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Sein großer Kopf hing ihm auf die Brust runter, die glühenden, bernsteingelben Augen bewegten sich hin und her, ohne etwas wahrzunehmen. Er schnaubte und grunzte durch die ausgefahrenen Fangzähne, dann begann er wieder, vergeblich an seinen Fesseln zu zerren.

„Sag uns, was es bedeutet“, forderte ihn Tegan über den Lärm von rasselndem Metall und tierhaften Schnüffellauten auf.

„Warum haben du und dein Bruder diese Sätze geschrieben?“

Odolf antwortete nicht, kämpfte nur weiter gegen seine Fesseln an.

„,Burg und Ackerkrume sollen sich unter der Mondsichel zusammenfinden‘“, rezitierte Tegan. „,Auf die östlichen Grenzlande richte den Blick’. Ist das ein bestimmter Ort? Was bedeutet das für dich, Odolf? Was hat es für deinen Bruder bedeutet?

Sagt dir der Name Dragos irgendwas?“

Der Rogue wand sich und zerrte an seinen Fesseln, bis sein Gesicht aussah, als würde es gleich explodieren. Er warf den Kopf hin und her und zischte wütend.

Tegan stieß einen frustrierten Seufzer aus und drehte sich zur Seite, um Elise anzusehen. „Das ist bloß verdammte Zeitverschwendung. Er wird uns gar nichts nützen.“

„Lass es mich versuchen“, sagte sie.

Als sie vortrat, entging Tegan die Tatsache nicht, dass Odolfs wilder Blick ihr quer durch den Raum folgte. Die Nasenflügel des Rogue bebten, als sein blutsüchtiger Körper arbeitete, um ihren Duft einzufangen.

„Geh nicht zu nah an ihn ran“, warnte Tegan und bereute es schon, dass er Elise versprochen hatte, keine Waffen gegen den Rogue einzusetzen - höchstens als allerletzten Ausweg. Als Erstes sollte er die Spritze mit dem Sedativ einsetzten, die Dr. Kuhn ihm gegeben hatte. „Das ist nah genug, Elise.“

Sie blieb in einigen Metern Entfernung vor dem Rogue stehen. Als sie sprach, war ihre Stimme weich, voller Geduld und Mitgefühl.

„Hallo, Peter. Mein Name ist Elise.“

Die elliptischen Pupillen in Odolfs bernsteinfarbenen Augen zogen sich noch stärker zusammen. Immer noch keuchte er vor Anstrengung, aber sein Widerstand wurde schwächer, als er seine Aufmerksamkeit ganz auf Elise richtete.

„Ich habe Irina kennengelernt. Sie ist sehr nett. Und sie liebt Sie sehr. Sie hat mir gesagt, wie viel Sie ihr bedeuten, Peter.“

Odolf wurde ruhig in seinem engen Käfig. Elise trat einen Schritt näher. Tegan knurrte ihr eine Warnung zu, und obwohl sie stehen blieb, ließ sie sich durch seine Besorgnis nicht aus dem Konzept bringen.

„Irina macht sich Sorgen um Sie.“

„Nicht in Sicherheit“, murmelte Odolf, fast unhörbar.

„Was ist nicht in Sicherheit?“, fragte Elise sanft. „Irina ist nicht in Sicherheit?“

„Niemand ist in Sicherheit.“ Der große Kopf schwang vor und zurück, als hätte er einen Krampfanfall. Als er vorüber war, zog Odolf die Lippen von seinen riesigen Fangzähnen zurück.

„Am Kreuz liegt Wahrheit“, murmelte er beim Ausatmen.

„Richte den Blick, den Blick …“

„Was bedeutet das, Peter?“ Elise las ihm die ganze Passage vor. „Können Sie uns das erklären? Wo haben Sie das gehört?

Haben Sie es irgendwo gelesen?“

„Burg und Ackerkrume sollen sich zusammenfinden“, wiederholte er. „Auf die östlichen Grenzlande richte den Blick …“

Wieder trat Elise einen halben Schritt vor. „Wir versuchen, zu verstehen, Peter. Sagen Sie uns, was Sie wissen. Es könnte sehr wichtig sein.“

Er stieß einen Grunzlaut aus, der Kopf fiel ihm hin und her auf den Schultern, die Sehnen an seinem Hals traten hervor.

„Burg und Ackerkrume sollen sich unter der Mondsichel zusammenfinden … auf die östlichen Grenzlande richte den Blick

… am Kreuz liegt Wahrheit.“

„Peter, bitte“, sagte Elise. „Wir brauchen Ihre Hilfe. Warum gibt es keine Sicherheit? Warum denken Sie, dass niemand in Sicherheit ist?“

Aber der Rogue hörte sie nicht mehr. Mit fest geschlossenen Augen, den Kopf zurückgelegt, flüsterte er wieder und wieder die unsinnigen Sätze vor sich hin, ein schneller, atemloser Strom von Wahnsinn.

Elise sah zu Tegan zurück. „Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist es wirklich Zeitverschwendung.“

Er war schon dabei, ihr zuzustimmen, als Odolf plötzlich in wieherndes Gelächter ausbrach. Sein Mund öffnete sich weit, er ließ abrupt den Kopf sinken und begann zu flüstern, so leise, dass Tegan es kaum ausmachen konnte. Er fing einige Fetzen des Rätsels auf, dann blinzelte Odolf, und plötzlich schien sein Verstand kristallklar zu sein.

In völlig klarem, rationalem Tonfall sagte er: „Das ist der Ort, an dem er sich versteckt.“

Tegans Blut wurde zu Eis. „Was hast du gesagt? An dem sich wer versteckt? Marek?“

„Er versteckt sich.“ Odolf kicherte, schon wieder überkam ihn der Wahnsinn. „Am Kreuz liegt Wahrheit.“

Tegan fiel die Glyphe ein, die sie in dem Tagebuch gefunden hatten. Die Linie des Stammes, zu der sie gehörte, war schon lange ausgestorben. Aber vielleicht war Marek ja nicht der Einzige, der als tot galt und zurückkehrt war. „Ist es Dragos? Lebt er?“

Odolf schüttelte den Kopf, ihm fielen friedlich die Augen zu.

Wieder begann er damit, das Rätsel aufzusagen, murmelte es in einem entnervenden Singsang vor sich hin.

„Verdammt noch mal!“, knurrte Tegan und trat mit ein paar wütenden Schritten an den Käfig heran. „Ist Dragos irgendwo versteckt? Sind er und Marek miteinander verbündet? Planen sie etwas zusammen?“

Odolf sang weiter vor sich hin, schlichtweg nicht ansprechbar. Nicht einmal, als Tegan den Griff des Metallkäfigs packte und ihn hart schüttelte, gab Odolf Anzeichen von Bewusstsein.

Der Verstand des Rogue hatte sich wieder abgemeldet.

„Scheiße.“ Tegan fuhr sich mit der Hand durchs Haar. In seiner Manteltasche vibrierte sein Handy, jemand rief ihn an. Er klappte es auf und bellte in den Hörer. „Ja.“

„Irgendwelche Fortschritte?“ Es war Reichen.

„Nicht viel.“

Hinter ihm im Käfig schnappte Peter Odolf in die Luft, knurrte und fluchte. Es war sinnlos, noch länger hierzubleiben.

Tegan machte Elise ein Zeichen, ihm aus der Zelle des Rogue in den angrenzenden Beobachtungsraum zu folgen.

„Wir machen gerade Schluss“, sagte er zu Reichen. „Hast du etwas über den Lakaien herausgefunden?“

„Ja, wir haben etwas. Ich bin mit Helene im Aphrodite. Sie hat den Mann hier schon ein oder zwei Mal gesehen. Hatte Ärger mit ihm, um genau zu sein.“ Reichen räusperte sich, zögerte. „Er, ähm, arbeitet anscheinend für einen Blutclub hier in der Stadt, Tegan. Er besorgt offenbar Nachschub an Frauen.“

„Himmel.“ Tegan sah Elise an, seine Venen wurden eng beim Gedanken, dass sie auch nur in die Nähe von solchem Menschenhändlerabschaum gekommen war. Blutclubs für Stammesvampire waren zwar illegal, aber einst waren sie die bevorzugte Vergnügung einer bestimmten Klasse von Vampiren gewesen. Sie bedienten die Gelüste der gelangweilten Reichen, mit Präferenzen der grausameren Art. „Irgendeine Idee, wo ich diesen Ort finde?“

„Natürlich treffen sich die Clubs selten am gleichen Ort, um ungewollte Aufmerksamkeit zu vermeiden. Helene hat schon ihre Fühler für dich ausgestreckt. Sie wird wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunden etwas haben.“

„Ich mache mich jetzt auf den Weg.“

„Was ist los?“, fragte Elise, als er sein Handy zuklappte und zurück in seine Manteltasche gleiten ließ.

„Ich muss eine von Reichens Kontaktpersonen in der Stadt treffen. Sie hat ein paar Informationen über den Lakaien, der dich heute angegriffen hat.“

Elises feine Augenbraue hob sich. „Sie?“

„Helene“, sagte Tegan. „Sie ist ein Mensch, eine Freundin von Reichen. Du hast sie letzte Nacht gesehen, als wir ihn vor ihrem Club abgeholt haben, dem Aphrodite.“

Elises Blick war deutlich anzusehen, dass sie sich in aller Deutlichkeit an die halb nackte Frau erinnerte, die Reichen zum Wagen hinausbegleitet hatte. „Na gut“, meinte sie mit einem schnellen Nicken, „gehen wir und reden mit ihr.“