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Als einer der Lakaien näher herankam, den Blick unablässig auf Lucan gerichtet, der gerade dem Kugelhagel eines anderen auswich und ihm im Gegenzug selbst eine Salve verpasste, tastete Elise nach dem Griff ihres Dolches und zog ihn aus der Scheide. Sie wusste, dass sie ihn werfen musste und dass sie nur einen einzigen Versuch hatte.

Tegan knurrte warnend ihren Namen, als sie sich aus seinen Armen rollte. Sie kam auf die Füße, zielte schnell, dann holte sie aus und ließ die Klinge fliegen.

Der Lakai brüllte auf, als ihm der Dolch tief unter den Arm fuhr. Immer noch feuernd fiel er auf den Rücken und schickte einen Kugelhagel in die hohen Dachsparren hinauf. Einige von ihnen trafen die schwarze Decke, das Geräusch von splitterndem Glas bildete zu den Kampfgeräuschen, die von unten heraufdrangen, einen Unheil verkündenden Kontrapunkt.

„Oh Gott“, keuchte Elise, als geschwärzte Glasscherben von den zerbrochenen Oberlichtern herabregneten.

Die Decke war aus Glas, das erst vor Kurzem mit einem schwarzen Farbanstrich versehen worden war, um die Sonne abzublocken. Marek musste diese Vorsichtsmaßnahme getroffen haben, sobald er in diesem Haus sein Quartier aufgeschlagen hatte.

Jetzt, als wieder ein riesiges Stück Glas losbrach und zu Boden fiel, starrte Elise hinauf, in den Himmel über ihnen.

In den Himmel, der sich langsam im ersten frühen Licht der Morgendämmerung rötete.

34

Sie hatten die steilen, zerklüfteten Felsklippen bereits einige Stunden lang abgesucht, und immer noch war keine Spur der Gruft zu entdecken. Die Nacht neigte sich schon ihrem Ende zu. Keiner der Krieger, die jeden Felsbrocken umdrehten, hatte das Bedürfnis, sich der Sonne auszusetzen - besonders Dante, der erst vor ein paar Monaten eine üble UV-Strahlen-Verletzung erlitten hatte -, aber als Stammesvampire der neueren Generationen konnte sich jeder von ihnen für kurze Zeit im Tageslicht aufhalten. Und mit Hilfe ihrer Sonnenschutzausrüstung ließ sich diese Zeitspanne in etwa verdoppeln.

Das galt allerdings nicht für den Alten, den sie jetzt jagten.

Während ein Gen-Eins-Abkömmling dieser außerirdischen Kreatur schon nach knapp zehn Minuten begann, Blasen zu werfen und zu verbrennen, würden die UV-allergische Haut und Augen des Alten innerhalb von wenigen Sekunden in Flammen aufgehen. Das bildete einen guten Reserveplan, falls es dem Orden nicht gelingen sollte, sich den Kopf der Kreatur zu holen.

Vorausgesetzt, sie fanden das Versteck des Blutsaugers in all diesem ungastlichen Felsgestein überhaupt.

Dante warf einen prüfenden Blick zum Himmel. „Wenn wir nicht innerhalb der nächsten halben Stunde etwas finden, sollten wir uns lieber an den Abstieg machen.“

Chase nickte. Er stand neben Dante am Eingang einer niedrigen Höhle, die nichts als einige alte Bierflaschen und die einige Tage alten Überreste eines erloschenen Lagerfeuers enthielt.

„Vielleicht suchen wir am falschen Ort. Ein paar von uns könnten sich am hinteren Teil des Bergrücken entlang ausstreuen und näher am Gipfel suchen.“

„Es muss aber hier sein“, sagte Dante. „Du hast doch den Gobelin gesehen. Der Felsrücken, den Kassia in das Bild eingestickt hat, war dieser hier, wo wir jetzt stehen. Ich sage dir, wir sind schon ganz nah dran …“

„Hey, D.“ Nikolai hockte auf einem Felsvorsprung einige Meter über dem Höhleneingang. „Rio und Reichen haben gerade eine weitere Öffnung hier oben entdeckt. Sie ist sehr eng, reicht aber tief in den Berg hinein. Das solltet ihr euch mal ansehen.“

Dante und Chase kletterten schnell hinauf, wo sich die anderen versammelt hatten. Der Eingang der Höhle - wenn man ihn denn so nennen konnte - war ein vertikaler Spalt im Felsgestein.

Klein genug, um übersehen zu werden, außer man stand genau darüber, und trotzdem weit genug, dass ein Mann sich vorsichtig hineinzwängen konnte.

„Meißelspuren“, bemerkte Dante und fuhr mit der Hand über den Rand der Öffnung. „So verwittert, wie sie sind, müssen sie schon alt sein. Das könnte der Ort sein.“

Sechs nüchterne Augenpaare sahen ihn an, als er sein Schwert vom Rücken zog und ruhig die Anweisungen für die Operation ausgab. Er würde als Erster hineingehen, sehen, wie weit die Öffnung in den Berg hineinreichte und ob dort etwas zu finden war. Die anderen würden seine Befehle erwarten - zwei als Wachtposten außen am Höhleneingang und der Rest bereit, ihm in den Berg zu folgen, sobald er ihnen das Signal gab, dass er die Gruft tatsächlich gefunden hatte.

Er zwängte sich zwischen die vertikalen Felsplatten, den Kopf der pechschwarzen Dunkelheit zugewandt, die vor ihm lag. Der Geruch von Fledermauskot und Schimmel wurde stärker und unangenehmer, je tiefer er hineinkroch. Die Luft in der Höhle war kalt und feucht. Es gab keinerlei Geräusche, nur das leise Scharren seiner Bewegungen, als er voranging.

Irgendwo auf dem Weg bemerkte er, dass der Fels ihn nicht mehr so eng umschloss. Der Spalt begann sich zu weiten, und schließlich öffneten sich die Felswände zu einer Höhle tief im Herzen des Berges.

Dante trat auf etwas, das unter seiner Stiefelsohle knirschte.

In der Dunkelheit waren seine Augen am schärfsten. Davon, was er jetzt sah, wich ihm das Blut aus dem Kopf.

Zum Teufel noch mal!

Sie hatten Dragos’ Geheimnis gefunden. Es bestand kein Zweifel. Dante stand mitten in der Überwinterungskammer des Alten, einer Gruft, die in den Berg gehauen war, genau wie Kassias Gobelin es beschrieben hatte.

Dante erinnerte sich nicht daran, etwas gesagt zu haben - verdammt noch mal, er war nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch atmete -, aber schon nach wenigen Sekunden war er von seinen Brüdern umgeben.

„Herr im Himmel“, murmelte einer von ihnen, fast unhörbar.

Rios geflüstertes Gebet auf Spanisch sprach für sie alle: „Gott steh uns bei.“

Tegan hob den Kopf und warf einen flüchtigen, unsicheren Blick zu den zerbrochenen Oberlichtern über ihnen.

Scheiße.

Er wagte nicht, lange hinzuschauen. Selbst der frühe, gefilterte Lichtschein der Morgendämmerung brannte auf seinen Netzhäuten wie Säure. Auch Lucan spürte seine Auswirkungen. Er war in den Oberschenkel getroffen worden, der Schuss des letzten übrig gebliebenen Lakaien warf ihn zu Boden. Als Gen-Eins-Vampir konnte er mehr Verletzungen überstehen als andere ihrer Spezies, und das hatte er auch getan. Sein Körper hatte die Kugeln ausgestoßen, denen er nicht hatte ausweichen können.

Die Wunden bluteten, begannen aber schon zu heilen.

Aber jetzt lag er unter der offenen Decke, und von seiner unbedeckten Haut begannen dünne Rauchfäden aufzusteigen. Er brüllte auf, verwandelte sich in seinem Zorn. Seine Lippen zogen sich zurück, seine Fangzähne schossen aus seinem Zahnfleisch hervor, und seine Augen glühten in hellem Bernsteingelb.

Der Lakai begann, sich zurückzuziehen, als er erkannte, mit wem er es zu tun hatte. Lucan rollte sich aus dem Licht und drückte den Abzug seiner Neunmillimeter. Ein einzelner Schuss krachte. Der Lakai stürzte zu Boden, aber er war noch nicht tot.

Lucan schoss erneut und tötete den Bastard.

Dann Stille.

Das hohle Klicken einer leeren Patronenhülse.

Zur gleichen Zeit erwachten Tegans eigene Gen-Eins-Fähigkeiten langsam wieder zum Leben. Aber noch konnte er die Fesseln nicht aufbrechen, die ihn festhielten. Und er war sich auch gar nicht sicher, ob das überhaupt ratsam war. Das Crimson, das ihm verabreicht worden war, summte durch jede einzelne Zelle seines Körpers und verseuchte ihn.

Er spürte, wie Blutgier in ihm aufstieg, ihn drängte, den Durst zu stillen, der sich seiner bemächtigen wollte.

Als Elise zu ihm herüberkam und versuchte, eine seiner Handschellen zu lösen, knurrte er. „Verschwinde, verdammt!

Ich will dich hier nicht haben. Verschwinde, solange du noch kannst.“

Sie arbeitete weiterhin an seiner Handschelle und ignorierte ihn vollständig. „Es muss doch eine Möglichkeit geben, die aufzukriegen.“