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Tegan begegnete Elises nervösem Blick. „Was ist los?“

„Der Gobelin“, sagte sie, als sie und Gabrielle ihn auf dem Besprechungstisch ausbreiteten. „Ich glaube, wir haben herausgefunden, was Odolfs Rätsel bedeutet.“

„Ist das dein Ernst?“

„Allerdings.“ Ihre ernste Miene sagte ihm, dass es keine guten Neuigkeiten waren, die sie überbrachte.

Tegan und die übrigen Krieger versammelten sich um die Frauen. „In Ordnung. Zeigt, was ihr gefunden habt.“

Er sah zu, verblüfft und mit wachsendem Stolz, als sie die seltsamen Verse rezitierte und die Stickerei entsprechend faltete.

Es war unglaublich, und doch, als Elise es für sie vormachte, so offensichtlich. Die Stickerei entsprach aufs Genaueste dem scheinbar unsinnigen Vers. Als Elise fertig war, trat sie zurück und enthüllte ein völlig neues Bild - eines, das Kassia in den Fäden verborgen hatte, als sie die Stickarbeit vor all diesen Jahrhunderten anfertigte.

Elise begegnete Tegans neugierigem Blick. „Als ich bei Irina war, zeigte sie mir eine Stickerei von unglaublichem Detailreichtum. Auch in dieses hatte Kassia ein verstecktes Bild eingestickt.

Als ich eben diesen Gobelin an der Wand gesehen habe, wusste ich, dass ihn dieselbe Person hergestellt haben musste. Je länger ich ihn ansah, desto mehr habe ich mich gefragt, ob auch er etwas verbarg, was nicht auf den ersten Blick sichtbar wird.“

Tegan lächelte. Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass alle ihm dabei zusahen, als er den Arm um sie legte und sie liebevoll auf die Stirn küsste. „Gute Arbeit.“

„Ich kenne diesen Gebirgszug“, sagte Lucan, als er das Bild inspizierte.

Tegan nickte, auch er erkannte die charakteristische Felsgruppe, die sich nordöstlich von Prag befand. „Es ist nicht weit entfernt von der Region, wo damals der größte Teil des Stammes lebte.“

„Also soll das eine Art Landkarte sein?“, fragte Rio. „Wenn ja, wonach suchen wir dann?“

„Die Frage ist nicht was, sondern wen.“ Savannahs leise Stimme hatte sofort die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

„Der Gobelin weist auf einen Ort hin, an dem Dragos jemanden versteckte. Den Vampir, der ihn gezeugt hat.“

„Ach, verdammt!“

Tegan wusste nicht, welcher der Krieger den Fluch ausgestoßen hatte, aber jeder von ihnen musste die Tragweite dessen begreifen, was Savannah gerade gesagt hatte.

„Dragos’ Stammesgefährtin hat diese Arbeit extra für mich angefertigt“, sagte Lucan mit finsterem Gesicht. „Willst du damit sagen, Kassia hat diese Nachricht absichtlich hineingestickt? Warum? Und warum zum Teufel ist sie nicht zu mir gekommen und hat es mir erzählt?“

„Weil sie Angst hatte“, sagte Savannah. „Man hatte ihr ein schreckliches Geheimnis anvertraut, und sie hatte Angst, was geschehen würde, wenn sie es ausplauderte.“

Gideon sah seine Gefährtin an. „Das hast du in dem Stoff gespürt, Süße?“

Savannah nickte. „Da ist noch mehr. Und es ist nicht gut.“

„Sag schon“, meinte Lucan grimmig. „Was immer du aus diesem Ding herauslesen kannst, wir müssen es wissen.“

Stille legte sich über den Raum, als Savannah die Hand ausstreckte und sie auf den Gobelin legte. Ihre individuelle Gabe der Psychometrie war dem Orden in der Vergangenheit schon nützlich gewesen, aber alle, die nun zusahen, wie sie begann, die emotionale Geschichte des Bildteppichs in sich aufzunehmen, verfielen in vollkommenes Schweigen. Alle waren sich dessen bewusst, dass sie Savannahs spezielle Gabe nie so sehr gebraucht hatten wie jetzt.

„Kassia wurde von ihrem Wissen gequält, aber Dragos behielt sie immer im Auge, und sie wusste, dass ihr Gefährte es herausfinden würde, wenn sie das Geheimnis jemandem verriet. Er würde das, was er versteckte, an einen anderen Ort bringen lassen, und dann gäbe es keine Möglichkeit mehr, etwas dagegen zu tun.“ Konzentriert schloss Savannah die Augen. „Kassia hatte niemanden, um diese Last mit ihr zu teilen - nicht einmal ihre beste Freundin Sorcha.“

Tegan spürte, wie sich sein Kiefer bei der Erwähnung des Mädchens, das wegen seines Versagens ein so schreckliches Ende gefunden hatte, verkrampfte. Leicht legte sich Elises Hand auf seinen Arm, als wollte sie ihm sagen, dass sie wusste, was er fühlte. Ihre Berührung war liebevoll und voller Mitgefühl, ihr Blick zärtlich.

Savannah fuhr fort. „Als Lucan Kassia darum bat, diesen Bildteppich für ihn anzufertigen, erkannte sie, dass sie vielleicht eine Möglichkeit hatte, ihn davor zu warnen, was Dragos getan hatte. Und als sie Lucans Portrait stickte, arbeitete sie die Hinweise ein und betete, dass er sie eines Tages entdecken würde, bevor es zu spät war.“

„Was genau hat Dragos getan?“, fragte Lucan, seine tiefe Stimme dröhnte in der Stille, die im Labor herrschte. „Wie zum Teufel hat er diesen Verrat begangen?“

Einen ausgedehnten Augenblick lang sprach Savannah nicht.

Sie zog langsam ihre Hände zurück und drehte sich um, um den Anführer des Ordens anzusehen, das hübsche Gesicht düster.

„Als du dem letzten der Alten den Krieg erklärt hast - nur wenige Monate, bevor dieser Teppich angefertigt wurde -, schlossen Dragos und die außerirdische Kreatur, die ihn gezeugt hatte, einen Pakt. Dragos half seinem Vater, in die Berge zu entkommen, anstatt sich zu stellen und gegen dich und den Rest des Ordens zu kämpfen.“

Lucans Miene war düster, Wut ballte sich in seiner angespannten Haltung. „Dragos und einige andere bekämpften ihren Erzeuger. Dragos war der Einzige, der aus dem Scharmützel mit dem Leben davonkam. Er war schwer verletzt …“

„Alles Teil seiner List“, sagte Savannah. „Nachdem sie die anderen getötet hatten, half Dragos seinem Vater, sich in einer schützenden Gruft zu verstecken, die er extra für ihn in den Bergen im Umland von Prag erbaut hatte. Dragos’ Verletzungen kamen von seinem Vater, aber nur, um die Wahrheit darüber zu verschleiern, was sich wirklich abgespielt hatte. Ihr Plan war gewesen, den Alten in eine Art Winterschlaf zu versetzen, bis sich die Situation mit dem Orden geklärt hätte. Dann sollte der Alte geweckt werden, um sich wieder zu nähren und eine neue Generation Stammesvampire zu zeugen.“

„Da soll mich doch“, murmelte Gideon, riss sich die blass-blau getönte Sonnenbrille von der Nase und rieb sich die Augen.

„Wusste Kassia, ob Dragos jemals die Chance bekommen würde, zurückzukehren und den Bastard zu befreien?“

Savannah schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Ich kann nichts empfangen, das darauf hindeutet, dass sie das Ergebnis kannte. Drago erzählte ihr, wo die Gruft lag, und dieses Wissen hat sie in den Gobelin eingestickt. Sie wollte, dass Lucan die Hinweise hatte, für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte.“

„Oh Lucan“, sagte Gabrielle und schlang die Arme um ihn.

„Da ist … noch etwas“, sagte Savannah. „Da war ein Kind.

Kassia war schwanger, als sie diesen Gobelin anfertigte. Dragos war auf einem Feldzug und seit fast einem Jahr fort - so lange, dass sie ihren Sohn heimlich gebar und ihn fortschickte, um ihn bei einer anderen Stammesfamilie aufwachsen zu lassen, bevor Dragos zurückkehrte. Sie weigerte sich, ihr einziges Kind zum Opfer des gefährlichen Bündnisses werden zu lassen, das ihr Gefährte eingegangen war. Also ergriff sie Maßnahmen, um das Baby zu schützen und es für die Zukunft in Sicherheit zu bringen.“

„Na, lass mich doch mal raten, wie diese Familie hieß, an die sich Kassia wandte“, meinte Gideon gedehnt.

Savannah nickte. „Odolf.“

„Wisst ihr was“, warf Kade ein, „ich habe gehört, dass die Alten unter den richtigen Bedingungen mehrere Generationen lang überwintern können.“

„Jahrhunderte schon eher“, sagte Tegan und grübelte über die blutrünstigen Kreaturen aus einer anderen Welt nach, die ihn und den Rest der ersten Generation des Stammes gezeugt hatten. „Soviel wir wissen, ist der letzte Alte immer noch da draußen irgendwo bei Prag in ein Loch eingebuddelt und wartet darauf, dass er auf die Menschheit losgelassen wird.“