist.“ Sie sah auf und zuckte mit einer schmalen Schulter. „Es hat alles nur …

etwas länger gedauert als erwartet.“

Was hat länger gedauert?“, fragte er. Ihm gefiel nicht, welche Richtung das Gespräch nahm. „Wir reden hier nicht von einem Einkaufsbummel oder einem Kaffeekränzchen mit Freundinnen, oder?“

Tegans Blick schweifte zurück zur Küchenablage, zu dem ihm wohlvertrauten Modell des Handys, das dort lag. Er runzelte die Stirn, ein Verdacht regte sich in Ihm, als er hinging und es aufhob. Von diesen Dingern hatte er in der letzten Zeit eine Menge gesehen. Es war eines dieser Kartenhandys, wie sie von Menschen benutzt wurden, die für die Rogues arbeiteten. Er drehte es um und deaktivierte den eingebauten GPS-Chip.

Tegan wusste, wenn er das Handy mit ins Techniklabor des Hauptquartiers nahm, würde Gideon herausfinden, dass es nur eine einzige, mehrfach verschlüsselte Nummer enthielt, der Code unmöglich zu knacken. Dieses spezielle Handy war mit menschlichem Blut bespritzt. Demselben Zeug, das auch die Vorderseite von Elises Anorak durchtränkte.

„Wo hast du das her, Elise?“

„Ich denke, das wissen Sie“, erwiderte sie, ihre Stimme ruhig, aber trotzig.

Er drehte sich um, um sie anzusehen. „Du hast es einem Lakaien abgenommen? Ganz allein? Du lieber Himmel … wie?“

Sie zuckte mit den Schultern und rieb sich eine Schläfe, als hätte sie Schmerzen. „Ich habe ihn vom Bahnhof aus verfolgt, und als sich eine Gelegenheit bot, habe ich ihn getötet.“

Tegan war ein Mann, den so leicht nichts überraschte. Aber diese Worte aus dem Mund dieser zierlichen jungen Frau trafen ihn mit der Wucht eines Ziegelsteins. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“

Aber es war ihr Ernst. Der Blick, den sie ihm zuwarf, ließ daran keinerlei Zweifel bestehen.

Hinter ihr auf dem Fernsehbildschirm blitzte eine Live-Nachrichtenübertragung auf. Ein Reporter kam ins Bild und berichtete, dass man vor wenigen Minuten das Opfer einer Messerstecherei aufgefunden hatte: „… das Opfer wurde nur zwei Häuserblocks hinter dem Bahnhof gefunden. Die Behörden sprechen mittlerweile von einer Mordserie …“

Als die Reportage weiterging und Elise ihn über den Raum hinweg ruhig ansah, begann Tegan zu begreifen, und das Blut in seinen Adern wurde kalt.

„Du?“, fragte er, doch die Antwort wusste er bereits, so unglaublich sie auch war.

Als Elise nicht antwortete, ging Tegan mit wenigen Schritten zu einer Truhe hinüber, die neben dem Futon auf dem Boden stand. Er riss sie auf und fluchte, als sein Blick das umfangreiche Waffenarsenal erfasste: Messer, Handfeuerwaffen und Munition.